← ST-Computer 12 / 1989

Erste Erfahrungen mit SIGNUM! Zwei - Praxisbericht eines doktorierenden Philolog

Anwendungen

Nun ist es doch noch dazu gekommen, daß zwischen BĂŒchern, Manuskripten und Zetteln ein Computer Platz gefunden hat. Freunde und Bekannte drĂ€ngten seit langem darauf, spotteten auch gelegentlich ĂŒber den verschrobenen Germanisten mit seinen veralteten Arbeitsmethoden. Doch das nĂŒtzte wenig; die Angst vor der neuen Technik saß wohl zu tief.

Aber auch Ă€sthetisch konnte ich den Computerausdrucken. die mir in die HĂ€nde fielen, nichts abgewinnen; diese (wohl meist von 9-Nadlern stammenden und/oder in Draft-Modus zu Papier gebrachten) SchriftstĂŒcke sahen doch zu wenig ansprechend aus und stellten gegenĂŒber dem von Kugelkopf und Typenrad erreichten typographischen Standard einen deutlichen RĂŒckschritt dar. Das sollte High Tech sein?

So blieb es denn dabei. Ein paar hundert Seiten der Dissertation zur Metaphorik religiöser Sprache in der Literatur des Mittelalters waren schon mĂŒhsam mit der Typenradmaschine getippt (alle Originalzitate kursiv!), als man mich auf SIGNUM! aufmerksam machte. Beim Betrachten von Probeausdrucken einiger Schriften wußte ich gleich: Das ist mein Programm! Weil es SIGNUM! nur fĂŒr den ATARI ST gibt, mußte ein ATARI her, und zwar - da ich dem HĂ€ndler etwas von sehr langen Texten erzĂ€hlte - ein MEGA ST 2 mit Festplatte sowie ein 24-Nadeldrucker. Allein das Textprogramm war ausschlaggebend fĂŒr die Wahl des Computers, den zu kaufen ich mich nur aus Einsicht und ganz ohne Lust durchgerungen hatte.

Sprachprobleme

Da standen dann die ausgepackten GerĂ€te auf dem Tisch vor jemandem, der noch nie vor einem Computer gesessen hatte und nicht einmal wußte, wofĂŒr das Maus genannte GerĂ€t ĂŒberhaupt gut sein sollte. Man mag einwenden, daß ein MEGA ST mit SIGNUM! als (zunĂ€chst) einzigem Programm nicht sehr geeignet sei fĂŒr den Einstieg in die Computerwelt; als Sprung ins kalte Wasser zwang diese Kombination jedoch zu intensiver und konzentrierter Auseinandersetzung mit völlig unbekannten Problemen, bei der ich mir selbst immer wieder Mut machen mußte, etwa mit SprĂŒchen wie ‘Auch in andern FakultĂ€ten wird nur mit Wasser gekocht!’.

Apropos Einstieg. In dem ersten halben Jahr Computererfahrung, das nun hinter mir liegt, habe ich mich nicht als Einsteiger verstanden, sondern als AnfĂ€nger. Vielen mag das spitzfindig erscheinen, aber jemandem, der von außen kommt, fĂ€llt doch die Insider-Sprache auf, die in diesem Bereich (auch in dieser Zeitschrift ) sich durchzusetzen scheint. Kaum ein Programm, das dem ‘Anwender’ nicht ‘ein mĂ€chtiges Werkzeug in die Hand’ gĂ€be; und die lobenden Beiwörter ‘komfortabel’ und luxuriös' las ich nie zuvor so hĂ€ufig wie hier.

Vieles lĂ€ĂŸt sich wohl durch allzu schnelles Übersetzen aus dem Anglo-Amerikanischen erklĂ€ren; aber manchmal wird’s dabei Ă€rgerlich, wie bei der neutralen bzw. positiven Verwendung von ‘aufrĂŒsten’, oder auch lustig: daß der Ausdruck ‘Endlospapier’ blanker Unsinn ist, merkt man spĂ€testens, wenn der erste Stapel davon dem Ende sich entgegen neigt.

Jemand belehrte mich zwar freundlich, es sei natĂŒrlich ‘relativ endlos' gemeint, was etwa so klingt wie ‘ein bißchen ewig’.

