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Atari 2000 - Der Status unserer Plattform: Betriebssysteme

Atari 2000

Betriebssysteme

Der PC wird klar von Windows beherrscht, auf dem Mac kann neben Linux (und auf Ă€lteren Rechnern BeOS) sowieso nur MacOS genutzt werden, und der Amiga wird zumeist mit AmigaOS betrieben. Auf dem Atari und seinen kompatiblen Plattformen teilen sich mehrere Systeme die Regentschaft. Der Grund hierfĂŒr liegt darin, dass das von Atari mitgelieferte TOS jahrelang nicht multitaskingfĂ€hig und das spĂ€tere MultiTOS besonders auf den kleinen Ataris langsam und unzuverlĂ€ssig war und auch nie richtig aus den Startlöchern kam. Ziemlich frĂŒh wurde daher an Alternativen gebastelt: Erstes ernstzunehmendes Produkt war wohl das Betriebssystem KAOS, dessen Weiterentwicklung auch dadurch unterbrochen wurde, dass Atari den Chefentwickler kurzerhand einstellte und dessen FĂ€higkeiten fĂŒr eigene Zwecke nutzte. Maxon veröffentlichte Anfang der 90er Jahre MultiGEM, wobei die Anzahl der parallel zu betreibenden Programme beschrĂ€nkt war. Wenig spĂ€ter erschien MagX!, das spĂ€ter von ASH in den Vertrieb genommen und in MagiC umgetauft wurde.

MagiC

MagiC hat sich daraufhin zu dem wohl verbreitetsten und beliebtesten Betriebssystem fĂŒr den Atari entwickelt und gleichzeitig BrĂŒcken zu der Macbzw. PC-Plattform geschlagen, indem es hier als Emulator erschien. Vor allen Dingen weiss es in der aktuellen Version 6.1 durch seine moderne Optik und seinen hohen Komfort zu ĂŒberzeugen. Obwohl man vielleicht erwarten sollte, dass ein Computer mit einem multitaskingfĂ€higen Betriebssystem langsamer als unter einer Singeltasking-Variante lĂ€uft, gewinnt ein Atari unter MagiC gegenĂŒber dem TOS noch einiges an Geschwindigkeit, da viele Routinen einfach durch bessere und schnellere Codes ersetzt wurden. Viele MagiC-Routinen wurden außerdem in Assembler entwickelt, was weitere Optimierungen möglich machte.

MagiC wird standardmĂ€ĂŸig mit einem eigenen Desktop ausgeliefert, der bereits einen hohen Komfort bietet. ASH bietet ausserdem den modernen Desktop jinnee an, der plattformĂŒbergreifend seinesgleichen sucht und auch mit dem Milan II ausgeliefert wird. Lange Dateinamen werden ebenso als Standard betrachtet. Optimal ergĂ€nzt wird MagiC durch das VDI- und Treiberpaket NVDI, das eine Integration von TrueType-SchriftsĂ€tzen und eine aktuelle transparente Druckertreiber-Bilbliothek bietet. Durch das verbesserte VDI werden besonders die originalen Atari-Rechner merklich in der Grafikausgabe beschleunigt.

Besonderes Merkmal ist natĂŒrlich die parallele Weiterentwicklung fĂŒr die Mac- und PC-Plattformen. Atari-Anwender profitieren also direkt von allen AnsprĂŒchen, die auf diesen Systemen an ein modernes OS gestellt werden. GerĂŒchteweise ist .fĂŒr kommende Versionen auch die transparente Integration eines TCP-/IP-Stacks geplant, der endlich den Hauptkritikpunkt aufheben soll: MagiC ist grundsĂ€tzlich nicht netzwerktauglich.

Ins Internet kann der Anwender mit MagiC jedoch schon heute kommen: Mit I-Connect steht ein eigener Stack mit einer höchst komfortablen Zugangssoftware bereit. Einige Programme wie der ASH EMailer oder der Chatter verlangen dann auch bindend nach MagiC als Betriebssystem. Andere Programme (speziell professionelle Lösungen von ASH) nutzen hĂ€ufig einzelne Funktionen, die nur unter MagiC verfĂŒgbar sind.

