Trotz Wegwerfaufruf für Umverpackungen, ganz hüllenlos läßt sich so manche Ware doch nicht verkaufen. Aber haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie Sie eine Milchtüte designen müssen? Das ist nämlich wesentlich schwieriger als Sie vielleicht glauben.
Die Geschichte wiederholt sich regelmäßig. Kleine Design-Büros oder freiberufliche Designer stellen irgendwann fest, daß externe Satzaufträge nicht nur unnötige Kosten erzeugen; sondern auch Zeit und Ärger verursachen. Besonders wenn die heiß ersehnte Satzfahne einen Fehler enthält oder nicht in das Layout paßt, gerät der Grafiker unter Zeitdruck. Natürlich kennt inzwischen jeder Gestalter die Möglichkeiten des Desktop Publishing und so hält über kurz oder lang jeder Ausschau nach geeigneter Hard- und Software. Wer Wert auf Status-Symbole legt, stellt sich einen (Big)Mac auf den Tisch und einen Porsche vor die Tür. Der Sicherheitsdenker investiert in IBM-Kompatible und fährt Volvo. Dann gibt es die Unverbesserlichen, die mit DTP Geld verdienen wollen. Nicht wenige davon sind mittlerweile mit Atari-Hardware und deutscher Gestaltungs-Software ausgestattet, denn eine Atari-DTP-Anlage ist zwar nicht mehr billiger als eine PC-Windows-Lösung, aber der Leistungsvergleich zeigt dann doch starke Vorteile der nur auf den ersten Blick exotischeren Atari-Lösung. Wird das neue »Spielzeug« zunächst vorsichtig und unsicher eingesetzt, übernimmt es mehr und mehr Aufgaben im Designbüro. Anfangs spart der Gestalter lediglich die externen Satzaufträge ein. Während der Satzerstellung am Computer entstehen durch die neue Flexibilität mehrere Gestaltungs-Variationen. Da sich die unterschiedlichen Layouts per Tastendruck in wenigen Sekunden auf Papier bringen lassen, liegt nichts näher, als sie dem Kunden zu präsentieren - und zwar ohne Kleberänder als colorierter Laserdruck, Thermotransferdruck oder Proof. Die neue, verbesserte Kundenpräsentation sorgt schnell für zusätzliche Aufträge und neue Aufgabenstellungen. Der Ausbau des DTP-Equipments und vielleicht des Mitarbeiterbestands sind unvermeidlich und lassen nicht wenige »kleine Anfänger« in sehr kurzer Zeit zu umsatzstarken Studios expandieren. Natürlich tauchen mit der Auftrags-Expansion auch neue Aufgabenbereiche auf, die man nur mit einer guten Portion Kreativität und der notwendigen Information bewältigen kann. Und irgendwann kommt er dann, der Kunde, der eine Verpackung für sein Produkt benötigt.
Verpackungsgestaltung stellt jedes DTP-System auf die Belastungs-Probe. Gerade im Bereich Verpackung scheitert nicht selten normale DTP-Software an den sehr hohen Anforderungen. Verpackungen werden fast ausschließlich farbig und mit teuerster Ausstattung gestaltet, wobei sich bei weitem nicht alle mit vier Farben begnügen, sie enthalten Vektorgrafiken, aufwendige Schriftgestaltung, farbige Rastergrafiken, Prägungen etc. Zudem muß eine Abwicklung der Verpackung gestaltet werden, das heißt, daß alle Elemente in unterschiedlichen Winkeln zueinander stehen. Falt-, Schnitt- und Stanzmarken müssen exakt positioniert sein. Problematisch sind auch die Dose oder der Lippenstift. Was tun, wenn der Kunde spiralförmig um die Verpackung laufende, diagonale Linien wünscht? Mit Formsatz zwischen den Linien? Gut wer beispielsweise statt auf »Pagemaker« auf »Calamus SL« zurückgreifen kann. Hier lassen sich alle Anforderungen ohne den Rückfall auf Klebstoff-Dispenser und Satzfahne bewältigen. Bis es soweit ist, braucht der Gestalter allerdings möglichst viele Informationen von seinem Auftraggeber. Die erste Frage ist natürlich die nach dem Packgut, also danach, was denn zu verpacken sei. Dann muß nach der Art der gewünschten Verpackung gefragt werden. Verpackung kann eine Dose sein, eine Flasche, ein Blister (das sind diese typischen Kaufhaus-Gondel-Verpackungen, die aus einer Tiefziehfolie bestehen, die das Produkt gut sichtbar auf einer Pappe hält), eine Tüte, eine Faltschachtel etc. Die Verpackungsformen werden üblicherweise nicht mehr vollständig selbst entwickelt, da die Produktionskosten hierdurch zu hoch wären. Meistens handelt es sich bei der Gestaltungsaufgabe um eine sogenannte »Faltschachtel«, deshalb widmet sich der Artikel hauptsächlich dieser Verpackungsform. Ebenso wie bei den anderen Verpackungen gibt es auch bei der Faltschachtel Standard-Verpackungsformen, die jeder Anforderung gerecht werden und deren Abwicklung das Material (also die Kartonage) möglichst optimal nutzt, weil sie wenig Verschnitt produziert. Es hat also herzlich wenig Sinn, völlig neue Abwicklungen zu ersinnen. Weder der Faltschachtelhersteller noch der Kunde wären davon begeistert.