Über HandbĂŒcher

FĂŒr jeden, der etwas Neues kennenlernen will, kommt es auf die VerstĂ€ndlichkeit der ErklĂ€rungen an. HandbĂŒcher, so meine ich, sollten zudem ĂŒbersichtlich sein, ausfĂŒhrlich und doch knapp. Die meisten dieser Kriterien erfĂŒllt das Handbuch zu SIGNUM!. VollstĂ€ndig ist es freilich nicht; manche Probleme werden ĂŒberhaupt nicht oder anderswo erklĂ€rt - etwa in dem ebenfalls bei Application Systems Heidelberg erschienenen ‘SIGNUM! Buch' von Volker Ritzhaupt, fĂŒr das man noch einmal DM 59,- ausgeben muß. Ritzhaupts laxe Formulierungen wie ‘klicken Sie mit einer LĂ€ssigkeit, um die Sie Bogart beneiden wĂŒrde, auf...’ (S. 25) sind ja ganz lustig und lockern den Text gewiß auf; wenn man aber unter Zeitdruck steht und gerade dringend etwas sucht, dann wird es oft zur Qual, aus all der Plauderei die notwendigen Informationen sich erst mĂŒhsam herausfiltern zu mĂŒssen.

Ein auf alle Schnörkel verzichtendes Buch mit ‘Tips und Tricks zu SIGNUM!', das vielleicht aus einer Leserumfrage hervorgehen könnte, wĂ€re wirklich eine Hilfe. VorlĂ€ufig bleibt einem nichts anderes ĂŒbrig, als aus den verschiedenen Publikationen (auch aus dem DATABECKER Buch zu SIGNUM! und diversen Zeitschriftenartikeln) sich das Wichtigste auf Karteikarten zu schreiben und alphabetisch nach Stichworten zu sortieren. Es ist schon merkwĂŒrdig: hatte ich den Computer auch mit dem Motiv gekauft, umfangreiche Karteisysteme nach und nach in elektronische Datenbanken ĂŒberzufĂŒhren, um auf platzraubende ZettelkĂ€sten verzichten zu können, so sind es nun nicht weniger KĂ€sten geworden, sondern es kam noch einer hinzu!

NĂŒtzlicher Formelbereich

Angesichts der kurzen Zeit, die ich mir fĂŒr das Erlernen des Umgangs mit SIGNUM! und dem Computer zugestanden hatte, war Arbeitsökonomie angesagt; glaubte ich doch nach langem Studium die Techniken der Wissensaneignung prinzipiell zu beherrschen. Also blieb alles aus dem Handbuch ungelesen, was fĂŒr mich unwichtig zu sein schien: zum Beispiel die wenigen Andeutungen ĂŒber ‘Formelzeilen' und ‘Formelbereich': was sollten in einer altgermanistischen Arbeit wohl mathematische Formeln? Doch dann erwies sich das vermeintlich Unwichtige als genau das, was man braucht. Als ich die ersten Verse in meinem Text zitiert hatte und dann einen Zeilenumbruch auslöste, kam ein böses Erwachen: SIGNUM! macht offenbar selbst aus dem schönsten Gedicht erbarmungslos Prosa!

Nach lĂ€ngerem Suchen und Probieren kam ich endlich auf die Lösung, die ebensoeinfach wie wirkungsvoll ist: das ganze Gedichtzitat wird grundsĂ€tzlich zum Formelbereich erklĂ€rt und bleibt dadurch auch dann vom Zeilenumbruch ausgenommen, wenn nicht jede Verszeile einzeln als Absatz markiert wurde. Erstaunlich nur, daß ich nirgendwo einen Hinweis auf dies Verfahren finden konnte. Auch Ritzhaupt, der den Formelbereich ausfĂŒhrlicher behandelt (S. 142ff.) - was eigentlich im Handbuch hĂ€tte geschehen sollen -. nennt außer Formeln als Anwendungsbeispiele nur Tabellen, Grafiken und Platzhalter fĂŒr Diagramme, die spĂ€ter eingeklebt werden sollen. Schreibt oder zitiert denn wirklich niemand Gedichte mit SIGNUM!?

Abb. 1: Mit diesem Trick gelingt es, 'Leerzeichen' in SIGNUM! Zwei zu erzeugen.
Abb. 2 Das alte deutsche 'ö' ist leicht im Zeichensatz-Editor von SIGNUM! zu definieren.
Abb. 3: Dieses Zeichen benötigt man beim Schreiben altdeutscher Texte.