Die KompatibilitĂ€t ist erfreulich hoch: Nahezu alle heutigen Atari-Programme laufen auch unter MagiC. Wenn doch einmal ein Programm nicht funktioniert, kann der Anwender den Rechner jederzeit unter TOS booten, da dieses im Rechner auf den ROMs erhalten bleibt. Ein Manko ist jedoch, dass MagiC sehr hardwareabhĂ€ngig arbeitet und Portierungen auf neue Hardware daher schwierig ist, was die langen Umsetzungszeiten fĂŒr den Hades, den Milan oder sogar fĂŒr den Falcon gezeigt haben. Im Falle des Milan, der hoffentlich noch viele ModellĂ€nderungen bringen wird, wurde allerdings von diesem unflexiblen Konzept erstmals abgesehen: MagiC setzt hier auf das TOS auf und muss nicht mehr fĂŒr jede einzelne Maschine angepasst werden. Mögliche Geschwindigkeitsnachteile werden durch die schnelle Milan-Hardware kompensiert:

MagiC wird auf zwei HD-Disketten ausgeliefert - einmal mehr ein Beweis dafĂŒr, dass ein heutiges Betriebssystem nicht Festplatten fĂŒllen muss, sondern klein und kompakt sein kann. MagiC lĂ€uft daher auch auf den Ataris der ST-und STE-Serie. FĂŒr ein sinnvolles Arbeiten mit mehreren Programmen sollten aber 4 MB installiert sein, richtig Spaß macht es aber erst mit mindestens 8 MB RAM.

N.AES

Mit dem Falcon stellte Atari 1992 auch die erste multitaskingfĂ€hige Version seines Betriebssystems TOS vor: MultiTOS war geboren, stellte sich aber als mehr als schwierige Geburt heraus: Auf Ă€lteren Ataris lief es aufgrund der fehlenden MMU nur sehr unzuverlĂ€ssig, und auch die Leistung eines TT oder Falcon reichte nicht aus, um angenehm schnell zu arbeiten. Sang- und klanglos verschwand das MultiTOS daher nach dem RĂŒckzug von Atari und dem Erscheinen von MagiC wieder in der Versenkung. Der Ansatz war dabei eigentlich sehr fortschrittlich: Als Kernel wird MiNT genutzt, ein UNIX-Ă€hnliches Betriebssystem, dessen Distribution viel von der Linux-Philosophie vorweggenommen hat. Durch diesen MiNT-Kernel wird auch die eigentliche MultitaskingfĂ€higkeit bewerkstelligt. Auf diesem Konzept baut auch das N.AES auf, das bei seiner PrĂ€sentation als "das schnelle MultiTOS" bezeichnet wurde und diesem Anspruch voll gerecht wird: Es ergĂ€nzt den MiNT-Kernel um ein komplett neues, modernes AES, ist sehr komfortabel zu bedienen und fĂŒhrt damit den Ansatz von Atari endlich zum Erfolg.

Als Desktop wird Thing! mitgeliefert, der Ă€hnlich komfortabel wie jinnee ist, aber eher an OS/2 erinnert. Alle MiNT-/N.AES-spezifischen Funktionen werden in der speziellen Version unterstĂŒtzt.

N.AES ist durch seinen MiNT-"Unterbau" auch komplett netzwerkfĂ€hig. Aktuelle Treiber fĂŒr die Vernetzung von Atari-Rechnern und Kompatiblen mit dem Rest der Welt wird ĂŒber beiliegende TCP-/IP-Stacks ermöglicht. FĂŒr das MiNT-Net stehen auch eigene Clients fĂŒr das Internet bereit, alternativ können auch die frei erhĂ€ltlichen STiNG-Clients genutzt werden.

Aktuell ist die Version 2.0, die komplett ĂŒberarbeitete Fensterroutinen (die Optik ist jetzt Ă€hnlich attraktiv wie unter MagiC) und eine komfortablere Installation sowie Konfiguration bietet. Dank dem neuen MiNT-Kernel werden jetzt auch die Dateisysteme VFAT, FAT32 und EXT2 (Linux) mit langen Dateinamen unterstĂŒtzt. Ausserdem werden viele Funktionen implementiert, die vorher nur unter MagiC zu finden waren.

N.AES kostet DM 129.- und ist damit noch etwas gĂŒnstiger als MagiC. FĂŒr ein schnelles Arbeiten ist mindestens eine Maschine mit 030-CPU und gutem Speicherausbau empfehlenswert.

Die aktuelle MiNT-Version mit allen Erweiterungen ist ĂŒbrigens auch auf einer separaten CD erhĂ€ltlich.

