Hoffnungsträger der TOS-Welt: Milan

Der Milan ist nun seit einigen Wochen in größeren Stückzahlen verfügbar, und schon jetzt lässt sich erkennen, dass das Angebot kaum die Nachfrage befriedigen kann. Ein gutes Omen für die Zukunft des jüngsten TOS-Computers?

Für viele ATARI- und TOS-Anwender scheint festzustehen, dass der Milan der Nachfolger des aktuellen ATARI ist. Selbst Mac-Umsteiger kehren in einer beträchtlichen Anzahl zurück. Nach Pleiten wie z.B. dem Eagle, der niemals erschien, erscheint es uns wichtig, zu überprüfen, welches Konzept das Milan-Team verfolgt und inwieweit das aktuelle System "Hand und Fuß" hat.

Die Redaktion hat drei Rechnersysteme aus der ersten Produktionsserie erhalten, so dass die Sommerpause bestens genutzt werden konnte, um den Milan genauestens unter die Lupe zu nehmen und ihn ggf. gegen ältere, im Einsatz befindliche TTs auszutauschen.

Wie Sie unseren Artikeln in der Vergangenheit entnehmen konnten, gibt es den Milan sowohl als Komplettsystem als auch in Form eines reinen Motherboards zu kaufen. Letztere Variante ist sicherlich für alle diejenigen User sinnvoll, die im Umgang mit PC- und ATARI-Hardware geübt sind und zudem über die relevanten Zusatzkomponenten verfügen. Auch wir haben die Motherboard-Variante erhalten, um den Zusammenbau nachvollziehen zu können.

Die Motherboard-Variante

Das Motherboard verfügt über eine 68040 CPU, einen Kabel- und Treiber-Satz. Die Kabel sind notwendig, um die Anschlüsse für die Serielle- und Parallele- sowie die Maus-Schnittstelle herauszuführen. Die Treibersoftware wird sowohl auf CD-ROM als auch auf Disketten ausgeliefert. Folgende Software befindet sich auf der CD:

Die Lieferung des Systems erfolgt in einem adäquaten Zustand, denn neben dem reinen Rechnersystem erhält der Kunde ein rund 50seitiges Handbuch, eine Betriebssystem-CD inkl. Systemdisk, die Festplattentreiber, Grafikkarten-Treiber usw. beinhaltet, diverse Registrierkarten (Milan-System. Multi-OS, beiliegende Software) sowie eine Maus und eine Tastatur. Als Kunde eines reinen Board-Systems erhält man die Hauptplatine in einer farbigen Verpackung inkl. der oben genannten Komponenten und zusätzlich einen Satz an Kabeln für die diversen Schnittstellen des Milan. Die Betriebsanleitung ist sowohl beim Zusammenbau eines Boardsystems als auch bei der Inbetriebnahme eines Komplettsystems erhältlich.

Installation

Bei vorgefertigten Systemen sollte der Fachhändler bereits eine Installation durchgeführt haben. Sollte dies nicht der Fall sein, ist ein CD-ROM-Laufwerk erforderlich, da das Milan-Multi-OS samt Softwarepackage nur gegen Aufpreis (20,- DM) auch auf Diskette erhältlich ist.
Sie werden sich nun wundern, weshalb wir ständig von einer Betriebssystem-CD schreiben, wurde doch stets gesagt, dass das Milan-Betriebssystem weiterhin im TOS-Eprom steckt. Das ist auch korrekt, aber das Multitasking-Betriebssystem muß dennoch von der Festplatte nachgeladen werden, wie es z.B.auch bei MagiC der Fall ist.
Die Vorinstallation des Milan macht einen zufriedenstellenden Eindruck. Beim Erststart wird man zwar noch von einem altertümlichen 640 x 480 Bildschirm in 256 Farben bzw. monochrom begrüßt, doch dies dient lediglich der Sicherheit. Schließlich könnte es sein, dass ein Anwender einen älteren VGA-Monitor anschließt, der bei höheren Bildschirmleistungen zerstört würde. Die Bildschirmauflösung und die Farbtiefe können sowohl im Single- als auch im Multitasking-Modus vom Desktop aus eingestellt werden. Im Farbmodus wird der Anwender schließlich von einem farbigen Desktop-Look begrüßt, der komplett im Look des modernen Betriebssystem "BeOS" gehalten ist. Sämtliche mitgelieferten Programme sind vorinstalliert und über den Desktop direkt zu starten.
Aber auch einzelne Datei-Endungen sind vorgemerkt, denn klickt ran auf eine TXT-Datei, wird automatisch ein Texteditor aufgerufen. Startet man ein ZIP-File, wird ebenfalls automatisch ST-Zip geladen. Insgesamt stehen dem Anwender mehr als 10 MB an System- und Anwenderdaten zur Verfügung.
Das Installieren von CD-ROM aus ist denkbar einfach, denn es muß lediglich der gesamte Inhalt der CD auf das Wurzelverzeichnis kopiert werden. Eine professionelle Lösung, die über einen Installer verfügt, der das Kopieren einzelner Komponenten ermöglichen soll, ist derzeit in Arbeit.

