Guitar Dreams - Wovon Gitarristen träumen...

Als ich mich bereit erklärt habe, einen Testbericht über das Programm Guitar Dreams zu schreiben, wußte ich noch nicht, was auf mich zukommen würde. Ein kleines Musikprogramm, dachte ich, das werden wir doch sehr schnell haben!

Um so erstaunter war ich, als das Programm ankam und ich das Handbuch sah: ein prall gefüllter dicker DIN-A5-Ordner - vorbei das erhoffte freie Wochenende. Meine weitere Auseinandersetzung mit dem Programm könnte man in etwa so beschreiben: Nach dem Entsetzen kam Neugier auf. dann Interesse, Freude, noch mehr Freude und schließlich Begeisterung.

Hier haben wir es tatsächlich mit einem absolut emstzunehmenden und äußerst interessantem "Gitarrenlehrwerk" zu tun. das sich auch in gedruckter Form nicht verstecken müßte. Die hervorragende Ausführung als Computerprogramm nutzt zudem konsequent die Möglichkeiten eines Rechners für einen zusätzlichen Gewinn an Flexibilität und hilft auch akustisch als Übungspartner.

Guitar Dreams unterstützt den Gitarristen sowohl beim Erlernen von Akkorden als auch beim Einüben von Skalen für das Improvisieren.

Ein Anfänger ist mit dem Programm als Autodidakt zwar sicher überfordert, der etwas Fortgeschrittenere wird dagegen alleine oder zusammen mit einem Gitarrenlehrer sehr von Guitar Dreams profitieren können.

Das Programm kommt auf einer 3.5"-Diskette, ist nicht kopiergeschützt und kann deswegen ohne Schwierigkeiten auf die Festplatte kopiert und von dort aus gestartet werden. Guitar Dreams läuft auf allen ATARI-ST- und -STE-Rechnern und ist bereits mit 1 MB Speicher zufrieden. Das Programm ist mit Farbe, Großbildschirmen und Falcon lauffähig. Ein MIDI-Keyboard oder Expander-Modul sind zur vollen Ausnutzung der Möglichkeiten des Programms empfehlenswert, zur Not geht es aber erst einmal auch ohne.

Einmal gestartet, präsentiert sich Guitar Dreams mit dem Hauptbildschirm, dem sogenannten Gitarrenbildschirm. Dieser ist zu meiner Überraschung zwar sehr hübsch, aber nicht GEM-konform. Accessories sind trotzdem zugelassen und über einen kleinen Umweg zu erreichen. Auch die Anordnung der Menüs hält sich im großen und ganzen daran, was man beim ATARI normalerweise gewohnt ist. Optisch erinnert die Bedienungsoberfläche mit der dreidimensionalen Darstellung an die Falconoberfläche oder an Windows. Tatsächlich wird das Programm außer für ATARI auch für IBM-kompatible PCs angeboten. Auf dem Falcon kann das Programm auch in einem Fenster laufen, mit direkt erreichbaren Accessories. Allerdings arbeitete bei diesem Modus bei mir das Programm so schnell, daß man die Menüs nicht mehr bedienen konnte. Keine Katastrophe, verzichten wir eben auf das Fenster.

Zunächst wird man das System auf die eigenen Bedürfnisse konfigurieren, indem man den MIDI-Kanal und die Programmnummer einstellt, auf der dem Synthesizer ein Gitarrenklang entlockt werden kann. Danach sollte das Stimmen der eigenen Gitarre nach dem Synthesizer erfolgen. Hier wird man vom Programm tatkräftig unterstützt, durch das Anklicken mit der rechten Maustaste können nämlich die entsprechenden Töne angespielt werden. Ein Tip an den Verfasser des Handbuchs: Den "oberlehrerhaften" Tip mit der Stimmgabel sollte man bitte schnell aus dem Handbuch entfernen.

Guitar Dreams ist ein leicht erlernbares und bedienbares Programm, zudem können die wichtigsten Tastenbelegungen in einer kleinen Online-Hilfe jederzeit am Hauptbildschirm nachgeschaut werden.

Der Gitarrenbildschirm mit drei Griffbrettabbildungen stellt die Bedienungsoberfläche des 1. Teils von Guitar Dreams dar. Rechts eingeblendet eine Akkordauswahl.

Der Gitarrenbildschirm

Auf dem Gitarrenbildschirm kann man Skalen und Akkorde ganz unterschiedlicher Art und in unterschiedlichen Lagen darstellen. Untereinander auf dem Bildschirm stehen zunächst, auf drei Griffbrettern dargestellt, die Notennamen, Intervalle und Fingersätze eines angewählten Akkords oder einer Skala. Man kann selbst wählen, ob man ein Griffbrett gegen eine Tastatur oder Noten eintauschen möchte.

