Nun ist es doch noch dazu gekommen, daĂ zwischen BĂŒchern, Manuskripten und Zetteln ein Computer Platz gefunden hat. Freunde und Bekannte drĂ€ngten seit langem darauf, spotteten auch gelegentlich ĂŒber den verschrobenen Germanisten mit seinen veralteten Arbeitsmethoden. Doch das nĂŒtzte wenig; die Angst vor der neuen Technik saĂ wohl zu tief.
Aber auch Ă€sthetisch konnte ich den Computerausdrucken. die mir in die HĂ€nde fielen, nichts abgewinnen; diese (wohl meist von 9-Nadlern stammenden und/oder in Draft-Modus zu Papier gebrachten) SchriftstĂŒcke sahen doch zu wenig ansprechend aus und stellten gegenĂŒber dem von Kugelkopf und Typenrad erreichten typographischen Standard einen deutlichen RĂŒckschritt dar. Das sollte High Tech sein?
So blieb es denn dabei. Ein paar hundert Seiten der Dissertation zur Metaphorik religiöser Sprache in der Literatur des Mittelalters waren schon mĂŒhsam mit der Typenradmaschine getippt (alle Originalzitate kursiv!), als man mich auf SIGNUM! aufmerksam machte. Beim Betrachten von Probeausdrucken einiger Schriften wuĂte ich gleich: Das ist mein Programm! Weil es SIGNUM! nur fĂŒr den ATARI ST gibt, muĂte ein ATARI her, und zwar - da ich dem HĂ€ndler etwas von sehr langen Texten erzĂ€hlte - ein MEGA ST 2 mit Festplatte sowie ein 24-Nadeldrucker. Allein das Textprogramm war ausschlaggebend fĂŒr die Wahl des Computers, den zu kaufen ich mich nur aus Einsicht und ganz ohne Lust durchgerungen hatte.
Sprachprobleme
Da standen dann die ausgepackten GerĂ€te auf dem Tisch vor jemandem, der noch nie vor einem Computer gesessen hatte und nicht einmal wuĂte, wofĂŒr das Maus genannte GerĂ€t ĂŒberhaupt gut sein sollte. Man mag einwenden, daĂ ein MEGA ST mit SIGNUM! als (zunĂ€chst) einzigem Programm nicht sehr geeignet sei fĂŒr den Einstieg in die Computerwelt; als Sprung ins kalte Wasser zwang diese Kombination jedoch zu intensiver und konzentrierter Auseinandersetzung mit völlig unbekannten Problemen, bei der ich mir selbst immer wieder Mut machen muĂte, etwa mit SprĂŒchen wie âAuch in andern FakultĂ€ten wird nur mit Wasser gekocht!â.
Apropos Einstieg. In dem ersten halben Jahr Computererfahrung, das nun hinter mir liegt, habe ich mich nicht als Einsteiger verstanden, sondern als AnfĂ€nger. Vielen mag das spitzfindig erscheinen, aber jemandem, der von auĂen kommt, fĂ€llt doch die Insider-Sprache auf, die in diesem Bereich (auch in dieser Zeitschrift ) sich durchzusetzen scheint. Kaum ein Programm, das dem âAnwenderâ nicht âein mĂ€chtiges Werkzeug in die Handâ gĂ€be; und die lobenden Beiwörter âkomfortabelâ und luxuriös' las ich nie zuvor so hĂ€ufig wie hier.
Vieles lĂ€Ăt sich wohl durch allzu schnelles Ăbersetzen aus dem Anglo-Amerikanischen erklĂ€ren; aber manchmal wirdâs dabei Ă€rgerlich, wie bei der neutralen bzw. positiven Verwendung von âaufrĂŒstenâ, oder auch lustig: daĂ der Ausdruck âEndlospapierâ blanker Unsinn ist, merkt man spĂ€testens, wenn der erste Stapel davon dem Ende sich entgegen neigt.
Jemand belehrte mich zwar freundlich, es sei natĂŒrlich ârelativ endlos' gemeint, was etwa so klingt wie âein biĂchen ewigâ.