Doch zurück zum zu verpackenden Produkt. Das Produkt bestimmt die Erscheinungsform der Verpackung. Die bekannten Faltschachtel-Typen wurden von der Faltschachtel-Industrie nach ihren Erscheinungsformen in Gruppen zusammengestellt, da gibt es hoch- und querformatige Faltschachteln, breitformatige Gürtelschachteln, Klappdeckelschachteln, Stülpdeckelschachteln, Faltschachteln mit nicht rechteckigen Flächen, Mehrstückverpackungen, Produkt-Displays, Faltschachtel-Trays, Fenster-Faltschachteln...
Die Lektüre der einschlägigen Informationsbroschüren bestärkt den Leser in dem Glauben, die Welt sei eine Schachtel (oder ist die Schachtel eine versteifte Form der Tüte?) Wichtig für die richtige Wahl aus der Vielzahl der Verpackungen ist neben dem Schutz des Produktes vor Stoß, Nässe und Druck die Umweltverträglichkeit (kein Kunststoff, kein Klebstoff, möglichst wenig Material, evtl. Zusatznutzen), Transport- und Lagerfähigkeit und die Art des Abpackprozesses. Der Abpackprozeß besteht aus dem Aufrichten, dem Füllen und dem Verschließen der Schachtel. Manuelles Abpacken bedeutet, daß alle drei Arbeitsgänge kosten intensiv von Hand ausgeführt werden. Halbautomatisches Abpacken bedeutet, daß mindestens ein Arbeitsschritt maschinell machbar ist. Das vollautomatische Abpacken spart durch den Verzicht auf Handarbeit dem Kunden Geld und sichert dem Gestalter dadurch vielleicht den nächsten Auftrag.
Ist endlich die Wahl auf eine Verpackung gefallen, geht es an die Arbeit. Zunächst benötigen Sie die Abwicklung der Verpackung. Jeder halbwegs räumlich denkende Designer kann so eine Abwicklung selbst entwickeln, aber aus den bereits genannten Gründen empfiehlt sich eher der Griff zum Telefon. Hat sich ein Hersteller für die spätere Produktion gefunden, bestimmt man die Form und vor allem die Bemaßung der Schachtel. Die Maßangaben für Faltschachteln sind international einheitlich definiert. Natürlich kann der Designer die Schachtelgröße bestimmen, dies sollte aber immer in Zusammenarbeit mit dem Hersteller geschehen. Standardgrößen sparen Produktionskosten. Die Maße sind Innenmaße in Millimeter und werden von Mitte der Rillinie zu Mitte der Rillinie gemessen. Die Rillinie ist die spätere Kante, sie wird »gerillt«, und eine Rille hat natürlich eine bestimmte Breite. Liegt also lediglich ein Muster vom Hersteller vor, muß am flachliegenden Zuschnitt gemessen werden, aber bitte mit einem Halbmillimeter-Lineal. Mit Außenabmessungen arbeitet der Verpackungs-Gestalter nur, wenn Faltschachteln als Innenverpackungen einer Mehrstück- oder Sammelverpackung vorgesehen sind. Doch das ist bei Erstaufträgen wohl die Ausnahme.
Liegen die Maße nur als Zahlenangabe vor, gilt immer die Reihenfolge AxBxH. A und B sind die Kanten der Schachtel-Grundfläche, H ist die Höhe. Da der Mensch dazu neigt, bequem zu sein, verfallen viele Verpackungs-Neulinge, die eine maßhaltige Zeichnung erhalten haben, auf den Scanner. Dereingescante Grundriß soll als Fundament der neuen Gestaltung dienen. Die Folgen können verheerend und vor allem teuer werden, da nur absolute Maßhaltigkeit zu einer schönen Verpackung führt. Spätestens nach dieser Erkenntnis sollten naserümpfende Atari-Gegner einen Blick auf die Funktionspalette von Calamus SL werfen. Die Möglichkeit der numerischen Positionierung aller grafischen Elemente garantiert hier eine Genauigkeit, die angeblich professionelle Windows-Software nur mit sehr viel Mühe und Mausakrobatik erreicht. Zudem bietet SL zahlreiche Funktionen, die andernorts nur in Grafikprogrammen auftauchen.
