← ST-Computer 01 / 2002

MyMail - E-Mail fĂŒr STiNGer

Software

Um es gleich vorwegzunehmen: MyMail [1] ist ein komplettes Atari-Produkt, das sehr regelmĂ€ĂŸig gepflegt wird. Auf der Webseite des Entwicklers Erik Hall findet sich hĂ€ufiger ein Update als nach Software hungernde Atari-Anwender dies von anderen Programmen gewohnt sind. So verwundert es nicht, dass die meisten Versionen des E-Mail-Clients sehr stabil auf ST-kompatiblen Systemen laufen, die ĂŒber ein AES-System verfĂŒgen, dass farbige Piktogramme und das AV-Server-Protokoll unterstĂŒtzen. Vorausgesetzt werden außerdem 2 MBytes RAM und eine Bildschirmauflösung, die mindestens 16 Farben darzustellen vermag.

MyMail ist kompatibel mit dem STiK-/STinG-Standard und arbeitet auch mit MiNTnet zusammen. I-Connect wird nicht unterstĂŒtzt.

Schon beim ersten Einblick in das Programm wird schnell klar, dass MyMail eine Vielzahl von Leistungen mitbringt, die in keinem anderen Programm zu finden sind.

Nachrichten verfassen

Sehr willkommen ist z.B. der interne Nachrichten-Editor, der sonst nur im ASH EMailer geliefert wird. Der Anwender ist also nicht auf einen externen Texteditor wie Everest oder qed zum Verfassen seiner Nachrichten angewiesen, was eine professionellere Arbeitsweise ermöglicht. Der Nachteil ist natĂŒrlich, dass der interne Editor von MyMail im Leistungsumfang nicht mit ausgefeilten Editoren wie Luna konkurrieren kann.

AnhĂ€nge erscheinen Ă€hnlich wie in Outlook Express in einem kleinen Extrafenster des Editors. Das AnhĂ€ngen einer Datei ist dabei extrem leicht gehalten -selbst wer nicht gern HandbĂŒcher liest, sollte intuitiv damit zurecht kommen. Ein Rechtsklick auf das angehĂ€ngte Piktogramm öffnet eine Dateiauswahlbox, die die Datei auswĂ€hlen lĂ€sst, die versendet werden soll. Wenn Sie MyMail unter einem Multitasking-Betriebssystem wie MagiC oder N.AES betreiben, können Sie eine Datei auch per Drag & Drop zum Anhang erklĂ€ren. Außerdem wird das GEM-Clipboard unterstĂŒtzt, obwohl eine eigene Funktion zum Import von Text eine sinnvolle ErgĂ€nzung wĂ€re. MyMail beinhaltet außerdem eine Funktion, die bisher nur von Produkten wie Outlook Express auf dem Mac oder PC her bekannt ist, und die auch die Version 2.0 des Marathon Mailers zieren soll: das progressive ErgĂ€nzen. Tippen Sie also eine E-Mail-Adresse ein, merkt sich MyMail diese und ergĂ€nzt die Buchstaben, die Sie eingeben, beim nĂ€chsten Aufruf selbstĂ€ndig. So wertvoll diese Funktion auch ist, so langsam arbeitet sie derzeit - ein generelles Problem von MyMail, auf das wir spĂ€ter noch zu sprechen kommen.

Adressen verwalten

Das Adressbuch von MyMail erlaubt schnellen und unkomplizierten Zugriff auf E-Mail-Kontakte. Die eingetragenen Kontakte können nach Namen, Adressen oder Alias angezeigt und nach Name oder Alias sortiert werden. Zwar ist die Auswahl noch nicht so schnell wie z.B. bei NEWsie, allerdings ist es unwahrscheinlich, dass Anwender angesichts der progressiven AdressergÀnzung viel mit dem Adressbuch selbst arbeiten.

Nachrichten abholen

Anders als andere Programme offeriert MyMail eine Vielzahl von Funktionen zum Herunterladen von Nachrichten. Ein Mailfilter kann unerwĂŒnschte Nachrichten schon vor dem Abholen auf dem Server löschen. Neu hinzugekommen ist ein Spam-Filter, der Werbe-Nachrichten automatisch erkennt und löscht. Unter Multitaskingsystemen kann das Empfangen und Versenden von Mails komfortabel im Hintergrund geschehen.