Ăber HandbĂŒcher
FĂŒr jeden, der etwas Neues kennenlernen will, kommt es auf die VerstĂ€ndlichkeit der ErklĂ€rungen an. HandbĂŒcher, so meine ich, sollten zudem ĂŒbersichtlich sein, ausfĂŒhrlich und doch knapp. Die meisten dieser Kriterien erfĂŒllt das Handbuch zu SIGNUM!. VollstĂ€ndig ist es freilich nicht; manche Probleme werden ĂŒberhaupt nicht oder anderswo erklĂ€rt - etwa in dem ebenfalls bei Application Systems Heidelberg erschienenen âSIGNUM! Buch' von Volker Ritzhaupt, fĂŒr das man noch einmal DM 59,- ausgeben muĂ. Ritzhaupts laxe Formulierungen wie âklicken Sie mit einer LĂ€ssigkeit, um die Sie Bogart beneiden wĂŒrde, auf...â (S. 25) sind ja ganz lustig und lockern den Text gewiĂ auf; wenn man aber unter Zeitdruck steht und gerade dringend etwas sucht, dann wird es oft zur Qual, aus all der Plauderei die notwendigen Informationen sich erst mĂŒhsam herausfiltern zu mĂŒssen.
Ein auf alle Schnörkel verzichtendes Buch mit âTips und Tricks zu SIGNUM!', das vielleicht aus einer Leserumfrage hervorgehen könnte, wĂ€re wirklich eine Hilfe. VorlĂ€ufig bleibt einem nichts anderes ĂŒbrig, als aus den verschiedenen Publikationen (auch aus dem DATABECKER Buch zu SIGNUM! und diversen Zeitschriftenartikeln) sich das Wichtigste auf Karteikarten zu schreiben und alphabetisch nach Stichworten zu sortieren. Es ist schon merkwĂŒrdig: hatte ich den Computer auch mit dem Motiv gekauft, umfangreiche Karteisysteme nach und nach in elektronische Datenbanken ĂŒberzufĂŒhren, um auf platzraubende ZettelkĂ€sten verzichten zu können, so sind es nun nicht weniger KĂ€sten geworden, sondern es kam noch einer hinzu!
Angesichts der kurzen Zeit, die ich mir fĂŒr das Erlernen des Umgangs mit SIGNUM! und dem Computer zugestanden hatte, war Arbeitsökonomie angesagt; glaubte ich doch nach langem Studium die Techniken der Wissensaneignung prinzipiell zu beherrschen. Also blieb alles aus dem Handbuch ungelesen, was fĂŒr mich unwichtig zu sein schien: zum Beispiel die wenigen Andeutungen ĂŒber âFormelzeilen' und âFormelbereich': was sollten in einer altgermanistischen Arbeit wohl mathematische Formeln? Doch dann erwies sich das vermeintlich Unwichtige als genau das, was man braucht. Als ich die ersten Verse in meinem Text zitiert hatte und dann einen Zeilenumbruch auslöste, kam ein böses Erwachen: SIGNUM! macht offenbar selbst aus dem schönsten Gedicht erbarmungslos Prosa!
Nach lĂ€ngerem Suchen und Probieren kam ich endlich auf die Lösung, die ebensoeinfach wie wirkungsvoll ist: das ganze Gedichtzitat wird grundsĂ€tzlich zum Formelbereich erklĂ€rt und bleibt dadurch auch dann vom Zeilenumbruch ausgenommen, wenn nicht jede Verszeile einzeln als Absatz markiert wurde. Erstaunlich nur, daĂ ich nirgendwo einen Hinweis auf dies Verfahren finden konnte. Auch Ritzhaupt, der den Formelbereich ausfĂŒhrlicher behandelt (S. 142ff.) - was eigentlich im Handbuch hĂ€tte geschehen sollen -. nennt auĂer Formeln als Anwendungsbeispiele nur Tabellen, Grafiken und Platzhalter fĂŒr Diagramme, die spĂ€ter eingeklebt werden sollen. Schreibt oder zitiert denn wirklich niemand Gedichte mit SIGNUM!?
Abb. 1: Mit diesem Trick gelingt es, 'Leerzeichen' in SIGNUM! Zwei zu erzeugen.
Abb. 2 Das alte deutsche 'ö' ist leicht im Zeichensatz-Editor von SIGNUM! zu definieren.
Abb. 3: Dieses Zeichen benötigt man beim Schreiben altdeutscher Texte.