MultiOS-Funktionen

Überlos Milan Multi OS 1.2 haben wir in der Vergangenheit bereits mehrfach berichtet, ebenso auch über den Desktop Ming. Die wichtigste Neuerung bei Ming dürfte sein, dass die Unterstützung der rechten Maustaste nun endgültig zum Standard gehört. Ming reagiert kontextsensitiv auf das Betätigen dieser Taste. Ist eine Software in einem Fenster markiert, dann kann man diese starten, sich die Informationen zu dieser Software anzeigen lassen uvm. Wichtig ist diese Funktion, da insbesondere bei Verwendung größerer Auflösungen der lange Weg zur Menüleiste gespart werden kann. Nicht umsonst wird diese Unterstützung der rechten Maustaste in nunmehr fast jedem modernen Betriebssystem berücksichtigt. Insbesondere auch Windows-User werden sich somit auch schnell auf dem Milan zurechtfinden. Daher nun zu den Zusatzprogrammen, die im Lieferumfang des MultiOS enthalten sind:

Multistrip
Dies ist die standardmäßig im Multi-OSModus installierte Taskleiste. Auch die Funktion der %Meisten dürfte seit Windows95 fast jedermann ein Begriff sein. Denn im Multitasking-Modus ist es wichtig, die Übersicht über die gestarteten Programme zu behalten und schnell zwischen den einzelnen Applikationen umschalten zu können. Das gewährleistet MutliStrip dadurch, dass die gestatteten Programme und Applikationen auf einer Leiste in Form von Buttons dargestellt werden. Dadurch, dass sich diese Leiste in der Regel am unteren Bildschirmrand befindet (auf Wunsch aber auch beliebig an einen anderen Rand verschoben werden kann), stört sie normalerweise auch keine laufenden Programme. Das Interessante an MultiStrip ist, Aß diese Leiste sehr vielseitig konfiguriert werden kann. So kann der User entscheiden, ob die laufenden Programme als Icons oder als Text dargestellt werden sollen, ob die Leiste bzw. die Buttons eine variable oder eine fixe Länge besitzen sollten etc. Ein ausführlicher Test der bekannten Taskleisten erfolgt in einem separaten Artikel. Selbstverständlich kann MultiStrip auch gegen alternative Taskleisten ausgetauscht werden.

TWSM/2
Ist ein brandaktueller Workspace-Manager und ein Novum auf dem ATARI-Markt. Die Funktion eines Workspace Managers ist von Unix-Systemen her bekannt. Und auch dieses Programmgenre dient der Steigerung des Bedienungskomforts bei Multitasking-Systemen. Denn je nach Anzahl der gestarteten Programme und geöffneten Fenster kann ein Arbeitsplatz (Workspace) sehr unaufgeräumt und unübersichtlich werden. Wenn man aber dennoch z.B. eine Bildbearbeitung und eine Textverarbeitung gleichzeitig geöffnet haben möchte, wobei jedes Programm zudem auch noch seine eigene Aufteilung hinsichtlich der Fensteranordnung usw. besitzen soll, dann kann man nun mittels virtueller Desktops/ Workspaces Abhilfe schaffen. Der Workspace-Manager stellt einen Bildschirm in verkleinerter Form dar, und zwar inklusive aller geöffneter Fenster, Pull-Down-Menüs etc. Nun kann man sich einen Arbeitsplatz für die Textverarbeitung und das Grafikprogramm einrichten und durch Klicken auf die entsprechende Verkleinerung schnell hin- und herschalten.
TWSM/2 erlaubt eine nahezu beliebige Anzahl von Workspaces und ermöglicht zudem die individuelle Gestaltung, indem der User die Größe, Farbe usw. selbständig defnieren kann. Sollten mehrere Personen an einem Rechner arbeiten, wäre es sogar denkbar, dass man für verschiedene Anwendereigene Desktop-Aufteilungen realisiert.