Geneva

Auch alte "Atari-Hasen" vergessen bei der AufzÀhlung der Atari-Betriebssysteme hin und wieder eine Alternative, die aus den USA kommt: Geneva. Geneva ist genau wie MagiC ein eigenstÀndiges Multitasking-OS, setzt also nicht auf den Atari-Ansatz MiNT auf. Das Besondere an Geneva ist, dass es schon auf sehr einfachen Atari-Konfigurationen lÀuft: Theoretisch ist sogar schon die Installation auf einem 520 ST mit 512 kB RAM möglich. Wie bei allen Multitasking-Betriebssystemen ist eine sinnvolle Arbeit mit mehreren Programmen erst ab 4 MB empfehlenswert bzw. möglich.

Geneva bietet im Gegensatz zu MagiC, N.AES oder auch MultiTOS "nur" kooperatives Multitasking. Bei kooperativen Systemen haben alle laufenden Programme gleichberechtigten Zugang zur Leistung der CPU. Das prĂ€emptive Multitasking (MagiC, N.AES) ĂŒbertragt die Verantwortung ĂŒber die Nutzung der CPU den laufenden Programmen. Zwar wird dadurch ein weitaus flexibleres und moderneres System ermöglicht, allerdings wird auch eine hohe Rechenleistung erforderlich. Mit seinem kooperativen Multitasking ist Geneva ĂŒbrigens in bester Gesellschaft: Auch Windows 98 und MacOS stellen (derzeit) kooperative Systeme dar.

Geneva ersetzt das AES eines Atari-Computers und muss daher um einen Desktop ergĂ€nzt werden. Möglich ist der Betrieb mit jinnee, aufgrund von einigen Problemen sollte man jedoch eher den alternativen Desktop Neodesk nutzen, der von demselben Hersteller kommt und optimal auf Geneva abgestimmt ist. Hervorragend vertrĂ€gt sich auch der gute alte Gemini-Desktop mit Geneva. Die OberflĂ€che - also Dialog-Boxen etc. - von Geneva selbst wirken nicht ganz so modern und elegant wie unter MagiC und N.AES, erfĂŒllen aber besonders auf Mono-Bildschirmen ihren Zweck. Besonders originell sind jedoch die ab-reissbaren MenĂŒs, die eine Platzierung der aktuell benötigten Funktionen auf dem Desktop zulassen.

In Sachen KompatibilitĂ€t kann Geneva zwar nicht ganz mit MagiC mithalten, trotzdem sollten heutige Programme problemlos arbeiten. Falls Programme allerdings spezielle AES-Funktionen (Radiobuttons etc.) nutzen, ist das Ergebnis unter Geneva meist weniger elegant oder wird falsch dargestellt. Viele Konfigurationen mĂŒssen in einer eigenen Konfigurationsdatei vorgenommen werden. Die Geschwindigkeit ist auch auf kleinen Ataris angenehm hoch und zumindest subjektiv MagiC ebenbĂŒrtig, die Zusammenarbeit mit NVDI problemlos.

Geneva ist in Deutschland beim Software-Service Seidel erhĂ€ltlich. Besonders zu erfreuen weiss der Preis: Gerade mal DM 49.- kostet das Betriebssystem, fĂŒr nochmals DM 49.- erhĂ€lt man Neodesk. Im Preis enthalten ist eine ausfĂŒhrliche Dokumentation. Im Gegensatz zu N.AES und MagiC ist Geneva in der aktuellen Version 7 nur in Englisch erhĂ€ltlich.

Wenn Sie...

...ein modernes, weit verbreitetes und stabiles OS suchen...
...eine grĂ¶ĂŸtmögliche KompatibilitĂ€t zu MultiTOS suchen...
...nur einen sehr kleinen Rechner haben aber trotzdem Multitasking nutzen wollen...
...Ihr System in ein Netzwerk einbinden möchten...
...ein besonders schnelles und kompaktes OS suchen...
...Wert auf lange Dateinamen legen...
...ein OS mit sehr guten Internet-Applikationen suchen...
...ein Mehrbenutzer-System suchen...
...ein ins Detail konfigurierbares OS suchen...
...ein OS suchen, das auf auch auf Neuentwicklungen laufen soll...

...dann MagiC
...dann N.AES
...dann MagiC oder Geneva
...dann MiNT/N.AES
...dann MagiC
...dann MagiC oder N.AES
...dann MagiC
...dann MiNT/N.AES
...dann N.AES
...dann N.AES

Thomas Raukamp