Ähnlich wie aMail offeriert MyMail dem Benutzer eine Vielzahl von Kontrollmöglichkeiten ĂŒber Nachrichteninhalte. So können Webadressen unkompliziert an einen Browser weitergegeben werden, wobei verschiedene Inhalte (E-Mail-Adressen etc.) in unterschiedlichen Farben dargestellt werden, damit sie dem Benutzer sofort auffallen. Ähnlich wie der ASH EMailer kann auch MyMail Emotion Icons (Emoticons) oder Smileys grafisch anzeigen - die Arbeit mit dem Programm ist also bunt.

Visitenkarten

Anwender von Outlook auf dem PC oder Macintosh kennen die Möglichkeit, sogenannte „vcards“ - also Visitenkarten mit Zusatzinformationen zu jedem Adressbucheintrag - anzulegen. Auch MyMail bietet dieses Feature nun auch, obwohl noch nicht ganz so komplex und ausgefeilt wie das Microsoft-Produkt. Die Routinen des entsprechenden MenĂŒs scheinen außerdem noch arg fehlerhaft zu sein, sodass sie auf keiner unserer Testrechner fehlerfrei arbeiteten.

Der Mail-Editor von MyMail beherrscht auch die Auto-VervollstÀndigung von Adressen. Haben Sie eine Adresse also schon einmal eingegeben, bietet sie MyMail bei nochmaliger Eingabe zur Auswahl.

Bedienung

Das Hauptproblem von MyMail ist seine BenutzeroberflĂ€che. Auf den ersten Blick weiß das Interface durchaus anzusprechen, wobei die genutzten animierten Piktogramme auf dem Atari extrem selten anzutreffen sind und auf kleinen Maschinen auch viel Rechenleistung vergeuden. Allerdings arbeitet MyMail in einem GEM-Fenster, dessen GrĂ¶ĂŸe nicht verĂ€ndert werden kann, was es etwas schwierig macht, mit dem Programm zu arbeiten. In niedrigen Bildschirmauflösungen fĂŒllt MyMail grosse Teile wenn nicht sogar den gesamten Bildschirm aus. Auch mit der Möglichkeit, GEM-Fenster unter MagiC und N.AES zu minimieren, ist die Nutzung des Arbeitsfensters extrem frustrierend.

Auch unter hohen Auflösungen auf einer Grafikkarte macht die Unmöglichkeit, die FenstergrĂ¶ĂŸe zu Ă€ndern, Probleme. So ist es z.B. nicht möglich, einen langen Betreff zu lesen, indem man das Fenster’ einfach grĂ¶ĂŸer zieht, was das Auffinden von Nachrichten erschwert. Dieses Problem wird noch maximiert durch das Fehlen von Suchfunktionen und die Darstellung der PostfĂ€cher, die viel Platz beansprucht. Eine Option zum Verstecken dieses Fensterteils wĂ€re schon recht hilfreich.

Und sonst?

Die Piktogrammleiste im Arbeitsfenster ist leider nur teilweise sinnvoll. Einige Icons ignorieren nÀmlich den Sinn von Piktogrammleisten, der darin besteht, hÀufig genutzte Funktion per Mausklick bereitzustellen. Die Farbe der Textanzeige zu Àndern oder die Konfiguration der Voreinstellungen ist jedoch nicht so wichtig, dass sie mit jedem Programmstart bereitstehen muss.

Auch das Löschen von Text ist komplizierter als es sein mĂŒsste. Innerhalb des Textes muss mit Rechtsklicks ein Abschnitt als gelöscht. Um ihn aber permanent zu löschen, muss zusĂ€tzlich das MĂŒlleimer-Piktogramm gewĂ€hlt werden.

