Taubenschlag: Starnet-Mailbox aus Sicht des Betreibers

Viele Anwender fragen sich, wie sie am besten Kontakt halten. Was bietet sich da mehr an als eine Mailbox - ein elektronischer Briefkasten, wie es so schön im Computerlexikon heißt. Da man gern alles selbst ausprobiert, muß es eine Mailbox im eigenen Computer sein.

Allein in Berlin existieren zur Zeit über 40 Mailboxen. Dadurch sind alle großen Netze ,hier vertreten. Bei einer Neugründung stellt sich die Frage, welchem Computertyp man den Vorzug gibt, um eine möglichst große Zahl von Benutzern zu gewinnen. Wir entschieden uns für das »Starnet«-System, da es noch nicht so aufgebläht ist wie etwa FIDO, ZERBERUS oder das MAUS-NET. Wir wollten bei unserer Box auf jeden Fall auch verhindern, daß der einzelne Anwender sich in einer Vielzahl Bretter verirrt, die ihn überhaupt nicht interessieren und in denen er den Überblick verliert.

Das Starnet ist ein auf dem Atari ST/TT basierendes System, das zur Zeit mit 20 Computern im Verbund arbeitet. Dadurch ist gewährleistet, daß die Telefongebühren für den einzelnen Benutzer niedrig bleiben. In den wichtigsten deutschen Großstädten findet man jeweils eine Starnet-Mailbox, sicher ist auch eine in Ihrer Nähe.

Das Programm in der Mailbox besteht aus zwei Teilen. Der erste und für den Anwender relevante Teil nennt sich »STARMAIL« und ist das eigentliche Mailboxprogramm. Über eine Shell verwaltet der Betreiber die Nachrichten-Bretter und Dateibanken (Filebanks) für PD-Programme, pflegt Anwenderdaten und schaut sich diverse Statistiken an. Von hier aus ruft er auch den Online-Modus auf.

Hat sich erst einmal ein Anwender in die Box eingeloggt, lassen sich externe Programme aufrufen, die den Online-Modus unterstützen. Dazu zählen unter anderen Online-Spiele wie »Tetris«, aber auch Hilfsprogramme wieder Mailboxserver »BUMS«, mit dem sich Starnet-Mailboxen vom CoSysOp oder Dateiverwalter auch »von draußen« warten lassen.

Teil 2 des Paketes ist für den Datenaustausch zwischen den einzelnen Boxen zuständig. Das Starnet ist, wie der Name schon andeutet, sternförmig aufgebaut. Alle Boxen des Verbundes senden, wegen der günstigen Mondscheintarife der Post nachts, ihre über Tag angefallenen Daten an den Zentralrechner in Wettenberg. Der sortiert die Daten und stellt sie für die einzelnen Boxen als Paket wieder bereit. Zwei Stunden später rufen die Boxen ihre Daten wieder ab und jede bekommt alle Nachrichten aus ganz Deutschland, auch aus den neuen Bundesländern.

Der sternförmige Aufbau hat den Vorteil, daß eine Nachricht innerhalb eines Tages ihren Empfänger erreicht. Dies ist selbst bei den großen Netzen nicht immer so. Katastrophal wäre allerdings ein Ausfall des Starmail-Zentralrechners, denn dann ginge erst mal gar nichts mehr.

Die Kosten für die Einrichtung eine Mailbox werden am Anfang meist stark unterschätzt. Grundausstattung ist ein Computer mit ausreichend großer Festplatte, ein Modem, das eigentliche Mailboxprogramm und, will man im 24 Stunden-Betrieb arbeiten, ein eigener Telefonanschluß. Zwar kann man am Anfang seinen Privatrechner plus Modem für den Betrieb zweckentfremden. Allerdings ist man ohne eigenen Computer schnell aufgeschmissen. Immer die Box abzuhängen, um selbst den Rechner zu nutzen, schreckt innerhalb kürzester Zeit viele Anwender ab. Und ist die Mailbox erstmal in der Szene als unzuverläßig und zu oft »offline« (nicht erreichbar) verrufen, hat man erhebliche Probleme, die Auslastung über 20 Prozent zu bekommen.

In der Box rufen nicht nur Anwender an, sondern es muß auch in der Nacht Kontakt mit der H Zentrale vorhanden sein. So entstehen Telefonkosten, die teilweise, je man Modemtyp, bis zu 100 Mark betragen. Auch wenn man von den Anwendern Spenden bekommt, reichen diese bei weitem nicht aus, um die anfallenden Kosten zu decken.

Bild 1. So sieht die Shell aus, von der ein SysOp die Mailbox pflegt und Zugriff auf die Anwenderdatei, Dateibanken, Bretter und aktuelle Statistiken hat

Nachdem die Unwegsamkeiten der Hardwarebeschaffung und der Installation bewältigt sind, beginnt der Ernst des Lebens für einen SysOp (Mailboxbetreiber). Eine der wichtigsten Aufgaben ist das Delegieren der Arbeiten an interessierte und zuverlässige Anwender, die aktiv am Mailboxleben teilnehmen wollen. Denn irgendwann fährt auch ein SysOp mal in Urlaub.