UmstÀndlicher Weg zum Spatium
Ein weiteres nicht im Handbuch erlĂ€utertes Problem hĂ€ngt gleichfalls mit der eigenwilligen Art zusammen, mit der SIGNUM! den Blocksatz ausfĂŒhrt. Laut Ritzhaupt ist eine der hĂ€ufigsten Anfragen an Application Systems, wie mit SIGNUM!Zwei Leerzeichen unterstrichen werden können. Die Tricks, die er (S. 204) und Veit Brixius (ST-Computer 12/1988, S. 162) angeben, helfen dem Dilemma ab, daĂ es eigentlich gar nicht geht, da SIGNUM! keine Leerzeichen kennt, sondern nur unterschiedliche AbstĂ€nde zwischen den Wörtern. Die PrĂ€misse des Programmierers scheint ja vernĂŒnftig zu sein, daĂ dort, wo nichts ist, auch nichts unterstrichen werden kann. Viel schlimmer ist schon, daĂ da nichts ist. Denn Leerstellen sind ja nicht einfach nur nichts, sie können durchaus eine Bedeutungsfunktion haben. Drucker und Setzer sprechen vom âSpatium', und sie nutzen diesen Abstand von etwa drei Zeichen zum Beispiel dafĂŒr, bei Verszitaten im Prosakontext das jeweilige Versende zu markieren (etwa: âDas Wasser rauschtâ, das Wasser schwoll. Ein Fischer saĂ daran. Sah nach dem Angel ruhevoll KĂŒhl bis ans Herz hinanâ).
Eben dies hatte ich, wie von der Schreibmaschine her gewohnt, mit dreifachem DrĂŒcken der Space-Taste immer wieder versucht - und jedesmal rĂŒckte der Umbruch mir mein Spatium wieder auf das EinheitsmaĂ der WortabstĂ€nde der jeweiligen Zeile zusammen. Alle Versuche, SIGNUM! davon abzuhalten, waren vergeblich: der Gedanke, diese Zeilen sĂ€mtlich in Formelzeilen zu verwandeln, muĂte aufgegeben wer den, wenn ein Umbruch ĂŒberhaupt noch sinnvoll sein sollte. Die Lösung fand sich dann ebenfalls in Ritzhaupts SIGNUM!-Buch (S. 206): im Zeichensatzeditor wurde fĂŒr den Editorzeichensatz ein HĂ€kchen definiert, dem im Druckerzeichensatz nichts entspricht (Abb. 1), weshalb der Drucker dann doch so etwas wie ein Leerzeichen ausgibt.
Kein neuer Font, aber...
EnttĂ€uschend war zunĂ€chst, daĂ es nicht gelang, Akzente auf Buchstaben zu setzen, wie das mit jeder Schreibmaschine leicht zu erreichen ist. In der Tat bietet keiner der zum Lieferumfang gehörenden ZeichensĂ€tze die Möglichkeit, brauchbare Akzente auf Buchstaben zu setzen. âDie können Sie im Zeichensatzeditor selbst erzeugen, wenn Sie sich trauen', so der immer geduldige ATARI-HĂ€ndler, 'oder Sie mĂŒssen die Eurofont-Diskette kaufen'. Da ich mich (noch) nicht traute, gab ich erneut DM 69,- aus. So hatte ich nun die (west-) europĂ€ischen âSonderzeichen' zur Hand und konnte alt und mittelhochdeutsche Langvokale mit LĂ€ngenzeichen versehen. Damit war es dann aber nicht genug. Um den Schreibweisen von Handschriften und FrĂŒhdrucken gerecht zu werden, sollte man verschiedene spezielle Buchstaben wie das âGeschwĂ€nzte E' (e caudata) oder die alten Umlaute mit hochgestelltem 'e' in den Zitaten verwenden. Einen entsprechenden âMediaevalis' Font fand ich aber unter all den vielen SIGNUM!-ZeichensĂ€tzen nicht (gibt es so etwas mittlerweile? Arbeiten keine Mittelalter-Philologen mit SIGNUM!?). Doch das war nicht weiter schlimm. Im Zeichensatzeditor lieĂ sich der fĂŒr die Dissertation verwendete Font leicht meinen BedĂŒrfnissen anpassen, wie die Abb. 2-3 zeigen: die zusĂ€tzlichen Zeichen wurden einfach auf die Undefinierten Stellen des Ziffernblocks gelegt und können nun problemlos verwendet werden.
Geduld ist gefragt
Zwar haben Philologen langsam und bedĂ€chtig zu arbeiten, aber manchmal verliere selbst ich die Geduld, wenn SIGNUM! mit meiner Texteingabe ĂŒber die Tastatur nicht mitkommt und immer wieder mal ein paar Buchstaben auslĂ€Ăt. AuĂerdem dauert der Ausdruck ĂŒber den 24-Nadler quĂ€lend lange. FĂŒr das Formulieren lĂ€ngerer Textpassagen (auch dieses Textes) greife ich deshalb heute lieber auf TEMPUS zurĂŒck, dessen ASCII-Texte sich dann leicht in SIGNUM! einladen lassen.
