← Happy Computer 11 / 1989

Vorsicht, frisch gestrichen

Grafikprogramme

Ein Malprogramm ist noch lang nicht dasselbe wie ein Zeichenprogramm, und das immense Angebot an Grafikprogrammen fĂŒr die verschiedensten Zwecke macht die Kaufentscheidung nicht gerade leicht. HAPPY-COMPUTER gibt Hilfestellung und erklĂ€rt die wichtigsten Unterschiede.

PrĂ€historische Grafik-Zeiten waren das Anfang der 80er Jahre: Wer einen Sinclair ZX81 besaß (1 KByte Speicher!), freute sich schon ĂŒber die schwarzen Flecken, die das vorsintflutliche GerĂ€t fĂŒr ein paar hundert Mark auf den Bildschirm brachte: Mit viel Fantasie ließen sie sich sogar als Grafiken interpretieren. Dagegen waren die Bilder, die der C 64 auf die Monitore zauberte, sensationell — fĂŒr die VerhĂ€ltnisse des Jahres 1983 jedenfalls. Die Hercules-Karte, die wenigstens fĂŒr Schwarzweiß-Grafik sorgte, gab es Anfang der 80er Jahre noch nicht, und so fiel der PC ganz flach, wenn es um Grafik ging. Und von den fantastischen Grafikmöglichkeiten eines Amiga oder Atari ST konnte man nur trĂ€umen; die sollten noch eine Weile in den unzugĂ€nglichen Labors ihrer Entwickler verborgen bleiben.


Diese GeschÀftsgrafiken sind objekt-orientierten Ursprungs. Das Programm merkt sich keine Pixel, nur Eckdaten.

Die grafiklosen Zeiten sind passĂ©, immer mehr Grafikprogramme tummeln sich heute auf einem stetig wachsenden Markt. Mittlerweile glĂ€nzt beinahe jedes aktuelle Computersystem — gleich ob PC, Amiga oder Atari — mit fantastischen Talenten, wenn es um bunte Bilder geht. KĂŒnstler und Architekten, Maschinenbauer und Designer haben den Computer fĂŒr sich entdeckt, und auch die Heimcomputer-Szene ist vom Grafikfieber gepackt. Zwei verschiedene Arten von Grafiksoftware gibt es: Mal- und Zeichenprogramme bieten sich zum kreativen Austoben am Bildschirm an. Völlig unterschiedlich sind die Philosophien, mit denen die beiden Softwaregattungen arbeiten. WĂ€hrend Malprogramme den Bildschirm als großes Blatt Papier betrachten, auf dem der Anwender nach Herzenslust pinseln kann, arbeiten Zeichenprogramme mit Objekten, verwandeln den Bildschirm in ein Koordinatensystem. Kreiert man beispielsweise ein Viereck mit einem Malprogramm, dann gibt es keine Funktionen, um dessen GrĂ¶ĂŸe im nachhinein zu verĂ€ndern. Genauso verhĂ€lt es sich bei einer Zeichnung auf Papier: Da hilft nur radieren und von neuem zeichnen. Malprogramme arbeiten nĂ€mlich pixelorientiert. Ein Pixel ist ein auf dem Bildschirm darstellbarer Punkt. (PCs mit VGA, dem derzeit aktuellen Grafikstandard, können maximal 640 mal 480 dieser Punkte darstellen.) Jeder dieser Punkte kann eine andere Farbe annehmen. Im Malprogramm entsteht ein schwarzes Rechteck, indem einfach alle Punkte, ĂŒber die man mit der Maus fĂ€hrt, schwarz dargestellt werden.

Genauso arbeitet eine Freihandfunktion, bei der die Maus als Pinsel fungiert.

Zeichenprogramme dagegen betrachten das Viereck als eigenstĂ€ndiges Objekt, das sich jederzeit, unabhĂ€ngig von anderen Vierecken oder Kreisen auf der ZeichenflĂ€che, vergrĂ¶ĂŸern, verkleinern oder drehen lĂ€ĂŸt. Ein Zeichenprogramm speichert nicht die einzelnen Pixelinformationen, sondern lediglich die Eckkoordinaten des Objekts. Anhand dieser Koordinaten lĂ€ĂŸt sich das Objekt dann jederzeit rekonstruieren. Kurz, die nachtrĂ€gliche Änderung von Bildteilen handhabt ein Zeichenprogramm entschieden einfacher als ein Malprogramm.

DafĂŒr ist die Freihandzeichnung das grĂ¶ĂŸte Manko der Zeichenprogramme. WĂ€hrend jedes Malprogramm neben verschiedenen geometrischen Objekten wie Kreis, Rechteck oder Quadrat einen Pinsel zur VerfĂŒgung stellt, mit dem der Anwender beliebige Kurven zeichnen kann, haben Zeichenprogramme damit so ihre Probleme. Da sie nicht pixelorientiert arbeiten, mußte dafĂŒr ein mathematischer Weg gefunden werden. Die Lösung war die Be-zierkurve. Benannt nach einem berĂŒhmten Mathematiker, handelt es sich dabei um eine komplizierte mathematische Beschreibung von beliebig gekrĂŒmmten Linien.