BubbleGEM
Dieses Programm, das eine Sprechblasenhilfe zur Verfügung stellt, sollte jedermann bekannt sein, denn als Freeware-Software wird es inzwischen vielfach eingesetzt.

Home-Editions und Spiele
Über diese Programme werden wir in der kommenden Ausgabe ausführlich berichten.

Praxis

Als reines Single-Tasking-System ist der Milan ebenso einfach und simpel zu bedienen wie jeder andere ATARI auch. Der Desktop hat sich in seiner Optik ein wenig geändert und sieht nun wieder viel zeitgemäßer aus. Im Sinlge-Tasking-Modus gleicht er einer soliden Mischung aus TOS, Win95 und BeOS, im Multitasking-Modus spielt auch noch ein wenig MacOS 7.x hinein, wobei hier optische Modifikationen in absehbarer Zeit ins Hausstehen.
Soweit zu den Äußerlichkeiten des Milan, aber viel interessanter ist seine Kompatibilität. Nach den ersten Tests kann man hier bescheinigen, dass das nahezu Bestmögliche aus der vorhandenen Hardware gezaubert wurde. Schließlich fehlen dem Milan eine Reihe von Chips, die einen Original-ATARI ausmachen. Aber die Entwickler haben sich hier etwas Tolles ausgedacht:
Das System ist in der Lage zu erkennen, wenn eine Software eine Hardware anspricht, die der Milan nicht besitzt. In Bruchteilen von Sekunden wird dieser Zugriff abgefangen und umgelenkt und durch das Milan-TOS emuliert. Das kostet so gut wie keine meßbare Zeit und ist dennoch wirksam. Und sollte es im Laufe der Zeit möglich sein, die Kompatibilität des TOS noch weiter zu steigern, dann kann jeder dieser Schritte per Softwareupdate nachvollzogen werden. Diese Updates wird es dann per Email, Internet, Post oder direkt vom Milan Systemfachhändler zu beziehen geben.
Aber auch schon jetzt- das sollte die aktuelle Kompatibilitätsliste zeigen - läuft nahezu alles an Software, und auch einige wenige Programme, die auf dem TT schon Probleme machten, laufen auf dem Milan einwandfrei. Dank der Kooperation der Entwickler ist neben jahrelanger Hardware- und TOS-Erfahrungen auch die Erfahrung aus der Entwicklung der Emulatoren STemulator und TOS2WIN in das System eingeflossen.

MIDI
Für den Milan gibt es bereits eine MIDI-Karte aus dem Hause Midiman. Diese Karte kostet und kann einfach in den ISA-Port gesteckt werden. Damit sie auch vom Milan genutzt wird, muss nur ein neues MIDI-taugliches TOS im System gespeichert werden. Die MIDI-Karte kann von allen Programmen genutzt werden, die mittels sauberer XBIOS-Zugriffe die MIDI-Funktionen nutzen. Als unbedarfter User werden Sie sich jetzt nun fragen, woher Sie denn wissen können, welches Programm diese Zugriffe gewährleistet. Und da Sie dazu nicht in der Lage sind, wird es unsere Aufgabe als Redaktion sein, dies im Laufe der kommenden Wochen herauszufinden und kontinuierlich darüber zu berichten.
Die meisten Sound-Dump-Programme laufen bereits jetzt mit der MIDI-Karte, einige kleinere Sequenzer auch, doch bei den größeren Vertretern verhält es sich wie folgt:
Cubase greift direkt auf die Hardware des ATARI zu, nutzt also keine XBIOS-Zugriffe und läuft daher zunächst nicht. Erfreulicherweise ist die Milan-Computersystems GbR allerdings in regem Kontakt mit der Firma Steinberg. Für Ende August soll eine Anpassung des MROS-MIDI-Treibers von Cubase an den Milan erfolgt sein, so dass auch dieses Problem noch während des Erscheinens dieser Ausgabe gelöst sein sollte.
Zu Notator können wir derzeit noch keine Angaben machen, da zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch keine ROM-Port-Karte vorlag. Aber auch hier scheint sich eine Kooperation anzubahnen, was sehr erfreulich für alle Musiker ist.

