Die Steinberg-Story

Läßt man die Entwicklung der MIDI-Technologie Revue passieren, mag man gar nicht recht glauben, daß als MIDI-Geburtsjahr erst 1983 in den Annalen vermerkt ist. Software-Geburtshelfer der ersten Stunde war die Hamburger Firma Steinberg. Wir sprachen mit den Firmenvätern Karl »Charly« Steinberg und Manfred »Manne« Rurup über Vergangenes, Bestehendes und Kommendes.

Karl Steinberg und Manfred Rurup von Steinberg

TOS: Wie fing denn 1983 alles an?

CS: Ich habe Manfred damals im Studio kennengelernt. Er spielte dort die Keyboards, und ich war meines Zeichens als Toningenieur tätig. Irgendwann kam Manne dann mit einem C64 und dem MIDI-Daten-Format an. Daraufhin habe ich den »Multitrack Recorder«, ein heute weitgehend unbekanntes Programm, zusammengestrickt und ein MIDI-Interface für den Commodore gebaut.

TOS: War zu dieser Zeit schon eine Vermarktung der Hard- und Software in größerem Stil geplant?

MR: Nein. Ich spielte damals mit Inga Rumpf und hatte so Gelegenheit, morgens die Musikhändler mit meinem portablen SX64 aufzusuchen und denen unser System vorzustellen. Das Interesse war allerdings nicht sehr groß. Aber wir waren ja nur eine Drei-Mann Firma: Charly, meine Frau und ich, und wenn man da zehn MIDI-Pakete verkauft, ist das schon »Big Business« (Gelächter).

CS: Wir entwickelten daraufhin den »PRO 16« für den C64, der es 1984 mit viel Überzeugungsarbeit unsererseits zu recht ansehnlichen Verkaufszahlen brachte.

TOS: War dann der Schritt zum Atari ST nicht recht riskant: »Twenty Four 1.0« erschien ja schon kurz nach der Markteinführung des ST?

MR: Zu der Zeit kam Werner Kracht zu uns und wollte unbedingt ein neues Programm für den Atari ST schreiben, von dem er wußte, daß er schnell war und über die entsprechenden Schnittstellen verfügte.

CS: Zwar gab es den Atari damals noch nicht zu kaufen - wir besaßen lediglich eine Entwicklermaschine - doch viele Kunden hatten bei ihrem Händler schon einen ST bestellt, ohne zu wissen, ob es überhaupt entsprechende Software geben würde. Aber, der Reiz war da. Die Leute haben damals erstaunlich schnell begriffen.

TOS: Dann gab es auf der ST-Schiene keine großen Anlaufschwierigkeiten?

MR: Etwas problematisch war es, die Händler vom ST zu überzeugen, die hatten ja gerade ihre Regale mit C64 vollgestellt und wollten die gerne verkaufen. Aber die Kunden haben das dann sehr schnell klargemacht...

TOS: Twenty Four erfuhr eine rasche Weiterentwicklung bis hin zur Version 3.0, mit der allerdings niemand so recht zufrieden war -nicht nur in bezug auf die Betriebssicherheit. War zum Zeitpunkt des 3.0 Updates schon klar, daß Cubase kommen würde?

MR: Das Problem war, daß es von Atari kaum Entwicklerunterlagen, geschweige denn Programmier-Tools gab, und so war zwar der Rechner leistungsfähig aber das Konzept von Twenty-Four am Ende. Man hat da immer noch obendrauf gepackt und daran herumgeändert, das war alles etwas unglücklich. Uns war klar, daß wir für eine kommende Neuentwicklung mit einem offeneren Konzept bei Null anfangen müssen.

TOS: Von wem stammt das Cubase-Konzept?

CS: Wir haben einerseits intern mit sehr vielen Leuten darüber gesprochen, andererseits sind aber auch die zahlreichen User-Inputs und deren Ideen für einen idealen Sequenzer zu einem Großteil in Cubase mit eingeflossen. Da viele Sequenzer-Programme von ihrer Struktur doch recht undurchsichtig waren, entschieden wir uns für das in Cubase verwirklichte grafische Konzept.

TOS: Gab es besondere programmiertechnische Probleme bei der Realisation von Cubase und vor allen Dingen M-ROS, dem MIDI Multitasking System?

CS: Es gab schon Probleme mit dem Atari oder besser: es gibt sie immer noch. Es existieren einige Routinen im Betriebssystem die sehr unsauber programmiert sind, z.B. die Stackpointer- und Interrupt-Verwaltung, so daß M-ROS stärker intern eingreifen muß, als es eigentlich sollte. Es wird jetzt langsam besser, bei einem TT muß das M-ROS nicht mehr so viel patchen, aber vom Idealzustand kann man noch immer nicht sprechen.

TOS: Wieviel Mannjahre dauerte die Cubase-Entwicklung?