Auch mit der Farbe gehen beide Gattungen unterschiedlich um. Die Farbinformationen fĂŒr ein Objekt, die ein Malprogramm ebenfalls Pixel fĂŒr Pixel speichert, merkt sich ein Zeichenprogramm als Wert aus einer definierten Farbtabelle. Etwas komplizierter gestalten sich die Farbenspiele bei Zeichenprogrammen, wenn neue Farben am Bildschirm gemischt werden. Die neuen Farben werden in die Farb-palette mit aufgenommen. Das Programm speichert diese Palette mit dem Bild — ein Malprogramm dagegen merkt sich zu jedem Pixel den entsprechenden Farbwert. Die Zeichenprogramme sind mittlerweile gegenĂŒber den pixelorientierten Malprogrammen wesentlich flexibler und leistungsfĂ€higer, allerdings auch teurer. FĂŒr den Heimanwender kommen in der Regel nur Malprogramme in Frage; so kostet beispielsweise eines der leistungsstĂ€rksten objektorientierten Programme, der "Micrografx Designer”, ĂŒber 1200 Mark. NatĂŒrlich gibt es auch ebenso teure Malprogramme, aber wer aufmerksam den Markt beobachtet, kann die eine oder andere Mark sparen, ohne dabei auf Leistung verzichten zu mĂŒssen. Bestes Beispiel dafĂŒr ist "DPaint 11”, das sowohl fĂŒr den PC als auch fĂŒr den Amiga angeboten wird. FĂŒr etwa 300 Mark fĂ€hrt das Programm Funktionen auf, die die meisten teureren Kollegen in den Schatten stellen (siehe Seite 50).

Zu den Zeichenprogrammen im weiteren Sinne zÀhlen auch CAD- und DTP-Programme; auch sie arbeiten mit objektorientierten Konzepten.

FĂŒr einfache Zeichnungen braucht nun niemand ein Programm fĂŒr 1200 Mark oder gar eine CAD-Software wie ”Autocad”. Hier reichen Malprogramme wie "DPaint" bei weitem aus. Wer aber beispielsweise am Computer planen will, wie er die RĂ€ume seiner neuen Wohnung einrichten und wie er seine Möbel stellen kann, der sollte sich nicht mit einem Malprogramm begnĂŒgen. FĂŒr diese Zwecke ist eines der zahlreichen preisgĂŒnstigen CAD-Programme wie beispielsweise "Autosketch", der kleine Bruder von AutoCad, zu empfehlen. Damit sind dann zwar noch keine dreidimensionalen Ansichten oder gar farbige 3D-Darstellungen möglich, fĂŒr kleine Anwendungen wie die BĂŒro- oder Hauseinrichtung reicht das Ganze aber allemal.

FĂŒr Bilder in FotoqualitĂ€t aber braucht es schon ein Malprogramm Ă  la "DPaint”. Man sollte sich allerdings darĂŒber im klaren sein, daß auch hier eine gute Portion Talent eine wichtige Voraussetzung ist. Wer ein preisgĂŒnstiges Malprogramm kauft, sollte genau wissen, wofĂŒr er es einsetzen will; um beispielsweise Balkendiagramme nachzubearbeiten, braucht man ein Programm, das die Grafikformate eines Chart-Programms verarbeiten kann. Zumindest sollte ein entsprechendes Konvertierungsprogramm vorhanden sein. Außerdem muß das Programm die eigene Grafikkarte voll unterstĂŒtzen. Arbeitet man mit einer Hercules-Karte und nur 512 KByte Speicher am PC, nutzt dPaint nicht viel, da es von vornherein auf Farbverarbeitung ausgelegt ist. Da reichen dann schon die Malprogramme aus, die zu den grafischen BenutzeroberflĂ€chen Windows und GEM gehören. Die professionellen AnsprĂŒche eines Designers können sie zwar nicht erfĂŒllen, eignen sich aber hervorragend fĂŒr kleine Skizzen.


Die Dame im Jugendstil ist ebenfalls in einem objekt-orientierten Programm, dem "Designer", entstanden

Wichtig: Achten Sie vor dem Kauf eines Grafikprogramms auch auf die mitgelieferten Druckertreiber, denn was nutzt schon der NEC CP6 mit seinen FarbfÀhigkeiten, wenn das Malprogramm nur den veralteten Epson FX-85 ansteuern kann.

Wer die Kosten allerdings nicht scheut oder auf hohe QualitĂ€t angewiesen ist, kann sich auf dem Grafikmarkt gut und teuer bedienen. Gerade bei den objektorientierten Grafikprogrammen kommen schnell höhere Summen zusammen. Die meisten Zeichenprogramme fĂŒr den PC arbeiten unter Windows und vollbringen wahre Wunderdinge. Vor allem bei der Ausgabe erschließen die Zeichenprogramme ungeahnte Möglichkeiten. Nadel- und Laserdrucker, Postscript-Drucker, Diabelichter und sogar eine Linotronic fĂŒr fertige Druckfilme lassen sich ansteuern. Dazu muß der Anwender diese GerĂ€te nicht einmal zur VerfĂŒgung haben. Belichtungsstudios bieten in der Bundesrepublik Belichtungen als Dienstleistung an.

Malprogramm oder Zeichenprogramm: Die Entscheidung fĂ€llt nicht allzu schwer, wenn man die enormen Kosten von oftmals mehr als 2000 Mark fĂŒr ein Zeichenprogramm bedenkt. Wer mit einem Malprogramm auskommt, ist mit einem der Produkte, die wir auf den Seiten 46 bis 53 vorstellen, bestens bedient, rf