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Interview mit Boris Blank von der Gruppe Yello

Interviews

VisionÀr und Klangweltenbummler "Jede Vision braucht ihre klangliche Welt"

Nur wenige Menschen können von sich behaupten eine ganze Generation von Musikern klanglich beeinflußt zu haben, Boris Blank von Yello gehört zu ihnen. Nicht zuletzt zeigt das Album "Hands on Yello" , welchen Stellenwert und Ansehen seine Musik hat. Ein Blick in sein Tonstudio lĂ€sst jeden, der sich mit Synthesizern beschĂ€ftigt, glĂ€nzende Augen bekommen. Die FĂŒlle der GerĂ€te reicht von einem Fairlightsystem bis hin zu einem neuen Nord Lead; angesteuert werden alle GerĂ€te von einem Atari Mega 2 und dem C- LAB Notator.

AI: Ich möchte mit einem sinngemĂ€ĂŸen Zitat der Produzenten von "Scatman John" beginnen, das besagt, dass die Idee fĂŒr ein MusikstĂŒck entscheidend ist und das ein 1040er von Atari mit einem guten Synthesizer fĂŒr einen Hit schon völlig ausreichen. Wie stehst Du da zu?

Boris Blank: Ja genau, dem kann ich nur zustimmen! Die Idee ist wichtig, der Sound ist wichtig und der Rest wird vom Sequenzer erledigt. Ich arbeite ja auch mit dem Atari Mega ST 2. Ich bin technisch zwar nicht so versiert, aber dieser Rechner reicht dazu aus mir als Werkzeug zu dienen. Die Delays, die bei sehr vielen PeripheriegerÀten entstehen, hÀngen ja mehr mit der MIDI- Schnittstelle zusammen.

AI: Der Atari Falcon hat in der elektronischen Musik das Harddisk-Recording auch fĂŒr den "kleineren Geldbeutel" interessant gemacht, wenn man es mit vergleichbaren Systemen vergleicht. Wird prominenten Musikern, wie zum Beispiel Yello, damit nicht ein KreativitĂ€tsvorsprung genommen, weil digitales Aufnehmen und Bearbeiten praktisch fĂŒr jeden zugĂ€nglich ist?

Boris Blank: Wenn ein Maler bessere Farben bekommt, malt er deswegen nicht gleich bessere Bilder. Ich finde es sehr gut, dass möglichst viele Leute an diese Sachen herankommen, und dass das Werkzeug fĂŒr den Heimwerker an sich erschwinglicher wird. Es hĂ€ngt halt doch viel von Deiner IndividualitĂ€t ab, wie man die Dinge fĂŒr sich einsetzt und wie man Musik gestaltet. Jeder schafft doch sein KlanggebĂ€ude nach eigenen Vorstellungen und ein Atari Falcon hilft dabei, diese Vorstellungen auszuleben. Ansonsten ist es doch so, wie in der Filmwelt auch, 99% der Filme sind ... und nur 1% ist wirklich gut. In der Musik ist es Ă€hnlich, um so mehr Leute ihre Ideen umsetzten können, desto reichhaltiger wird das eine Prozent und das ist gut. Es ist einfach richtig, dass jeder seine Musikwelt schaffen kann. Ich wĂ€re frĂŒher froh gewesen, wenn ich diese Möglichkeiten gehabt hĂ€tte. Als ich noch mit endlos vielen TonbĂ€ndern gearbeitet habe ist jeder Fehler gravierend gewesen und ich musste von vorne beginnen. Harddisk-Recording ist eine feine Sache, die aber natĂŒrlich auch kontraproduktiv eingesetzt werden kann. Wenn man in der Malerei alle Farben, die einem zur VerfĂŒgung stehen, nutzt, so bekommt man womöglich nur noch Grautöne. Man muss schon stark daran arbeiten, wenn man seine Sache gut machen möchte. Übung, Geschick und Talent sind nach, wie vor die entscheidenden Faktoren, und dass nicht nur in der Musik. Ein Dilettant kann schließlich jeder sein. Die Spreu trennt sich halt immer noch vom Weizen, daran Ă€ndern die VerhĂ€ltnisse nichts. Außerdem wird fĂŒr viele Menschen das Hobby einfach nur attraktiver und ihre Möglichkeiten sind nun noch etwas komplexer geworden.

AI: Bei welchem Album hast Du zum ersten Mal mit einem Sampler gearbeitet?

Boris Blank: Ich bin mir da nicht sicher. Es muss die "You Gotta Say Yes To Another Excess" gewesen sein, als ich das Fairlight zum ersten Mal eingesetzt habe. Es war auch nur in einigen StĂŒcken zu hören und nicht auf der ganzen Platte.

AI: Wie setzt Du Deine technischen GerĂ€te und Synthesizer fĂŒr Deine Zwecke ein?

Boris Blank: Ich versuche der Musik mit allen Möglichkeiten, die mir die Instrumente geben, Leben zu geben und etwas warmes aus ihnen zu gewinnen. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass es nicht nur akustische, sondern auch visuelle Komponenten gibt; Hören und Sehen gehören einfach zusammen. Ich sehe Bilder und lasse die Musik diese Bilder malen und genauso umgekehrt, wenn ich Musik höre, entstehen die Bilder in meinem Kopf. Das Wichtigste ist einfach, dass das SoundgebÀude eine klare Transparenz hat, und dass ein Mensch, der sich die Musik anhört, sich darin bewegen kann und sich zu den KlÀngen seine eigene Vorstellung machen kann; dass man praktisch seine eigene Geschichte dazu entwickelt.

