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Der Maulwurf … jagt den Jaguar

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 Wie immer, wenn der absolute Redaktionsschluß der ST-Computer vor der TĂŒr steht, geht es in unseren BĂŒrorĂ€umen sehr hektisch zu."Wo ist denn nur dieses +*9& %$§ Foto von dem GE-Soft-TT?", schallt es irgendwo her. Das Telefon klingelt auf allen Leitungen Sturm. Redakteure, Drucker, Belichter, Leser, alle wollen auf einmal irgendetwas von einem. In diesem Gewirr aus verschiedenen Stimmen und KlĂ€ngen erreicht mich ein Anruf unserer Telefonistin, da wĂ€re ein englisch sprechender Herr, ein Mr. Mole, am Apparat, der mich unbedingt sprechen wollte. Er wolle nicht sagen, worum es geht und gĂ€be sich sehr geheimnisvoll. Murrend ĂŒbernahm ich das GesprĂ€ch ...

"Hi, hier spricht der Maulwurf. Die englische Tarnung ist fast perfekt, isn't it? Ich habe interessante Neuigkeiten ĂŒber den Jaguar, die neue Spielekonsole ATARIS. Treffpunkt heute 22.00 Uhr, Schwalbach, Altes Rathaus, links neben dem Brunnen." 22.00 Uhr, viele nervige Stunden spĂ€ter stand ich ihm gegenĂŒber. Als Arzneimittelvertreter getarnt mit großem Probekoffer saß er in einer Ecke, als wollte er einen Moment verschnaufen. "Vorsicht!" rannte er als ich ungeduldig nach seinem Probekoffer griff, "das ist wirklich hochbrisantes Material. Es könnte einigen Staub aufwirbeln, wenn es in die falschen HĂ€nde gerĂ€t!". Wie immer versicherte ich ihm meine Diskretion durchzustecken eines StĂŒcks bunt bedruckten Papiers. Eine Sekunde spĂ€ter schnappte das Schloß des Koffers hörbar und mit zittrigen Fingern und sich immer wieder nervös umblickend krante er einige sichtbar hastig kopierte BlĂ€tter hervor. "Ein Foto des GehĂ€uses, sĂ€mtliche technische Daten und sogar ein Blockschaltbild habe ich ausgegraben", hörte ich seine knarrende Stimme, begleitet von einem verschmutzen Grinsen sagen.

In der Tat, was uns der Maulwurf diesmal bescherte, war mehr als erstaunlich. ATARI hat in seine neueste Entwicklung wirklich eine gehörige Portion Hirnschmalz investiert. Kein gĂ€ngiger Prozessor, Video- oder Sound-Chip war den Entwicklern gut genug, nein, eine vollstĂ€ndige Eigenentwicklung soll alles bis dahin Gekannte weit in den Schatten stellen. TatsĂ€chlich, sage und schreibe 64 Bit breit ist der Datenbus des Jaguars. Damit wird eine Busbandbreite von ĂŒber 100 Megabyte pro Sekunde erreicht. Genug um 850 Millionen Pixel pro Sekunde in 16,7 Millionen Farben und Stereo-Sound in CD-QualitĂ€t gleichzeitig c zu erzeugen. Fantastisch! Insgesamt fĂŒnf Prozessoren teilen sich die Arbeit in einem GehĂ€use, das kaum grĂ¶ĂŸer als ein tragbarer CD-Payer ist, "Tom und Jerry" hat ATARI die beiden wichtigsten Chips des Jaguar-, getauft. Tom beinhaltet einen DRAM Memory Controller, einen Objekt- sowie einen Grafikprozessor mit 4 KB SRAM und einen Blitter. SĂ€mtliche Komponenten dieses Chips sind mit einem vollen 64-Bit-breiten Bus verbunden. Auch die Verbindung vorn Memory-Controller zum eigentlichen DRAM ist 64 Bit breit. Jerry, der zweite Custom-Chip, vereint einen digitalen Signalprozessor (DSP), das Soundsubsystem und Baugruppen zur Ein-/Ausga- besteuerung fĂŒr Joypads, Tastatur, Netzwerke usw. Dieser Prozessor hat eine -32-Bit- breite Verbindung zum Systembus. Auch der gute alte Motorola 68000 ist wieder mit von der Partie. Er dient wohl als kontrollierende Instanz. Das Videossystem erzeugt Auflösungen bis 720 x 576 Pixel, was die Grenze der heutigen Fernsehnorm darstellt. Neben einem HF-, Video- und S-Video-Ausgang, bietet der Jaguar aber auch die Möglichkeit, hochwertige RGB-Monitore anzuschließen, was ebenfalls ein Novum bei Spielekonsolen sein dĂŒrfte. Insgesamt kann man sagen, daß diese Rechenpower bislang allenfalls in sĂŒndhaft teuren Grafik-Workstations verwendet wurde, Etwas derartiges in eine Videospielkonsole einzubauen, ist ohne Zweifel revolutionĂ€r.

Bei den geheimen Unterlagen, die uns der Maulwurf zugespielt hatte, befand sich auch eine Liste der zur Zeit bereits in Entwicklung befindlichen Spiele. 10 Titel sind dort auf- gefĂŒhrt. Vom 3-dimensionalen Weltraum-Action-Spiel, das PlanetenoberflĂ€chen und GebĂ€ude in Echtzeit mit 24Bit-True-Color-Grafik berechnet (Crescent Galaxy), ĂŒber Jump'n'run-Adventures (Tiny Toon Adventures) und Kampfsportspiele (Kasumi Ninja) in atemberaubender Geschwindigkeit, bis hin zum action-geladenen Fantasie-Fahrsimulator, der 3D-Vektorgrafik und Rendering verbindet und somit tĂ€uschend realistische Bilder erzeugt (Club Drive), ist alles vertreten. NatĂŒrlich fehlt auch der ATARI-Formel-eins-Klassiker "Checkered Flag" nicht. Hierbei werden erstmals Fahrzeuge, Straßen und GebĂ€ude dreidimensional in Echtzeit gerendert.

Anfang nĂ€chsten Jahres wird der Jaguar in Deutschland Einzug halten. Ein CD-ROM-Laufwerk wird kurz danach ebenfalls folgen. Der Preis ist mit ca. 200,- US-Dollar angesetzt. "Das sind ja fantastische Aussichten" hauchte ich mit trockenem Mund, als ich die losen BlĂ€tter grob ĂŒberzogen hatte. "Tja", entgegnete der Maulwurf nicht ohne Stolz, .,warte erst mal, bis ich nĂ€here Informationen zu ATARIs nĂ€chstes Projekt habe, das eine Verbindung aus der Falcon- und Jaguar-Technologie sein soll! Da bleibt Dir erst recht die Luft weg." Mit diesen Worten zupfte er seinen tiefschwarzen, falschen Kinnvollbart zurecht, nahm einen tiefen Zug aus seiner ĂŒberdimensionalen englischen Tabakpfeife, die selbst Sherlock Holmes neidisch gemacht hĂ€tte, und verschwand "La Paloma"-pfeifend in der nĂ€chsten Eisdiele.