UmstÀndlicher Weg zum Spatium

Ein weiteres nicht im Handbuch erlĂ€utertes Problem hĂ€ngt gleichfalls mit der eigenwilligen Art zusammen, mit der SIGNUM! den Blocksatz ausfĂŒhrt. Laut Ritzhaupt ist eine der hĂ€ufigsten Anfragen an Application Systems, wie mit SIGNUM!Zwei Leerzeichen unterstrichen werden können. Die Tricks, die er (S. 204) und Veit Brixius (ST-Computer 12/1988, S. 162) angeben, helfen dem Dilemma ab, daß es eigentlich gar nicht geht, da SIGNUM! keine Leerzeichen kennt, sondern nur unterschiedliche AbstĂ€nde zwischen den Wörtern. Die PrĂ€misse des Programmierers scheint ja vernĂŒnftig zu sein, daß dort, wo nichts ist, auch nichts unterstrichen werden kann. Viel schlimmer ist schon, daß da nichts ist. Denn Leerstellen sind ja nicht einfach nur nichts, sie können durchaus eine Bedeutungsfunktion haben. Drucker und Setzer sprechen vom ‘Spatium', und sie nutzen diesen Abstand von etwa drei Zeichen zum Beispiel dafĂŒr, bei Verszitaten im Prosakontext das jeweilige Versende zu markieren (etwa: ‘Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll. Ein Fischer saß daran. Sah nach dem Angel ruhevoll KĂŒhl bis ans Herz hinan’).

Eben dies hatte ich, wie von der Schreibmaschine her gewohnt, mit dreifachem DrĂŒcken der Space-Taste immer wieder versucht - und jedesmal rĂŒckte der Umbruch mir mein Spatium wieder auf das Einheitsmaß der WortabstĂ€nde der jeweiligen Zeile zusammen. Alle Versuche, SIGNUM! davon abzuhalten, waren vergeblich: der Gedanke, diese Zeilen sĂ€mtlich in Formelzeilen zu verwandeln, mußte aufgegeben wer den, wenn ein Umbruch ĂŒberhaupt noch sinnvoll sein sollte. Die Lösung fand sich dann ebenfalls in Ritzhaupts SIGNUM!-Buch (S. 206): im Zeichensatzeditor wurde fĂŒr den Editorzeichensatz ein HĂ€kchen definiert, dem im Druckerzeichensatz nichts entspricht (Abb. 1), weshalb der Drucker dann doch so etwas wie ein Leerzeichen ausgibt.

Kein neuer Font, aber...

EnttĂ€uschend war zunĂ€chst, daß es nicht gelang, Akzente auf Buchstaben zu setzen, wie das mit jeder Schreibmaschine leicht zu erreichen ist. In der Tat bietet keiner der zum Lieferumfang gehörenden ZeichensĂ€tze die Möglichkeit, brauchbare Akzente auf Buchstaben zu setzen. ‘Die können Sie im Zeichensatzeditor selbst erzeugen, wenn Sie sich trauen', so der immer geduldige ATARI-HĂ€ndler, 'oder Sie mĂŒssen die Eurofont-Diskette kaufen'. Da ich mich (noch) nicht traute, gab ich erneut DM 69,- aus. So hatte ich nun die (west-) europĂ€ischen ‘Sonderzeichen' zur Hand und konnte alt und mittelhochdeutsche Langvokale mit LĂ€ngenzeichen versehen. Damit war es dann aber nicht genug. Um den Schreibweisen von Handschriften und FrĂŒhdrucken gerecht zu werden, sollte man verschiedene spezielle Buchstaben wie das ‘GeschwĂ€nzte E' (e caudata) oder die alten Umlaute mit hochgestelltem 'e' in den Zitaten verwenden. Einen entsprechenden ‘Mediaevalis' Font fand ich aber unter all den vielen SIGNUM!-ZeichensĂ€tzen nicht (gibt es so etwas mittlerweile? Arbeiten keine Mittelalter-Philologen mit SIGNUM!?). Doch das war nicht weiter schlimm. Im Zeichensatzeditor ließ sich der fĂŒr die Dissertation verwendete Font leicht meinen BedĂŒrfnissen anpassen, wie die Abb. 2-3 zeigen: die zusĂ€tzlichen Zeichen wurden einfach auf die Undefinierten Stellen des Ziffernblocks gelegt und können nun problemlos verwendet werden.

Geduld ist gefragt

Zwar haben Philologen langsam und bedĂ€chtig zu arbeiten, aber manchmal verliere selbst ich die Geduld, wenn SIGNUM! mit meiner Texteingabe ĂŒber die Tastatur nicht mitkommt und immer wieder mal ein paar Buchstaben auslĂ€ĂŸt. Außerdem dauert der Ausdruck ĂŒber den 24-Nadler quĂ€lend lange. FĂŒr das Formulieren lĂ€ngerer Textpassagen (auch dieses Textes) greife ich deshalb heute lieber auf TEMPUS zurĂŒck, dessen ASCII-Texte sich dann leicht in SIGNUM! einladen lassen.