MR: In Cubase 1.0 stecken ungefähr 10 Mannjahre Entwicklungszeit.

TOS: Wieviele Mitarbeiter sind mittlerweile bei Steinberg beschäftigt?

MR: Inzwischen haben wir dreißig Mitarbeiter, davon achtzehn Programmierer, von denen fünf zum ständigen Entwicklungsteam von Cubase gehören.

TOS: Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Musikern, auch gerade TOP-Musikern, die die Software ja häufig unter extremen Studiobedingungen nutzen?

CS: Sehr gut! Ein Großteil der User-Anregungen hat Eingang in die Version 3.0 gefunden. Für uns ist natürlich auch die Kooperation mit großen Studios wichtig, da dort besonders versteckte Fehler im allgemeinen häufiger auftreten als im Homerecording-Bereich.

TOS: Ist Cubase 4.0 schon in Planung?

MR: Was?

CS: Das kann man so nicht direkt beantworten. Aber unser Konzept ist ja recht flexibel...

TOS: Für den Macintosh gibt es bereits eine Cubase-Umsetzung. Fehlt nur noch ein Betriebssystem, um das Triumvirat zu komplettieren.

MR: Eine PC Version für 386er Rechner unter Windows erscheint im Januar 92. Atari hat ja auch gerade einen 386er herausgebracht (grinst).

TOS: Die Firma Atari ist nun ein ganz eigenes Thema, gerade in bezug auf Entwickler-Support.

MR: Absolut!

CS: Das ist irgendwie eine ganz andere Welt. Es gibt schon Probleme, vor allen Dingen auch für den User. Aber für uns ist der Atari deshalb noch lange nicht gestorben. Zumal jetzt viele Leute planen, doch auf den TT, eine gute und schnelle Maschine, umzusteigen.

MR: Manches verstehe ich halt nicht bei der Firma, denn ich kenne da ein paar gute, fähige Leute, die sich viel Mühe geben.

TOS: Das ST Notebook besitzt keinen ROM-Port und wie man hört, will Atari bei künftigen Rechner der ST/TT Linie auf diese Schnittstelle komplett verzichten. Wäre es für Steinberg denkbar, Software ungeschützt auf den Markt zu bringen?

MR: Nein, leider nicht. Wenn man bedenkt, daß es sich bei zwei von drei benutzten Cubase-Programmen um Crack-Versionen handelt, wird klar, daß wir auf einen Kopierschutz nicht verzichten können. Sollte der ROM-Port nicht mehr zur Verfügung stehen, weichen wir auf den Drucker-Port aus.

TOS: Ist denn der wirtschaftliche Verlust durch Raubkopien höher als die Kosten für den Key an sich und dessen Programmierung?

MR: Da bin ich mir nicht sicher. Aber wir sind schließlich auch dem ehrlichen Kunden gegenüber verpflichtet, für den es nur schwer einsichtig ist, 1000 Mark für ein Cubase zu bezahlen, wenn sein Nachbar das Programm umsonst nutzt, und die Firma nichts hiergegen unternimmt. Man merkt zudem ganz deutlich, wenn die gecrackten Versionen auf den Markt kommen: die Händler sind dann kaum noch bereit, die Software anzubieten, weil sich ihre Kunden die Programme bereits umsonst besorgt haben.

TOS: Plant Steinberg, in Zukunft auch noch andere Rechner, wie z.B. den NeXt, zu unterstützen?

MR: Nein, konkrete Pläne existieren noch nicht. Ich liebäugele momentan allerdings mit dem »Indigo« von Silicon Graphics, einer absoluten Monster-Maschine mit zwei 300- MByte-Platten, einem optical Drive, AES/EBU Schnittstelle, 16Bit DA/AD, enormer Grafikauflösung und so weiter und so fort. Eine irres Gerät, kostet allerdings auch 20.000 Mark. Ich denke aber, daß der Workstation Multi-Media-Bereich in der nächsten Zeit enorm an Bedeutung gewinnt und auch für kleinere Studios und sogar Homerecorder interessant und bezahlbar wird.

CS: Ich überlege ja auch immer, ob Atari nicht noch irgendetwas in dieser Richtung in der Hinterhand hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie diese Entwicklung einfach so an sich vorbeirauschen lassen.

TOS: Ist es für Steinberg problematisch, anderen Herstellern M-ROS zur Verfügung zu stellen, auch wenn diese damit einen eigenen Sequenzer programmieren möchten?

MR: Nein, überhaupt nicht. Wir begrüßen es, wenn der Musiker die Möglichkeit hat, aus einem großen Angebot zu wählen. Konkurrenz belebt schließlich auch das Geschäft! Allerdings halte ich es für recht mutig, heutzutage einen neuen Sequenzer zwischen C-LAB und Steinberg zu plazieren.

TOS: Wir bedanken uns für dieses Gespräch.


Kai Schwirzke
Aus: TOS 01 / 1992, Seite 104

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