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Atari Scene - Report: History of the Scene

Entertainment

Scener, Hacker, Cracker - selbst Mitglieder der Szene kennen sich oftmals nicht mehr in diesem Wirrwarr der Begriffe aus. Um Licht in dieses Dunkel zu bringen, ist ein Blick in die Geschichte der Szene-Entwicklung unabdingbar. Evrim Sen, Mit-Autor des Buches „Hackerland“ bemĂŒht sich um KlĂ€rung der Begriffe.

Im Laufe der Jahre hat sich die Szene im Hinblick auf die Vergangenheit stark verĂ€ndert. Inwiefern die alten Strukturen Einfluss in die heutige Zeit nehmen, bleiben fĂŒr die meisten „Newcomer" der Szene und andere Interessierte undurchschaubar. Dennoch sind Ă€hnliche Strukturen - auch wenn sie sich heute von alten unterscheiden - sichtbar. Jede Szene hat nun einmal ihre Geschichte.

Jargon

«Wenn ein Cracker ein Major released, wird dieser worldwide gespreadet, und nicht selten kommt es vor, dass Trader auch mal genuked werden, wenn sie in die Boards Doubles uploaden - denn das ist ja lame.» So ungefÀhr hörte es sich an, wenn Szenemitglieder miteinander kommunizierten. Nun muss man sich in der heutigen Zeit eingestehen, dass dieser elitÀre Slang sich stark gewandelt hat. Auch ein Wandel der Strukturen der Szene ist nicht von der Hand zu weisen.

Diese szenespezifische Sprache baute in den meisten FĂ€llen eine gewisse Schutzmauer gegen Außenstehende auf, denn nicht selten kam es vor, dass auch legale „Demoscener" mit Ermittlungen und Hausdurchsuchungen rechnen mussten. Zwar arbeitet man als Mitglied einer Demogruppe im Rahmen der KreativitĂ€t an einer Demo, doch als Teil einer Vereinigung, dessen Wurzeln im illegalen Treiben - den Crackern - verankert bleibt, ist die weiße Weste nicht ganz unbefleckt.

Gerade in den BlĂŒtezeiten der Szene waren „HackerjĂ€ger“ - darunter auch der berĂŒchtigte Rechtsanwalt von Gravenreuth - unterwegs, um illegal agierende Szenemitglieder zu Fall zu bringen. Somit hatte dieser nur fĂŒr Insider verstĂ€ndliche Szenejargon im Laufe der Jahre eine immer wichtigere Bedeutung gewonnen. WĂ€hrend der kontinuierlichen Entwicklung der Szene haben sich bislang eine Menge Begriffe und AbkĂŒrzungen entwickelt, dessen Definitionen heute von Außenstehenden schnell missverstanden werden können. Das liegt wohl auch an der zunehmenden Anzahl der Computeranwender.

Die meist unseriöse Berichterstattung in den Medien sorgt jedoch nicht unbedingt fĂŒr AufklĂ€rung. Damit verbunden wĂ€chst das Interesse an „Hackern", den zwielichtigen Benutzern der Cyberwelt. Die jĂŒngsten Hackerattacken auf ZDNet, eBay, Yahoo etc. sind beste Beispiele fĂŒr heiße Schlagzeilen. Auch der LoveLetter-Virus, der erst kĂŒrzlich fĂŒr viel Furore sorgte, war ein gefundenes Fressen fĂŒr die Medien. Aufgrund zahlreicher Berichterstattungen versuchen Sender und Boulevardmagazine, die WissenslĂŒcke der Otto-Normal-Verbraucher meist mit Sensationellem auszunutzen. So werden immer mehr Begriffe aus dem Szenebereich mit anderen vermischt - an Tatsachen wird gerne herumgetrickst.