Die Box für diese Zeit einfach abzuhängen, ist der Auslastung sehr abträglich. Also sollte man sich mindestens einen CoSysOp suchen. Wie die Erfahrung zeigt, möchten viele diesen Job haben, doch nur wenige sind sich der Arbeit bewußt, der sie damit täglich und sorgsam nachgehen müssen.

Wir empfehlen jedem Newcomer unter den SysOps, sich entsprechend der vertretenen Computertypen einen Dateiverwalter zu suchen. Die Arbeit eines Dateiverwalters besteht hauptsächlich darin, die von den Anwendern an die Box gesandten Programme zu testen, ob sie lauffähig und Public Domain beziehungsweise Shareware sind. Dann erst verteilt man sie auf die einzelnen Dateibanken und gibt sie für die Benutzer frei.

In der ersten Zeit ist die Auslastung naturgemäß noch gering, die Box muß ja erst bekannt werden. Darum sollte man in anderen Mailboxen Eigenwerbung betreiben. In jeder Mailbox existiert ein entsprechendes Brett, wo man sich anpreisen kann. Das Wichtigste ist aber immer noch die Mund-zu-Mund-Propaganda, die sich auf Dauer bei einer gut geführten und sortierten Mailbox in Anruferzahlen bemerkbar macht. Das zweitschönste an einer Mail box - gleich nach dem Austausch von Erfahrungen und Neuigkeiten - ist der Download (Abziehen) von Programmen aus den Dateibanken, im Szenejargon »Saugen« genannt. Um Anwender an die Box zu binden, sollte der neue SysOp gleich von Anfang an ein entsprechendes Repertoire an PD- und Shareware-Programmen bereitstellen. Denn nur wenn der Benutzereinen Gegenwert geboten bekommt, ist er bereit, etwas in den Dateibanken abzulegen. Bei den Nachrichtenbrettern verhält es sich ähnlich. Eine leere Rubrik animiert nicht gerade zu neuen Beiträgen. Allerdings hat man durch den Netzverbund gleich von Anfang an eine Menge Mitteilungen in seiner Box.

Und da sind wir auch schon bei einem heiklen Thema: die Schreibmüdigkeit der Benutzer. Diese trifft nicht nur kleine Boxen, sondern auch große Systeme wie etwa das Fidonet. Allerdings fällt dies bei den Großen nicht so auf, da hunderte von Rechnern angeschlossen und die Informationsquellen dementsprechend bedeutend zahlreicher sind. Gut bewährt haben sich Anwendertreffen, bei denen man sich persönlich kennenlernt. Erfahrungsgemäß belebt dies die Aktivität der ganzen Mailbox; es entstehen neue Impulse, und die Auslastung der Box steigt. Eines der bisher großen Treffen dieser Art war eine überregionale Zusammenkunft des Starnet.

Dem Interesse an einem ungestörten Austausch über spezielle Anwendungsgebiete sollte man durch die Einrichtung vom »Groups« (geschlossenen Benutzergruppen) Rechnung tragen. Typische Beispiele dafür sind MIDI-, Atari- oder DTP-Groups. In diesen Gruppen tauschen die Anwender in Eigenverantwortung Daten und Programme aus. Der SysOp muß allerdings dann einschreiten, wenn die Gefahr besteht, daß Raubkopien sich über die Box verbreiten, da dies die Existenz der Mailbox akut gefährdet. Gerüchten zufolge sollen sogar unzufriedene Anwender mit Absicht copyrightgeschützte Programme abgelegt haben, um die Box dann anzuzeigen. Deshalb: Lieber ein Programm zuviel löschen, als die Box voll »dezentraler Sicherheitskopien« zu haben.

Erfahrungsgemäß schreiben Benutzer, die in einer Group aktiv sind, weniger in den für alle zugänglichen Bereichen. Fehlt der Kontakt zu einer Gruppe und das Wissen über dieses Angebot, entsteht leicht der Eindruck, die Box biete nichts von Interesse. Dem sollte man durch entsprechende Hinweise immer wieder entgegenwirken.

Bild 2. Der Editor für den SysOp, mit dem er Daten des Anwenders ändert

Neben all diesen vielen Freuden und Leiden eines SysOps gibt es die rechtliche Seite des Mailboxbetriebs. Wer sich entschließt, eine Mailbox zu eröffnen, muß wissen, daß er sich auf juristisches Neuland begibt. Weil die Mühlen der Justiz bekanntlich langsam mahlen und auch der Gesetzgeber der technischen Entwicklung ständig hinterherhinkt, gibt es keine klaren Regeln hinsichtlich der einschlägigen Rechtsfragen. So stürzte der Verfasser dieser Zeilen dann auch einen seiner Mailbox-Anwender, seines Zeichens Jurist, ins Unglück, als er ihn bat, er möge »doch mal kurz nachschauen, wie das denn rechtlich so ist mit der Box«. Dessen Kommentar nach Sichtung der Literatur lautete nur, das Thema würde einer Doktorarbeit zur Ehre gereichen: »Völlig offen, das Wort Mailbox scheint es in keinem juristischen Buch zu geben.«