Doch Àndert der Geschwindigkeitsnachteil nichts daran, daà SIGNUM! (bisher) die schönste Textverarbeitung auf dem ATARI ST darstellt-ob dies auch noch so sein wird, wenn TEMPUS WORD vorliegt, wird man sehen.
Abb. 4: Da die Anmerkung 39 nicht mehr auf die Seilt paĂte, nahm SIGNUM! auch die Zeile mit der FuĂnotenreferenz mit auf die nĂ€chste Seite: So entstand zwischen Text und FuĂnoten ein hĂ€Ăliches Loch.
FuĂnoten im Seitenumbruch
Ein viel gröĂeres Problem, ĂŒber das die HandbĂŒcher sich ausschweigen, ergibt sich bei der Manuskriptgestaltung: Wie erhĂ€lt man zwischen Textende und FuĂnotenanfang einen einigermaĂen gleichgroĂen Zwischenraum? Die Antwort, SIGNUM! besorge dies automatisch, ist nur dann richtig, wenn auch die FuĂnoten von gleicher LĂ€nge oder besser Kurze sind. Philologische Arbeiten, die das Vorkommen etwa eines Wortes oder eines literarischen Motives so vollstĂ€ndig wie möglich zu dokumentieren haben, enthalten darum oft sehr lange FuĂnoten, die man im Bleisatz oder mit der Schreibmaschine gegebenenfalls auf die nĂ€chste Seite ĂŒberlaufen lĂ€Ăt. SIGNUM! weigert sich jedoch strikt, den Seitenumbruch durch die FuĂnoten hindurch vorzunehmen, es bringt entweder die ganze FuĂnote, oder zieht sie mitsamt der Zeile, welche die FuĂnotenreferenz enthĂ€lt, auf die nĂ€chste Seite hinĂŒber.
Dadurch entstehen zwischen Text und FuĂnoten hĂ€Ăliche Löcher (Abb. 4), die nur mit mĂŒhsamer Handarbeit zu beseitigen sind; oder weiĂ jemand Rat? Seinen Grund wird dies Problem darin haben, daĂ der Programmierer von der Mathematik her kommt, wo es - wenn ĂŒberhaupt - nur ganz kurze FuĂnoten gibt. Auch ist die Vorgabe, eine FuĂnote solle auf der Seite stehen, zu der sie gehört, an sich nicht unvernĂŒnftig. FĂŒr Philologen aber, die ihren Publikationsstil nicht vom Computerprogramm abhĂ€ngig machen wollen und Manuskripte mit âLöchernâ nicht einreichen können, stellt dies Handicap das Arbeiten mit SIGNUM! grundsĂ€tzlich in Frage.
Da wiegt das Fehlen einer Endnotenverwaltung schon weniger schwer. Zur Not setzt man die Anmerkungen eben an das Ende des Textes, ohne sie vom Programm verwalten zu lassen. Schwieriger ist es allerdings, wenn ein Aufsatz zunĂ€chst mit FuĂnoten geschrieben wurde und dann die Redaktion einer Zeitschrift Endnoten verlangt. Da hilft nur der mĂŒhsame Weg ĂŒbers Klemmbrett; oder kennt jemand eine bequemere Lösung?
Ausblick
Ăber einiges lieĂe sich noch streiten, wie ĂŒber den Sinn einer automatischen Registererstellung. Die Entwickler von SIGNUM! wĂ€ren aber auf jeden Fall gut beraten. sich Gedanken zu machen, wie ihr Programm fĂŒr den groĂen Kreis von Geisteswissenschaflern interessant werden könnte, die sich noch gar nicht oder erst zögernd dem Computer zuwenden. Hier ist ein groĂer Markt zu erschlieĂen, wenn man wirklich etwas zu bieten hat, wozu die Verwaltung auch langer FuĂnoten unbedingt gehört.
Trotz mancher EnttĂ€uschungen, vieler AbstĂŒrze und einiger ruinierter SDO-Dateien ist etwas eingetreten, was ich zu Anfang nicht fĂŒr möglich gehalten hĂ€tte: Die Arbeit am Computer (und mittlerweile auch nicht mehr nur mit SIGNUM!) begann, mir SpaĂ zu machen! Sonst wĂ€re gewiĂ nicht dieser Artikel entstanden. Aber nun ist erst einmal SchluĂ, jetzt wird nur noch an der Dissertation geschrieben...