Bad guys, good guys

Ein Cracker ist jemand, der den Kopierschutz einer Software entfernt und somit dessen Verbreitung ermöglicht (Cracken = den Kopierschutz „knacken"). In den frĂŒhen 80er Jahren erstmals in USA von EinzelgĂ€ngern ins Leben gerufen, fingen derartige und andere Begriffe an, sich in Kreisen der Computerfreaks zu etablieren. Erst nachdem sich die Softwareindustrie verstĂ€rkt darauf konzentrierte, nun auch komplizierte Algorithmen in ihren Kopierschutz einzubauen, um EinzelgĂ€nger vom „Cracken“ abzuhalten, bildeten sich Gruppierungen, die sich gezielt auf das Cracken spezialisierten. Angefangen auf dem bekannten Commodore 64 und dem Atari XL und spĂ€ter fortgesetzt auf dem Amiga und dem Atari ST, bauten die Cracker damals kleine Demos (Intros) in ihre frisch gecrackte Software ein, um auch ihre eigenen Gruppennamen durch die Welt zu tragen. So entstand dann auch der Begriff „Cracktro" (abbreviert von „Crack Introduction“, einem kleinen Vorspann, der als WerbeflĂ€che fundiert). So muss man sich die Entstehung dieser einzigartigen „Szene“ jedenfalls vorstellen.

WĂ€hrend dieser Zeit hat sich auch ein falsches VerstĂ€ndnis ĂŒber derartige Begriffe verbreitet. Beispielsweise wird der Begriff „Hacker" heute noch von jedermann anders interpretiert. Auf der einen Seite versteht der Durchschnittsanwender unter „Hacker" einen Computerfreak, der mit seinem Computer böse Absichten hegt, um die Systeme fremder Leute zu verwĂŒsten. Nicht unbeteiligt sind natĂŒrlich die Medien, die aufgrund der AktualitĂ€t des Themas derartige Begriffe als spektakulĂ€r verkaufen, um dadurch mehr Aufmerksamkeit zu erzielen. Auf der anderen Seite haben sich hunderte von Vereinigungen - darunter auch der Chaos Computer Club - gebildet, die hart darauf beharren, dem Begriff „Hacker" eine ethische Bedeutung zu verleihen. Somit seien böse Computeranwender eindeutig mit „Cracker" von den Hackern zu unterscheiden, die nichts mit dem Knacken einer Computersoftware zu tun haben. Nach dieser Auffassung sind Hacker kritische und kreative Computeranwender, die mit ihrem speziellen Know-How nur „gute" Absichten pflegen - und doch haben sie nichts mit der Demoszene gemein.

Nach nun mehr als zwanzig Jahren Entstehungsgeschichte ist die Szene weltweit in tausende von unabhĂ€ngige Gruppierungen gesplittet, die teilweise selbst ihre eigene Geschichte nicht mehr kennen. So ist es kaum verwunderlich, dass sich viele Hackergruppen in ihre, eigenen Begriffs-Wirrwarr rund um den Begriff „Hacker" verfangen. In der ursprĂŒnglichen Szene dagegen versuchen verschiedene „Scene-Related Websites“ fĂŒr AufklĂ€rung zu sorgen.

Aus dieser Motivation heraus entstanden auch Fangruppen, die ein StĂŒck Geschichte im Internet anbieten: Nostalgische Cracktros von C64, Atari bis Amiga kann man bei den Sammlern unter den entsprechenden Websites herunterladen.