Wählt man die Einblendung von Noten, bekommt man gleich zwei dicke Notenlinien und verliert zwei Griffbretter. Eine kleiner dimensionierte Notendarstellung mit der Möglichkeit, weiterhin wenigstens zwei Griffbretter auf dem Bildschirm dar stellen zu können, wäre praktischer.

Der Autor hat eine Einteilung aller Akkorde und Skalen in fünf wiederkehrende Grifftypen vorgenommen, zwischen diesen kann ganz leicht umgeschaltet werden. So bekommt man von jeder Tonleiter gleich Fünf Fingersätze und von jedem Akkord fünf Grifftypen.

Ob man die Grifftypen nach diesem oder einem anderen Muster darstellt und lernt, ist im Prinzip meiner Meinung nach gar nicht so wichtig. Musik kann man nicht wie eine exakte Naturwissenschaft betreiben, jeder Musiker und jeder Lehrer wird einen etwas anderen Zugang zu der Materie haben. Das wichtigste an technischen Voraussetzungen für einen Gitarristen bleibt das Kennenlernen des Griffbretts, der wichtigsten Akkorde und der wichtigsten Skalen in verschiedenen Lagen. Bei allen diesen Aufgaben wird er von Guitar Dreams bestens unterstützt.

Eine riesige Anzahl von Skalen und Akkorden steht in allen Tonarten und verschiedenen Lagen zur Verfügung. Das schönste ist, daß man auch noch selbst eingreifen kann, um zum Beispiel einen anderen Fingersatz als den vom Programm vorgeschlagenen zu wählen oder weitere Töne einem Akkord zuzuFügen. Dabei kann man nichts falsch machen, das Programm erlaubt nur das Setzen von "richtigen", in der entsprechenden Tonleiter oder dem gewählten Akkord vorkommenden, Tönen.

Das Programm stellt alle gebräuchliche Skalen, mit denen in der heutigen Musik improvisiert wird, zur Verfügung. Allein das übersteigt bereits den Umfang der meisten Lehrbücher für Gitarre. Nach der Anwahl eines Akkords kann man in das Skalenfenster klicken, und schon bekommt man alle Skalen angezeigt, die zu diesem Akkord genau passen. Hier ist natürlich die Auswahl der einen oder anderen Skala Geschmacksache. Die Skala Superlokrisch (alteriert) habe ich manchmal, zum Beispiel bei den #5- oder 7/#5-Akkorden vermißt. Das sind natürlich Nuancen: festzuhalten ist. daß Guitar Dreams genau da hilft, wo es viele brauchen, bei der Frage, welche Skala zu welchem Akkord paßt.

Akkord Set

Die Akkorde, mit denen man Weiterarbeiten möchte, kann man durch Anklickender Taste "m" (merken) speichern, sie werden mit dem Stück abgespeichert und stehen nach dem Laden wieder zur Verfügung. Für diese Akkorde gibt es ein eigenes Fenster, in dem man hoch und runter scrollen. Akkorde hinzufügen und löschen kann. Klickt man einen Akkord an. wird er auf dem Griffbrett dargestellt.

Der Vielfalt und der großen Anzahl der Akkorde als positiver Effekt der "Computerisierung" steht als kleiner negativer Effekt gegenüber, daß manche Akkorde aufgeführt werden, die praktisch so gut wie nie gespielt werden, es sollen aber eben immer alle Fünf Grifftypen aufgeführt werden. Es fehlt also ein wenig die Auswahl : die Betonung des Wichtigen und das Weglassen des Unwichtigen. Das wird aber sicher jeder gern in Kauf nehmen, man gewinnt dafür eben sehr viel Material zur Auswahl. Schließlich kann man auch nach Gehör entscheiden, was gefallt und was nicht, ein Gitarrenlehrer ist hier natürlich auch Gold wert.

Tonart

Guitar Dreams ermöglicht die Vorwahl einer Tonart und damit eine Beschränkung der gegebenen Möglichkeiten. Hat man sich nämlich einmal Für eine Grund -tonart entschieden, sind nur noch Akkorde, die auf den Tönen der entsprechenden Dur- oder parallelen Molltonleiter gebildet werden, zugelassen. Diese Einschränkung ist durchaus sinnvoll, wenn man zum Beispiel zu tonleitereigenen Akkorden improvisieren möchte. Unter dem Menüpunkt Stufen können die einzelnen Stufen der gerade eingestellten Tonleiter dargestellt werden, durch einfaches Anklicken hat man gleich die tonleitereigenen Akkorde auf dem Bildschirm und kann sie in einem Set speichern. Will man wieder alle Möglichkeiten offen haben, wählt man "freie Tonart" an.