Doch Ă€ndert der Geschwindigkeitsnachteil nichts daran, daß SIGNUM! (bisher) die schönste Textverarbeitung auf dem ATARI ST darstellt-ob dies auch noch so sein wird, wenn TEMPUS WORD vorliegt, wird man sehen.

Abb. 4: Da die Anmerkung 39 nicht mehr auf die Seilt paßte, nahm SIGNUM! auch die Zeile mit der Fußnotenreferenz mit auf die nĂ€chste Seite: So entstand zwischen Text und Fußnoten ein hĂ€ĂŸliches Loch.

Fußnoten im Seitenumbruch

Ein viel grĂ¶ĂŸeres Problem, ĂŒber das die HandbĂŒcher sich ausschweigen, ergibt sich bei der Manuskriptgestaltung: Wie erhĂ€lt man zwischen Textende und Fußnotenanfang einen einigermaßen gleichgroßen Zwischenraum? Die Antwort, SIGNUM! besorge dies automatisch, ist nur dann richtig, wenn auch die Fußnoten von gleicher LĂ€nge oder besser Kurze sind. Philologische Arbeiten, die das Vorkommen etwa eines Wortes oder eines literarischen Motives so vollstĂ€ndig wie möglich zu dokumentieren haben, enthalten darum oft sehr lange Fußnoten, die man im Bleisatz oder mit der Schreibmaschine gegebenenfalls auf die nĂ€chste Seite ĂŒberlaufen lĂ€ĂŸt. SIGNUM! weigert sich jedoch strikt, den Seitenumbruch durch die Fußnoten hindurch vorzunehmen, es bringt entweder die ganze Fußnote, oder zieht sie mitsamt der Zeile, welche die Fußnotenreferenz enthĂ€lt, auf die nĂ€chste Seite hinĂŒber.

Dadurch entstehen zwischen Text und Fußnoten hĂ€ĂŸliche Löcher (Abb. 4), die nur mit mĂŒhsamer Handarbeit zu beseitigen sind; oder weiß jemand Rat? Seinen Grund wird dies Problem darin haben, daß der Programmierer von der Mathematik her kommt, wo es - wenn ĂŒberhaupt - nur ganz kurze Fußnoten gibt. Auch ist die Vorgabe, eine Fußnote solle auf der Seite stehen, zu der sie gehört, an sich nicht unvernĂŒnftig. FĂŒr Philologen aber, die ihren Publikationsstil nicht vom Computerprogramm abhĂ€ngig machen wollen und Manuskripte mit ‘Löchern’ nicht einreichen können, stellt dies Handicap das Arbeiten mit SIGNUM! grundsĂ€tzlich in Frage.

Da wiegt das Fehlen einer Endnotenverwaltung schon weniger schwer. Zur Not setzt man die Anmerkungen eben an das Ende des Textes, ohne sie vom Programm verwalten zu lassen. Schwieriger ist es allerdings, wenn ein Aufsatz zunĂ€chst mit Fußnoten geschrieben wurde und dann die Redaktion einer Zeitschrift Endnoten verlangt. Da hilft nur der mĂŒhsame Weg ĂŒbers Klemmbrett; oder kennt jemand eine bequemere Lösung?

Ausblick

Über einiges ließe sich noch streiten, wie ĂŒber den Sinn einer automatischen Registererstellung. Die Entwickler von SIGNUM! wĂ€ren aber auf jeden Fall gut beraten. sich Gedanken zu machen, wie ihr Programm fĂŒr den großen Kreis von Geisteswissenschaflern interessant werden könnte, die sich noch gar nicht oder erst zögernd dem Computer zuwenden. Hier ist ein großer Markt zu erschließen, wenn man wirklich etwas zu bieten hat, wozu die Verwaltung auch langer Fußnoten unbedingt gehört.

Trotz mancher EnttĂ€uschungen, vieler AbstĂŒrze und einiger ruinierter SDO-Dateien ist etwas eingetreten, was ich zu Anfang nicht fĂŒr möglich gehalten hĂ€tte: Die Arbeit am Computer (und mittlerweile auch nicht mehr nur mit SIGNUM!) begann, mir Spaß zu machen! Sonst wĂ€re gewiß nicht dieser Artikel entstanden. Aber nun ist erst einmal Schluß, jetzt wird nur noch an der Dissertation geschrieben...

Meinolf Schumacher