Doch zur Sache. Liegen die Grundmaße vor, wird ein ausreichend großes Calamus-Dokument erzeugt. Die Aufgabe des Gestalters ist das Design der Schachteloberfläche, deshalb arbeitet er ja mit einem DTP- und nicht mit einem CAD-Programm. Trotzdem wird zunächst der präzise Grundriß für die Reinzeichnung vorliegen. Ohne den geht's nicht. Auf der Oberfläche hat die Grundrißzeichnung allerdings nichts zu suchen. Schwierig? Nicht wenn man mit Calamus SL arbeitet. Der Grundriß wird auf der Stammseite erzeugt, die Gestaltung auf der Layoutseite. Die Abwicklung der Schachtel steht so während des Gestaltungsprozesses zur Verfügung und läßt sich außerdem für die Werkzeug-Herstellung getrennt ausgeben. 1st die Reinzeichnung allein zu belichten, so reicht das Austauschen der Stammseite. Im Linienmodul läßt sich die Linenstärke entsprechend der Kartonagendicke für die Gestaltung, oder möglichst fein für Stanzwerkzeuge einstellen.
Etwas mühsam im Vergleich mit CAD oder Vektorgrafik-Programmen muß man nun aus einzelnen Linien und Rasterflächen die Abwicklung der Schachtel erzeugen. Rasterflächen werden für Kreise, Quadrate, Rechtecke oder Rhomben verwendet. Die Fläche ist dabei je nach Bedarf weiß oder transparent, während die Kontur die gleiche Linienstärke besitzt wie die Linien. Die Maus sollte bei dieser mühsamen Vorarbeit möglichst oft ruhen, da nur durch die numerische Positionierung der Gestaltungselemente (rechts oben in der Calamus-Kopfzeile) eine wirklich maßhaltige Arbeit möglich ist. Selbstverständlich ist auch die numerische Größendefinition der Rasterflächen unumgänglich. Für komplexe Formen steht zusätzlich das Vektor-Modul zur Verfügung. Wichtig ist der saubere Übergang von Geraden in gebogene Linien oder Kreise, der Anschluß muß sauber und knickfrei, also in der Regel tangential sein. Normalerweise sind Faltschachtel-Abwicklungen relativ einfach und lassen sich zügig nachbilden. Sinnvoll ist auf jeden Fall die Festlegung von Rahmengruppen und das Schützen der Rahmen.
Ist der Grundriß fertig und als Stammseite gespeichert, kann sich der Designer auf der Layoutseite endlich der Gestaltung widmen. Insbesondere bei komplexen Schachteln empfiehlt sich der Ausdruck einer (notfalls verkleinerten) Musterabwicklung. Der Grundriß kann ausgeschnitten und gefaltet werden, damit sich die richtige Lage von Schrift und Gestaltungselementen überprüfen lassen. Schließlich soll das Produktlogo nicht kopfüber auf der Verpackung stehen. Nirgendwo sonst spielt Farbe eine so verkaufsfördernde Wirkung wie auf der Produktverpackung. Die mannigfaltigen Möglichkeiten des Farb-Moduls von Calamus SL sollten Sie also sorgfältig nutzen. Nicht jeder hat einen True-Color-Monitor und auch der kann für die Farbbeurteilung einer hochwertigen Verpackung nur begrenzt die Arbeit erleichtern. Je nach Auftragsvolumen empfiehlt sich ein Proof oder ein Andruck auf Auflagenkarton. Hausfarben, die sich weder über die Euro-Skala noch über das 4Color-HKS-Modul definieren lassen, legt der SL-Benutzer ebenso wie Metallic- oder Neon-Farben als Schmuckfarb-Auszug an. Zum Schluß sollte der Gestalter nicht vergessen, Raum für die verpackungsüblichen Angaben und den EAN-Code so in das Design zu integrieren, daß nicht die komplette Gestaltung unter diesen unbeliebten Zwangsbeigaben leidet. Wir wünschen Ihnen jedenfalls viel Erfolg mit Ihrer erstent?) Verpackung. (wk)