Besonders interessant wird diese Funktion dadurch, daß Für die Molltonart vorgewählt werden kann, ob man von einer äolischen, harmonischen oder melodischen Molltonleiter ausgehen möchte. So be kommt man also ohne viel Mühe zum Beispiel die tonleitereigenen Akkorde der C-melodisch-Mollskala und kann sich anschauen, zu welchen Akkorden man versuchen kann, mit ihr zu improvisieren. Auf jeden Fall läßt das Programm den Anwenderauch beim Experimentieren mit diesen Skalen nicht allein.

Das Tonartmenü ist grafisch schön in Form eines Quintenzirkels gestaltet.
Das Akkordmenü
Das Skalenmenü: zum Akkord passende Skalen werden vom Programm automatisch markiert.

Skala oder Akkord

Im Menü Modus kann man die Arbeitsweise von Guitar Dreams weiter beeinflussen. Stellt man hier Akkord ein, werden auf den Griffbrettern Akkorde des gerade angewählten Typs dargestellt. Bei der Einstellung Skala sind dementsprechend die angewählten Tonleitern zu sehen.

Offen für Stimmungen

Unter dem Modus Menü findet man außer verschiedenen Möglichkeiten der Voreinstellung den unscheinbaren Punkt "Umstimmen". Dahinter verbirgt sich eine Funktion, die ich bisher noch in keinem mir bekannten Programm gesehen habe. Hier kann man eine eigene Stimmung der Gitarre einstellen (Open Tuning), das Programm arbeitet dann mit dieser Stimmung weiter. Es merkt sich also die Stimmung der Gitarre (zum Beispiel tiefe E-Saite auf D heruntergestimmt) und zeigt alle verfügbaren Akkorde modifiziert für diese Stimmung an. Einige übliche "Open Tunings" werden vom Programm bereits fertig angeboten und müssen lediglich angeklickt werden. Andere, ausgefallenere können Sie selbst herstellen. Zugegebenermaßen ist die Anzahl der Gitarristen, die mit umgestimmten Gitarren arbeiten, nicht riesig, aber die Idee ist hervorragend, und jeder, der mit unterschiedlichen Stimmungen experimentiert, wird für diesen Zusatz im Programm sehr, sehr dankbar sein.

Dann gibt es da tatsächlich auch noch den Menüpunkt Kapodaster. Wie Sie sich vorstellen können, wird hier der Einsatz eines solchen simuliert. Schaden tut es ja nicht, dem einen oder anderen wird auch diese Funktion vielleicht helfen können.

Linkshänder aufgepaßt!

Der Menüpunkt "Linshänder" ist ein Feature, welches für die Mehrheit der Anwender unwichtig ist. Für einen Linkshänder wird aber erst durch diesen Punkt das Programm sinnvoll nutzbar. Die Darstellung aller Griffbretter wird umgedreht und erscheint so, wie es der Linkshänder gewohnt ist. Ein dickes Lob, daß auch daran gedacht wurde!

Der elektronische Kollege Begleitgitarrist

Der zweite Teil von Guitar Dreams ist ein kleiner Sequenzer, der beim Einüben von Tonleitern und der Improvisation für die nötige Begleitung sorgt. Die soziale Funktion eines befreundeten Musikers wird das Programm zwar nicht ersetzen, aber einen geduldigeren Begleitgitarristen, der sich nie darüber beschweren wird, daß er stundenlang eine Akkordfolge spielen soll, wird man kaum finden können.

Aufgerufen wird der Sequenzer mit F2 oder einem Klick auf den Menüeintrag "Sequenzer". Hier kann man die Akkorde von einem beliebigen Stück eingeben, die vom Computer mit Hilfe des Synthesizer abgespielt werden. Dieses Song-Playback kann auch als MIDI-Standard-File exportiert werden. Das eröffnet die Möglichkeit, die Gitarrenbegleitung in einem der handelsüblichen Sequenzer-Programme zu einer Bandbegleitung auszubauen.

Die bereits vorher am Gitarrenbildschirm gespeicherten Akkorde stehen auch im Sequenzer-Teil zur Verfügung, sie stellen eine Art Bindeglied zwischen den zwei Programmteilen dar, was ich sehr praktisch und gelungen finde. Die Eingabe der Akkorde in das Leadsheet erfolgt ganz einfach durch Anklicken.

Hat man sein Playback komplett, kann man noch einen passenden Rhythmus für die Begleitung herstellen. Das geht ebenfalls sehr einfach durch Anklicken. Klickt man jetzt noch groove an. ist der Grundrhythmus des Stückes festgelegt. Ein weiterer Rhythmus kann für Fill Ins definiert und bestimmten Takten zugeordnet werden. Dabei können mehrere unterschiedliche Fill Ins definiert und an unterschiedlichen Stellen eingesetzt werden.

