← ST-Computer 06 / 1990

Assoziatix - oder mehr Zeit fĂŒr Medizin

Aktuelles

SĂŒdseitig auf 1400 m Seehöhe liegt in einer der sonnenreichsten liegenden Kuropas das Krankenhaus Stolzalpe. Wer könnte vermuten, wenn er dieses markante Bauwerk erblickt, daß sich dahinter eines der fĂŒhrenden orthopĂ€dischen Zentren Österreichs verbirgt? Daß der ATARI ST in diesem Hause fĂŒr medizinische Anwendungen akzeptiert wird, hat schon der Ă€rztliche Direktor Professor Dr. Reinhard Graf bewiesen. Er erfand und entwickelte die HĂŒftsonographie beim SĂ€ugling. Diese ungefĂ€hrliche Vorsorgeuntersuchung dient dazu, angeborene HĂŒftleiden frĂŒhzeitig zu entdecken, die nur in dieser Phase optimal behandelt werden können. Bei dieser wichtigen Ultraschalluntersuchung ist nur ein einziges Schnittbild wirklich zur Auswertung geeignet. Und genau hier wird der ATARI ST zum Speichern und Analysieren der Einzelbilder eingesetzt. Doch damit nicht genug. Seit 1988 hat der ‘ST' durch die Initiative von Prim. Dr. Bela Farkas ein neues Anwendungsgebiet gefunden. Die Entwicklungszeit betrug knapp 3 Jahre, das Ergebnis heißt ‘Assoziatix' und ist mittlerweile als Sonderdisk bei MAXON erhĂ€ltlich (siehe Sonderdisk-Seiten in dieser Ausgabe).

Notarzt: Datenmenge kontra Geschwindigkeit

Die grundlegende Idee zum Projekt Assoziatix geht zurĂŒck auf den Herbst 1986. Damals standen wir, eine Gruppe von jungen Ärzten, vor dem Problem, die Einsatzprotokolle der Notarzt wagen des ÖRK in Graz mit einem erschwinglichen Computersystem zu verwalten und gezielt auszuwerten.

Als geeignete Hardware erwies sich recht bald der ATARI 1040 ST. GrĂ¶ĂŸere Schwierigkeiten gab es allerdings bei der Wahl der Software, da wir einerseits doch einige Anforderungen stellten, und andererseits das Angebot an Datenverwaltungen damals recht dĂŒnn gesĂ€t war. Unsere Datenmenge bestand, grob geschĂ€tzt, aus 3000 - 4000 DatensĂ€tzen, wobei pro Satz ein Karteiblatt und ein Notarztprotokoll gefĂŒhrt werden mußten. Dieser Einsatzbericht in Form eines Fragebogens sollte mindestens 400 - 500 ‘ankreuzbare’ Punkte umfassen können. Die Suche in den Protokollen sollte das Finden von bestimmten Mustern zulassen, wobei verschiedene logische VerknĂŒpfungen möglich sein mußten. Die Geschwindigkeit, mit der die Datenmenge (1,5 Mio. Punkte) durchforstet werden sollte, mußte ertrĂ€glich sein (möglichst nur einige Sekunden). Das war unseres Wissens mit einer konventionellen, dialog-orientierten oder programmierbaren Datenbank nicht zu erreichen. Nach einem Jahr Entwicklung und Probelauf konnten wir beginnen, die Kinderkrankheiten des Programmes zu ‘behandeln'. Gleichzeitig fand sich ein neues Einsatzgebiet fĂŒr Assoziatix.

Der Einzug ins Krankenhaus

Das Institut fĂŒr AnĂ€sthesiologie auf der Stolzalpe unter Leitung von Primarius Dr. Bela Farkas muß jĂ€hrlich rund zwei- bis dreitausend Operationen betreuen. Bei dieser TĂ€tigkeit fallen neben den Stammdaten des Patienten auch medizinische Daten an. Diese wurden nach einem DiagnoseschlĂŒssel codiert und archiviert. Mit ‘Lochkarten' und Selektierer war eine Bearbeitung möglich, allerdings alles andere als benutzerfreundlich. FĂŒr jede Fragestellung mußten die Lochkarten gezielt auf einen Punkt hin untersucht werden. Bei einer neuen Frage mußte unter UmstĂ€nden der gesamte Aufwand wiederholt werden. Daher suchte Dr. Farkas nach einem anderen Dokumentationssystem. Assoziatix bot sich ideal zur Verwaltung der Daten, die als Mischung aus Texteingaben und Ja/Nein-Abfragen Vorlagen, an. Alle medizinisch relevanten Informationen ĂŒber die Narkose, wie z. B. Narkoserisiko oder prĂ€- und postoperative Komplikationen werden nun ĂŒber ein standardisiertes Narkoseformblatt erfaßt. Dieses Formblatt, einem Fragebogen Ă€hnlich, wird durch Ankreuzen der zutreffenden Punkte fĂŒr jeden Patienten angelegt.

Ideen gegen RealitÀten

Nach intensiven Diskussionen mit Prim. Farkas waren seine Vorstellungen und meine Möglichkeiten definiert. Nun galt es. die Ideen, die mit der Zeit immer gewagter wurden und schon begannen, die Hardware zu sprengen, wieder an die Hardware - einen ‘Single User'- und ‘Single Tasking'-Rechner - und an meine Programmiertechnik zurĂŒckzufĂŒhren. Jede Möglichkeit der Verbesserung und Anpassung rief eine neue Idee hervor, nahezu eine Sisyphusarbeit. Dieser Aufwand wurde aber dadurch entschĂ€digt, daß Assoziatix stĂ€ndig als Testversion lief und ein laufendes Feedback ĂŒber auftretende Probleme gegeben war.