SCSI
Die SCSI-Schnittstelle setzt auf dem mitgelieferten HDDRIVER auf und wird über den PCI-Slot angeschlossen. Bei Redaktionsschluß lag zwar leider nur eine Beta-Version vor, doch sie gewährt Einblick in die endgültige Version, die sich schließlich ähnlich verhalten wird wie die vom ATARI bekannten SCSI-Schnittstellen. Wie beim Falcon auch verfügen die SCSI-Karten über einen SCSI2-Anschluss, so dass hier ein besonderes Kabel zum Anschluss externer Komponenten benötigt wird. Selbstverständlich ist aber auch der interne Anschluß von Geräten möglich.

Betriebssystem
Zur Zeit beherrscht das Milan-Multi-OS zwar noch keine langen Dateinamen, doch da es auf MiNT aufsetzt, ist eine Lösung in wenigen Wochen in Aussicht, denn vom Standard-MiNT gibt es nun eine Variante, die VFAT beherrscht, so dass auch ohne den Einsatz von BigDOS große Festplatten-Partitionen und riesige Festplatten eingesetzt werden können. Eine Anpassung an den Milan ist bereits in Arbeit, und in Anbetracht der Tatsache, dass einer der MiNT-Hauptentwickler, Frank Naumann, nun selbst stolzer Besitzer eines Milan ist, dürfte die Entwicklung schnell voranschreiten. Der nächste Schritt wird darin bestehen, dass die VFAT-Routinen vom TOS-Entwicklerteam auch in das Single-Tasking-System integriert werden, so dass jeder Anwender sowohl im Single- als auch im Multi-Tasking Modus über lange Dateinamen etc. verfügen wird.
Das Single-TOS soll nach Abschluss der nächsten großen Etappe nun definitiv an den TT und den Falcon angepasst und wahrscheinlich auch schon auf der ATARI-Messe in Neuss vorgestellt werden. Wann die endgültige Version für die "alten" ATARI-Geräte verfügbar sein wird, ist z.Z. unklar. Auf alle Fälle würde es sich aber als ideales Weihnachtsgeschenk eigenen, oder!?
Nachdem viele Programme aus dem DFÜ-Bereich inzwischen Gebrauch von HS-Modem machen (so dass es z.B. auch möglich ist, ISDN-Modems inzwischen relativ problemlos am ATARI zu betreiben), wurde es notwendig, dass HS-Modem an den Milan angepaßt wurde. Aber auch hier gibt es Erfreuliches zu vermelden, denn wegen dieser Anpassung ist Herr Scheutzow, Programmierer von HS-Modem, kurzerhand unter die Milan-User gegangen. Dieser Entwicklung ist deutlich anzusehen, dass es mit dem TOS nun so vorangeht, wie es das zu Zeiten ATARIs für eine lange Zeit noch nicht einmal der Fall war. Wer hätte das vor ein oder zwei Jahren noch gedacht?

Milan-Zukunft
Auch hier sieht es rosig aus, denn nachdem der Milan nicht nur inzwischen in rund 15 Ländern angeboten wird, sondern auch eine riesige Nachfrage erlebt, haben die Entwickler angekündigt, an der Serie weiterzuarbeiten. Was in Zukunft zu erwarten ist und wann die eventuellen Nachfolger des Milan erscheinen werden, steht derzeit noch nichtfest, denn darüber wird selbstverständlich Stillschweigen bewahrt.
Feststeht nur, dass die Milan-Home-Edition im Kleinst-Desktop-Gehäuse mit optionalem LC-Display auf der ATARI-Messe in Neuss erstmals vorgestellt wird.

Fazit

Wir bleiben für Sie auf jeden Fall am Ball, denn die Premiere des Milan hat trotz der Verzögerungen einen guten Eindruck hinterlassen:
Die Hardware und das "Drumherum" (Konzept, Handbuch, Lieferumfang, Verarbeitung, Web-Auftritt ...) erwecken einen guten und vielversprechenden Eindruck. Der Endkunde trifft auf ein ausgereiftes Konzept, das sich schon mit dem Erwerb der Rechte am ATARI-TOS-Betriebssystems andeutete, und das darauf schließen lässt, dass viele tausend ATARI-User noch recht lange vom Milan-System ihren Nutzen werden haben können.
In der nächsten Ausgabe geht es mit den ersten nützlichen Tips zur Bedienung des Milan weiter.

Red.



Aus: ST-Computer 09 / 1998, Seite 11

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