Menü zur individuellen Einstellung der Hauptseite und zur Einstellung der Gitarrenstimmung
Sequenzer Bildschirm mit unten eingeblendetem Rhythmus, Leadsheet im Blocksatz, bereit zum Ausdrucken.
Die Einstellung einer eigenen Gitarren Stimmung erfolgt durch das Ziehen der Pfeile über dem Keyboard auf die gewünschte Tonhöhe.
Unter dem Menüpunkt MIDI-Vorgaben wird Guitar Dreams auf den Synthesizer eingestellt.

Die Darstellung im Sequenzer Fenster kann verändert werden, um zum Beispiel statt des gewählten Rhythmus den Akkord unter dem Cursor auf dem Griffbrett dargestellt zu bekommen. Als eine Art Vorschau kann mit der rechten Maustaste in dass Akkordfenster geklickt werden. Auf diese Art und Weise werden Akkorde noch nicht direkt in das Leadsheet übernommen, sondern als Abbildung auf dem Griffbrett dargestellt. So kann man sich in aller Ruhe ersteinmal einen Akkord ansehen, bevor man ihn einfügt.

Abspielen im Kurzschluß entspricht einem wählbaren Cycle. Das Playback muß nicht immer von vorne bis hinten durchgespielt werden. Sie können sich schwerere Passagen, die Sie gerade üben möchten, heraussuchen und als Cycle definieren. Das Programm spielt dann eben diese Passage immer wieder ab.

Das Harmonieschema können Sie jetzt auch ausdrucken und so vom Bildschirm unabhängig werden. Dabei würde man sich über eine editierbare Zeile zum Einträgen des Titels und des Autors freuen, zur Zeit wird der Pfad als Titel ausgedruckt. Im Gegenzug könnte man die Copyright Meldung auch noch mit kleinerer Schrift ausdrucken.

Die Kritikpunkte

Angesichts eines so einmaligen, sinnvollen und hervorragendem Programmes, fallen die Kritikpunkte kaum ins Gewicht. Trotzdem:

Die Tastatur-Shortcuts, die in Guitar Dreams zur Verfügung stehen, sollten in den Menüs aufgeführt werden, damit man nicht immer erst im Handbuch oder der On-Line-Hilfe nachlesen muß. Tastaturbefehle und Buttons zum Anklicken haben zum Teil unterschiedliche Buchstaben, sie sollten vereinheitlicht werden. So erscheint beim Anklicken des Knopfes "S" ein Fenster mit dem Akkord-Set, beim Drücken der Taste "S" wechselt die Einstellung von Akkord auf Skalen. Das muß nicht sein. Der angewählte Menüeintrag bekommt vor den Nameneinen Pfeil; gewöhnungsbedürftig, daß auch Menüeinträge, die normalerweise bei den meisten Programmen mit einem Häckchen versehen werden (Flags), hier ebenfalls ein Dreieck bekommen.

Das Handbuch ist nicht nur dick, sondern auch sehr informativ, nicht nur Programmfunktionen, sondern auch musikalische Regeln und Tips stehen drin. Lediglich eine kleine Einleitung würde nicht schaden. Sie könnte darüber aufklären, warum der Autor das Programm geschrieben hat. Für wen es gedacht und wer damit überfordert ist (zum Beispiel Gitarrenanfänger). Auch eine noch bessere Gliederung der reichhaltig vorhandenen Information würde das Handbuch noch aufwerten. Ich würde mir die Möglichkeit wünschen, einen DEF.-Song zu speichern, der gleich nach dem Programmstart mit den individuellen Einstellungen (zum Beispiel Drucker...) geladen wird.

Ein Highlight für Gitarristen

Anders kann man dieses Programm nicht sehen. Es ist konkurrenzlos auf dem Markt und jedem Gitarristen, der einen ATARI besitzt und sich ernsthaft mit Musik auseinandersetzen möchte, wärmstens zu empfehlen.

Bezugsquelle: SoundPool

Brunsbütteler Damm 5 13581 Berlin

Guitar Dreams

Positiv:

bietet gute Lern- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Gitarristen aller Art
kleiner Sequenzer als Begleitautomat integriert
kein Hardware-Kopierschutz

Negativ:

nicht ganz GEM-konform programmiert
Tastatur-Shortcuts werden nicht im Programm angezeigt


Juraj Galan
Aus: ST-Computer 06 / 1994, Seite 20

Links

Copyright-Bestimmungen: siehe Über diese Seite