Als erster Punkt mußte die Datensicherheit erhöht werden. Jeder Datensatz wird daher sofort auf die Festplatte ausgelagert. Ein Absturz oder Stromausfall sollte vom Programm erkannnt und behandelt werden. Dies wurde so gelöst, daß Assoziatix, sofern eine Datei nicht ordnungsgemĂ€ĂŸ abgeschlossen wurde, selbstĂ€ndig eine Restaurierungsmöglichkeit beim Neustart anbietet. Vor und wĂ€hrend der Operation werden die Daten auf einem AnĂ€sthesieprotokoll schriftlich erfaßt. Der Aufbau dieses Erhebungsblattes entspricht dem Bildschirm-Layout, damit die Übertragung in den Computer auch fĂŒr den UngeĂŒbten keine Schwierigkeiten macht. Zur VervollstĂ€ndigung wurde von Dr. Farkas auch ein Eingabehandbuch aufgelegt. Das VerstĂ€ndnis fĂŒr den Computer bei den Mitarbeitern war so problemlos gegeben.

Das Resultat

Die Speicherung der Protokolldaten erfolgt fĂŒr jede Ja/Nein-Abfrage als Bit. Diese Form bringt zwei entscheidende Vorteile: zum einen komprimierte Speicherung des Protokolls mit Minimierung des Speicherbedarfes, zum anderen wird auf diese Weise eine schnelle Suche ermöglicht, indem 32 Bits zu einem Langwort zusammengefaßt werden. Da Langwortoperationen auf den 68000-Prozessor optimal zugeschnitten sind, werden bei der Suche nur noch Langwörter miteinander verglichen.

Das Krankenhaus Stolzalpe

Assoziatix kann nicht nur exakte Begriffe in Datenfeldern suchen, sondern durchforstet den Datenbestand auch nach Merkmalen, die einen Datensatz beschreiben. Diese ergeben als Vorgabe ein Muster. Da jedes beliebige Muster gesucht werden kann, muß die Suche im Protokoll sequentiell durchgefĂŒhrt werden. Und genau diese Suche erfordert bei relationalen Datenbanken viel Zeit und wurde daher in Assoziatix optimiert. Die Protokollsuche erlaubt auch logische VerknĂŒpfungen, wie z.B. “finde alle Patienten: ‘mĂ€nnlich’ und (‘1-15 Jahre’ oder ‘prĂ€-operatives Risiko 4’)”.

Als zusĂ€tzliches Extra können sogar Ă€hnliche Muster gesucht werden, die sich z.B. in einer definierbaren Anzahl von Punkten von der Vorgabe unterscheiden dĂŒrfen.

Hin und wieder gibt es Zusatzinformationen zu einem Patienten, die nicht in einem Datensatz untergebracht werden können. Daher der Wunsch von Dr. Farkas, auch Texte und eventuell kleine Skizzen mitzuverwalten. Ich wußte freilich nicht, welche MĂŒhen und welches Kopfzerbrechen mit dieser Vorgabe gekoppelt sein sollten. Aber mein Ehrgeiz war geweckt und die Idee zu einem in die BenutzeroberflĂ€che integrierten Texteditor und Grafikprogramm wurde realisiert. Als goßes Plus kann nun jederzeit aus einem Datensatz heraus ein dazugehöriger Text und/oder eine Grafik auf ‘Knopfdruck’ bearbeitet werden. Die lĂ€stigen Wartezeiten fĂŒr das Nachladen eines Editors entfallen.

Ein weiteres ‘Zuckerl’, welches auf Anregung von Dr. Farkas - zu meinem Leidwesen als Programmierer - implementiert wurde, ist die ‘Experten-Funktion'. Es kommt immer wieder vor daß nur vage Erinnerungen an einen Patienten existieren. In diesem Fall kann man sich vom Computer nach Merkmalen zum Datenbestand befragen lassen. Aufgrund der Antworten des Anwenders werden die nicht zutreffenden Hypothesen eliminiert, bis im Idealfall nur mehr der gewĂŒnschte Datensatz ĂŒbrigbleibt.

Im Routinebetrieb ging bei komplexen, schrittweisen Suchanfragen öfters die Fragestellung verloren. Wir hatten zwar ein Ergebnis, konnten aber die einzelnen Abfrageschritte nicht mehr ‘aus dem Kopf nachvollziehen. Auch dieses Problem wurde gelöst. Nun werden diese TĂ€tigkeiten automatisch im Klartext aufgezeichnet und können jederzeit problemlos im Texteditor ĂŒberprĂŒft und manipuliert werden.

Endlich fertig?

Seit Sommer 1988 lĂ€uft Assoziatix im praktischen Einsatz im Krankenhaus Stolzalpe. Durch kontinuierliches Feedback zwischen Anwender und Programmierer konnten laufend wertvolle Erfahrungen in die Weiterentwicklung einfließen. Heute werden die unzĂ€hligen schlaflosen NĂ€chte durch das Wissen, das aufgrund des konsequenten EDV-Einsatzes aus den Rohdaten gewonnen werden kann, mehr als wettgemacht. AnĂ€sthesiologische und intensivmedizinische Daten können nun jederzeit fĂŒr wissenschaftliche Zwecke abgerufen werden. Die jĂ€hrlich vom Spitalserhalter geforderte Statistik wurde 1989 bereits vollstĂ€ndig mit Assoziatix erstellt. Der dafĂŒr erforderliche Zeitaufwand schrumpfte von einigen Wochen auf einige Stunden.

Der Routineeinsatz klappt nun bestens, aber die Geister die man einmal rief, die wird man nicht mehr los. Dr. Farkas hat bereits neue Ideen...

Dr. Wolfgang Kohlmaier