TĂ€glich Szene putzen

Als Cracker bezeichnen sich auch gerne diejenigen, die sich im Grunde von der Szene weit entfernt haben. Vor einigen Monaten sorgte die illegale PC-Szenegruppe „Loopteam“ fĂŒr Schlagzeilen, als ihre weltweit vertriebene CD-Raubkopie-Reihe „Akira" nach aufwendigen Ermittlungen der Polizei mit der Ausgabe Nummer 6 ihr Ende fand. WĂ€hrend sich in der Szene gleichwertige CDs immer noch mit Namen wie „Twilight“, „Blade“ und „Crazy Bytes“ in Auflagen bis zu 60.000 Exemplaren sorgenfrei in der Szene verbreiten, spricht die Polizei bei diesem geglĂŒckten Einzelfall von der grĂ¶ĂŸten Aufdeckung ĂŒberhaupt. Hier wird wieder deutlich, dass gerade in der organisierten ComputerkriminalitĂ€t die Ermittlungsbehörden oftmals im Dunkeln tappen und die Strukturen der Szene nicht durchschaut haben. WĂ€hrend die aktive Crackerzeit fĂŒr viele begabte Szenemitglieder ein Sprungbrett in die multimediale Berufswelt war, haben sich auf der anderen Seite einige Computerfreaks dazu entschlossen, ihre Erfahrung aus der Hobby-Crackerszene in die organisierte KriminalitĂ€t zu tragen - diese unangenehme Entwicklung gehört leider auch zu den Tatsachen. Cracken fĂŒr Geld und zwielichtige GeschĂ€fte mit Kriminellen gehören mittlerweile fĂŒr einige Cracker zum Alltagsleben. Gerade bei solchen VerhĂ€ltnissen ist die Motivation der nostalgischen Szene umso mehr, die alten Zeiten wieder zu beleben und daran zu erinnern, dass die ursprĂŒngliche Szene keine kommerziellen Absichten pflegte.

Unter dem Motto „commerce suxx, friendship rulez", finden heute noch Scene-Meetings und -Parties statt, auf denen man nicht selten Ermittler antrifft, die sich gerne unter das Volk mischen. „Den Feind zum Freund machen“ lautet hier das Motto der meisten Organisatoren. So war auch dieses Jahr bei der RADWAR-Party der MĂŒnchener Anwalt von Gravenreuth anzutreffen. Mittlerweile gehört aber auch er eher zu den nostalgischen Überbleibseln der Szene, denn mit Szene hat er außer den Besuchen von Meetings nicht mehr viel am Hut - seine Interessen gelten mittlerweile eher dem Markenrecht.

Kommerzialisierung der Szene

WĂ€hrend bereits ein Bildschirmschoner unter Windows auf heutigen PCs ungefĂ€hr qualitativ gleichwertige Echtzeit-Effekte wie eine hochwertige Demo auf Demoparties auf Atari-Computern darstellt, stellt sich mancher Beobachter die Frage, inwiefern sich Demos noch als innovative Produktionen behaupten können. UnterschĂ€tzt wird dabei jedoch oftmals die Verbindung der Demoszene zu den heutigen Effekten. Die Beobachtung, dass Demoprogrammierer ihre Effekte an Softwarefirmen verkaufen, zeigt deutlich, wo die heutigen Effekte ihre Quellen haben. Doch der Erfahrungsaustausch zwischen hochtalentierten Democodern und der Softwareindustrie hat noch lange nicht ausgedient. JĂ€hrlich finden Szeneparties statt, und in erster Linie sind Demoproduktionen das Highlight dieser Veranstaltungen. Auf der Mekka+Symposium-Party 1999 konnte man gar beobachten, dass japanische „Messenger" anwesend waren, um die Erfahrungen noch vor Ort Über Laptop an ihre Multimedia-Firma zu senden. Ob nun diese Art von Kommerzialisierung dem Szenegeist schaden wird, bleibt ungewiss.

Trotzdem bleibt zu sagen, dass man die Entscheidung des einzelnen „Sceners“, in welche Richtung er sich nun in dieser KomplexitĂ€t der Szene bewegt, nicht erzwingen kann. Ein gewisses computeranarchistisches Verhalten bleibt letzten Endes bei vielen hartgesottenen Scenern erhalten. Dieses und vieles mehr liefern die GrĂŒnde fĂŒr jĂ€hrlich stattfindende Szene-Parties, die tausende von Besucher und Fans anziehen. Solche Besuche sind wohl auch die besten Voraussetzungen, um etwas nĂ€her an das PhĂ€nomen „Szene“ heranzutreten, um einen wahrheitsmĂ€ĂŸigen Eindruck von den Strukturen und der Entwicklung heutiger Gruppierungen zu gewinnen.

Links zum Thema:

[1] Scenet: http://www.scenet.de
[2] Chaos Computer Club: http://www.ccc.de

Evrim Sen