Die High-Society der Demo-Crews: Cola, Chips und Codes

Zur Atari-Messe waren sie alle da: Eine Auswahl der besten Demo-Programmierer, Grafiker und Musiker
Bild 1. Der Urvater der Mega-Demos: »The Union-Demo«
Bild 2. Der erste Fullscreen von »Level 16« in der Union-Demo.
Bild 3. Das Titelbild der neuesten Mega-Demo »Ohh Crikey wot a scorcher«

Wenn der Monitor in bunter Pracht steht und aus dem Lautsprecher fetziger Digi-Sound dröhnt, haben einmal mehr Programmierer, Musiker und Grafiker ihr eindrucksvolles Können bewiesen. Im Gespräch mit TOS plauderten die Demo-Crews aus der Szene.

Tatort Atari-Messe: Auf dem Bildschirm jagt ein Raumschiff durch eine hügelige 3D-Landschaft. Behende weicht es den entgegen-kommen Hindernissen aus und rast weiter seinem Ziel entgegen. Plötzlich bremst es ab, um auf einer Plattform zu landen. Handelt es sich hier um die Beta-Version eines neuen Ballerspiels? Weit gefehlt, denn im nächsten Augenblick schillert der Monitor in mehr als hundert Farben und gibt das erste Bild - im Programmiererjargon »Screen« - der neuen Mega-Demo »Ooh crikey wot a scorcher« frei. Die gut zwei Dutzend Zuschauer sind begeistert und wollen nur noch das eine: dieses eine Demo. Währenddessen schwingt sich das Raumschiff zu neuen Höhenflügen auf, dem nächsten Screen entgegen.

Eine kurze Geschichte der Demos

Als der Atari ST 1985 das Licht der Welt erblickte, konnte er mit seinen grafischen Fähigkeiten nur für kurze Zeit begeistern, vom Sound ganz zu schweigen. 16 Farben sind nicht gerade das gelbe vom Ei, und der damals schon veraltete Sound-Chip von Yamaha schien für gute Musik absolut untauglich. Genügend Gründe also, in die Tiefen der Hardware-Programmierung einzudringen und dem Atari durch zahlreiche Tricks zu einem besseren »Erscheinungsbild« zu verhelfen. So entstanden mit der Zeit die ersten Gruppen, die mit Cola und Chips bewaffnet bis tief in die Nacht programmierten, zeichneten und komponierten.

Die ersten grafischen Effekte wie »Scroll-Lines« (Laufschrift) ließen nicht lange auf sich warten. In der »Little Colour Demo« von »TEX - The Exceptions« durfte sich der Betrachter dann auch an mehr als 16 Farben gleichzeitig erfreuen.

Ränderlos

Besonderes Kopfzerbrechen bereiteten den Programmierern die leeren Ränder am Bildschirmrand. Doch dann geschah der Durchbruch: Ein Programmierer namens »Alyssa« öffnete den unteren Rand und nutzte ihn - der Hardware des ST zum Trotz - für Grafik. TEX nutzten diesen Effekt erstmals in der B.I.G.-Demo, die binnen kürzester Zeit in ganz Europa bekannt wurde. Das Verschwinden des oberen Randes war nur noch eine Frage der Zeit.

In der darauf folgenden »Amiga Demo« verschwand der rechte Rand, und es wurde spannend. Schließlich erklärte die »TNT-Crew« in »The death of the left border« den linken Rand für überflüssig - aber eben nur diesen. Das Happy End war nicht weit entfernt: In der »Union-Demo« öffnete »Level 16« alle Ränder, und der »Fullscreen« war geboren.

Die volle Tragweite des Fullscreen zeichnete sich aber erst später ab. Immerhin gab es noch das leidige Problem eines weichen Scrollings, das der STE hardware-orientiert löste. Es mußte doch aber auch auf dem »alten« ST funktionieren. Die nötigen Mittel schlummerten eine ganze Zeit unbeachtet in den Routinen zum Fullscreen. In den »Cuddly Demos« von »The Care Bears« feierte der »Sync-Scroller« schließlich seine Premiere.

Doch auch der Soundchip wurde nicht verschont. Das erste musikalische Glanzstück lieferten TEX mit der »Littlc Sound Demo« und stürzten damit David Whittaker, der bislang als Sound-Guru auf dem ST galt. In puncto Klangerzeugung unterscheiden die Musiker mittlerweile zwischen mehreren Varianten. Anfangs gab es nur die schlichte Sound-Chip-Musik, die sich mit drei Ton-Kanälen und einem Rauschgenerator begnügte, der sogleich als Schlagzeug herhalten mußte. Die weiteren Entwicklungen reichten über starre Samples bishin zum Sound-Tracker, mit dem auch mehrstimmige Digitalmusik möglich wurde. Ist der Speicherplatz knapp, greifen die Komponisten heute zu Digi-Drums, einer Mischung aus Sound-Chip-Musik und digitalisiertem Schlagzeug.

Union vereinigter Crews

Mit der Union-Demo läuteten die Crews eine neue Ära ein - den Zusammenschluß mehrerer Demos in einer »Mega-Demo«. Seitdem treffen sich Gruppen aus ganz Europa auf diversen »Coding Conventions«. Neben dem üblichen Smalltalk entwickeln sie in gemeinsamer Arbeit neue Routinen für wiederum neue Demos.

Die fertigen Produkte können sich sehen lassen. Erstaunlich, welche Unmengen an Musik und Grafik auf nur einer Diskette unterzubringen sind. Alle erforderlichen Daten sind mit den eigens entwickelten Packprogrammen auf ein erträgliches Maß komprimiert.

Über Lamer

In vielen Demos der neuen Generation findet der aufmerksame Leser von Scroll-Texten immer wieder den Verweis auf »Lamer«. Eine prägnante Definition über diese beinahe geächteten Zeitgenossen gab Tanis von den Care Bears: »Lamer Type I: The guy who is really shit. Lamer Type II: The guy who is shit but thinks he's (...) brilliant«. In der »Syntax Terror Demo« von »Delta Force« darf sich der Betrachter dem offiziell anerkannten Lamer-Test unterziehen.

Die Frage nach dem Warum

Sicher stellt sich irgendwann die Frage nach dem Sinn der Suche nach immer neuen Effekten, besserem Sound und den schnellsten Routinen. »Am Anfang ging's nur darum, zu zeigen, was in der Kiste wirklich steckt. Was heute zählt, ist Ideenreichtum, um die Tricks effektiv umzusetzen. Die Programmierung und Gestaltung von Demos hat sich zur Kunstform erhoben.« Besonders deutlich spiegelt sich diese Einstellung in der Formation der einzelnen Crews wider. Zu einem oder mehreren Top-Programmierern gesellen sich Grafiker und Musiker, die jeder für sich absolute Spezialisten auf ihrem Gebiet sind. So verwundert es kaum, daß so mancher von ihnen maßgeblich an der Gestaltung von Spielen beteiligt ist.

Auf der TOS-Diskette finden Sie eine kleine Demo. Mit einem Monochrommonitor kommen Sie aber nur in den Genuß des Musikstücks - richtig bunt geht's natürlich in Farbe zu. •

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Armin Hierstetter
Aus: TOS 11 / 1991, Seite 50

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