AI: Was ist derzeit das aktuellste Projekt?

Boris Blank: Ich habe fĂŒr einen neuen Walt Disney Film die Musik geschrieben, in dem ich eine neu Version von "Jingle Bells" gemacht habe, wo ich eben diese Transparenz, die fĂŒr Yello typisch ist, genutzt habe. Es klingt insgesamt sehr lustig.

AI: Kommen wir zur Zukunft der elektronischen Musik. Wie sieht fĂŒr Dich der Synthesizer oder der Sound von Morgen aus? Kann es noch revolutionĂ€re Neuerungen, wie in der Vergangenheit, geben?

Boris Blank: Ich bin mir sicher, dass es noch viele Neuerungen geben wird, die die Musikwelt verĂ€ndern werden. In der Vergangenheit hat es einschneidende VerĂ€nderungen ja immer gegeben, ob nun aus einer Harfe das Cembalo entstanden ist oder Ă€hnliches; warum nicht auch in der Zukunft. Ich finde es sehr schwierig zu prognostizieren, wie das nun konkret aussehen soll. Die Handlichkeit und die ZugĂ€nglichkeit gewisser Parameter muss sich meiner Meinung nach stark verbessern, es muss eben alles interaktiver werden. Fragmente von KlĂ€ngen oder Wellenformen mĂŒssen einfacher und vielfĂ€ltiger zu beeinflussen sein, ob die nun durch Dioden am Gehirn im virtuellen Raum ferngelenkt werden oder durch neuartige Bedienelemente variiert werden. Das könnte auch ein "Brain to Computennterface" sein, warum nicht. Die Form, wie sich ein Synthesizer darstellt, sollte besser und schneller zu erfassen sein und den Charakter seines Spielers wiedergeben.

AI: FĂŒr den Atari ST existiert ja bereits ein "Brain to MIDI-Interface", das mehr oder weniger eingeschrĂ€nkt ist, das aber funktioniert.

Boris Blank: Vielleicht ist das ja der Beginn eines neuen Weges oder es bleibt nur ein Hirngespinst Es ist vielleicht auch ein bißchen zu weit in die Zukunft gedacht, man darf aber gespannt sein, was noch auf uns zukommt. GegenwĂ€rtig finde ich die Konzepte, die zum Beispiel im Nord Lead Verwendung finden, sehr interessant Er ist ein schönes Instrument, weil er sehr dynamisch zu spielen ist. In diesem GerĂ€t werden digitale Bereiche [Anmerkung der Redaktion: gemeint sind auf DSP-Chips basierende EchtzeitklĂ€nge] mit Samples gemischt und es entsteht ein Sound, der sich weiterentwickelt und noch spektakulĂ€rer wird. Solche Technologien finde ich momentan sehr spannend. Ich hoffe, dass dieses Konzept nicht fallen gelassen wird, wie es schon oft passiert ist. Gewisse Sachen werden einfach nicht mehr verfolgt. Ich finde die ganze Welt der elektronischen Musikinstrumente inzwischen wahnsinnig kurzlebig. Vielversprechende Dinge tauchen unter und werden nicht weiterverfolgt und dafĂŒr dreht man sich in anderen Bereichen ewig im Kreis, es ist wirklich sehr schade -fast schon tragisch. Das Angebot an neuen Synthesizern ist jeden Monat ĂŒberwĂ€ltigend, aber es kommt dabei nur sehr wenig herum.

AI: Wolfgang Palm hat mit PPG versucht ein GerÀt zu entwickeln, das andere Synthesizer klanglich simulieren kann, Àhnlich wie es spÀter mit dem Atari ST-Programm "Turbosynth" RealitÀt geworden ist. Glaubst Du, dass virtuelle Konzepte Deine Visionen noch ergÀnzen könnten?

Boris Blank: Klar, jeder neue Weg sollte experimentell genutzt werden. Wer die Möglichkeiten erweitert, erweitert auch das Spektrum an KreativitĂ€t. Das kann mental, virtuell oder noch anders geschehen. Wichtig ist dass die Musik nicht stehen bleibt und die Musiker nicht die Lust an Experimenten verlieren, das wĂ€re ganz schlecht fĂŒr uns.

AI: Wie stellst Du Dir die klangliche Zukunft von Yello vor?

Boris Blank: Es gibt so viele Möglichkeiten und so viele Klanggeschichten, die mir zur VerfĂŒgung stehen. Ich habe gerade Dieters Filmprojekt "Snowball", an dem er schon lange arbeitet, vertont. Dieser Film ist jetzt fertig geworden und er Soundtrack ist sehr lustig geworden. Er ist völlig eigen und sehr "Yelloid", wenn ich das so nennen darf. Trotzdem sind auch sehr viele moderne Fragmente enthalten und viele "spacige", "para-normale" und "metaphysische" KlĂ€nge, die mystisch mitschwingen. FĂŒr die neue Yello-Platte bin ich gerade dabei wieder einen Klangzirkus aufzubauen, der sicher Yello treu bleiben wird und viele tanzbare StĂŒcke enthalten wird. Es werden aber auch mutige StĂŒcke entstehen, in denen wir versuchen neue Klangwelten aufzutun. Ich bin auf der Sound-Ebene eben ein JĂ€ger und Sammler und immer auf der Suche nach neuen, interessanten KlĂ€ngen. Jede Vision braucht ihre klangliche Welt.

AI: Wir danken Dir fĂŒr dieses GesprĂ€ch!