Bild 3. Das Menü der Mailbox aus der Sicht des Anwenders

Ungeklärt ist zum Beispiel, ob es sich bei einer Mailbox um ein »Druckwerk« im Sinne des Presserechts handelt, wozu zum Beispiel auch Tonträger zählen. Wenn dem so ist, gilt der SysOp eventuell als Verleger oder Redakteur und ist presserechtlich verantwortlich sowie beispielsweise für den Fall beleidigender Meldungen auch Schadenersatz- oder schmerzensgeldpflichtig. Schaut man sich die Funktion einer Mailbox als Kommunikations- und Verbreitungsmedium an, dann ist diese Einschätzung durchaus realistisch. Schließlich hat der SysOp, genau wie ein Verleger, bei seinem Anzeigenteil technisch die Möglichkeit, die einzelnen Meldungen zu kontrollieren. Bei einer der sich daran anschließenden entscheidenden Fragen, nämlich einer möglichen Strafbarkeit des SysOps, hätte dann wohl auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein Wörtchen mitzureden: In Deutschland ist nur das strafbar, was vorher im Gesetz hinreichend deutlich so bezeichnet wurde. Ich denke, wenn nicht mal Eingeweihte die Rechtslage auf den ersten Blick erkennen, kann man das vom Bürger erst recht nicht verlangen. Hinsichtlich der zivilrechtlichen Seite (alles was Geld kostet, Schadensersatz etc.) hält sich der SysOp den Rücken wenigstens einigermaßen durch den Abschluß von Nutzungsverträgen frei. Dort vereinbart er mit den Anwendern vorher vertraglich, daß diese ihn von Ansprüchen freisteilen, die aus von ihnen geschriebenen Meldungen folgen.

Das würde wahrscheinlich zunächst nicht als Verteidigung gegen eine Klage von Seiten eines Verletzten helfen, aber die Verfolgung der eigenen Ansprüche des SysOps gegen den Anwender erleichtern. Aber wie gesagt, rechtlich liegt da noch alles im Argen. Ich kann daher nur empfehlen, mit den Anwendern schriftliche Verträge abzuschließen, in denen ihnen die volle zivil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit für etwaige Schandtaten aufgebürdet ist. Ob das hilft, ist ungewiß, auf jeden Fall schadet es nicht.

Da der Betreiber einer Mailbox die Verantwortung für die Box übernimmt, ruht eine moralische Last auf ihm. Wichtig bei der Aufnahme eines Benutzers ist: Existiert er wirklich oder hat er sich unter einem falschen Namen eingetragen? Dies hat eventuell Auswirkungen, wenn dieser etwa zu Straftaten aufruft und der Mailboxbetreiber die Daten an Behörden geben muß. Deshalb sollte der SysOp so verantwortungsbewußt sein und die Angaben überprüfen.

Eine gängige Methode ist das Kontrollieren der Telefonnummer - als Modembesitzer natürlich aus dem im BTX angebotenen Elektronischen Telefonbuch (alles andere wäre unsportlich) - und der Rückruf beim Antragsteller. Dabei lernt man den neuen Anwender auch gleich kennen und knüpft erste zwischenmenschliche Kontakte.

Ein Streitpunkt, der so alt ist wie die Mailboxen selbst, ist das allseits beliebte Pseudonym. Wir sind der Meinung, daß so etwas nicht in eine seriöse Mailbox gehört. Aber wie schon gesagt, hier scheiden sich die Geister beziehungsweise die Meinungen.

Nachdem nun einige Monate Erfahrung mit unserer Starnet-Maibox vorliegen, stellt sich die Frage: Würden wir wieder trotz aller Widrigkeiten nochmal eine Mailbox eröffnen beziehungsweise übernehmen? Diese Frage ist mit einem klaren »Ja« beantwortet. Die Arbeit kostet zwar einiges an persönlichem Interesse und Zeit, macht aber sehr viel Spaß. (wk)

Technische Beratung: Michael Müller. Juristische Beratung: Thomas Linke.

STARNET, Stand Mai 1991

Kennung Standort Baud Nummer
MSH Wettenberg 19200 06406-73473
PCB Bad-Lippspringe 19200 05252-3413
ASB Schlangen 2400 05252-83258
HND Frankfurt 19200 06109-21339
BMB Konstanz 2400 07531-51441
MAH Bielefeld 19200 0521-336329
PAN Gross-Gerau 19200
HBB Berlin 19200 030-6869453
AUN Berlin 2400 030-6228662
VHS Düsseldorf 2400
BIT Münster 2400 0251-778595
RKB O-Schkeuditz(Off) 2400
PGS Berlin 19200 030-6228278
SPB Hamburg 2400
PBB Berlin (Offline) 2400 030-2135967
COL Dortmund 2400 0231-145779
GFA Düsseldorf 2400 0211-555075
NOB Hamburg 2400 040-5116283
NCB Lich 2400 06404-4851
TAR Mainz 2400 06131-238062

Michael Regitz
Aus: TOS 09 / 1991, Seite 72

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