Außerdem gibt es Probleme mit den AufklappmenĂŒs und den Scrollbalken von MyMail. Beide entsprechen nicht dem gĂ€ngigen GEM-Standard und schwerfĂ€llig und unkomfortabel zu nutzen. Das AufklappmenĂŒ öffnet sich, wenn eine Nachricht mit einem Rechtsklick angewĂ€hlt wird - an sich eine gute Idee. Die Bedienung und das Scrollen gestaltet sich auf dem Falcon 030 jedoch extrem langsam; auf dem Milan 040 sieht dies nicht viel besser aus. Ebenso reagieren die Scrollbalken in den Hauptfenster nicht so, wie es der durchschnittliche GEM-Anwender gewohnt ist - obwohl sich hier seit frĂŒheren Versionen schon einiges getan hat. Bedenkt man, dass die Scrollbalken des Programms zu allem Übel auch noch nur die HĂ€lfte der Breite einnehmen, die die normale GEM-Variante nutzt, ist leicht nachzuvollziehen, dass so manchem Anwender angesichts soviel Ignoranz von Standards schon einmal die Haare zu Berge stehen. GlĂŒcklicherweise steht eine Überarbeitung des Arbeitsfensters ganz oben auf der Arbeitsliste von Erik Hall. Ein Grund dafĂŒr ist, dass er die UnterstĂŒtzung von Nachrichten von und in das Usenet integrieren will. MyMail wird sich also in Zukunft auch als News-Client zum Stöbern in Newsgruppen nutzen lassen - ein Feature, auf das Anwender des Programms schon lange warten.

Weitere Probleme. Das Herunterladen von Nachrichten ist schmerzhaft langsam. ST-Anwender, die die serielle Schnittstelle ihres Klassikers noch nicht beschleunigt haben, sollten eine Kaffeemaschine neben ihren Rechner stellen, wenn sie viele Nachrichten herunterzuladen haben - allerdings können diese wohl nicht mehr als Standard gelten. Aber sogar bei der Nutzung schneller Schnittstellen auf Mega STE, TT, Falcon und Kompatiblen arbeitet MyMail langsamer als z.B. NEWSie oder aMail. Kombiniert mit den Spam-Filterfunktionen und dem Versenden bzw. Einsortieren im Hintergrundbetrieb wird die Arbeit mit dem Programm nahezu unertrĂ€glich. Um hier jedenfalls etwas Besserung zu verschaffen, offeriert MyMail die Option, Downloads mit einer Option namens „CGgets“ zu beschleunigen. Dies fĂŒhrt zwar tatsĂ€chlich zu leichten Verbesserungen, ist aber inkompatibel zu einigen TCP-/IP-Stacks.

ZusÀtze

FĂŒr MyMail existiert eine deutsche Lokalisierung von Bernd MĂ€dicke, die ebenfalls auf der Webseite des MyMail-Entwicklers bereitliegt. Außerdem ist es mit der Erweiterung „MapS“ [2] möglich, Serienmails mit MyMail zu verschicken. So können z.B. persönliche Anreden in mehreren Mails mit ansonsten gleichem Inhalt realisiert werden. Momentan werden pro Adressdatei und Datensatz bis zu zehn verschiedene Variablen unterstĂŒtzt.

Fazit

Es besteht kein Zweifel, dass MyMail vom Funktionsumfang her wohl der fĂ€higste Freeware-E-Mail-Client auf dem Atari ist. Alle diese Möglichkeiten werden aber durch die BenutzeroberflĂ€che des Programms behindert, die zwar gut aussieht aber von der FunktionalitĂ€t her eher arm ist. Die neuen Funktionen haben auch einige neue Fehler eingefĂŒhrt, und so eignen sich VorgĂ€ngerversionen bis auf weiteres vielleicht besser fĂŒr Anwender, die auf eine stabile Arbeitsumgebung Wert legen.

Allerdings wird MyMail sehr regelmĂ€ĂŸig aktualisiert und irgendwann in der Zukunft wird es eine neue OberflĂ€che mit neuen Funktionen zum Lesen von News geben. Die nĂ€chsten Updates erwarten wir also mit Interesse.

  1. www2.tripnet.se/-erikhall/programs/mymail.html
  2. uni-hohenheim.de/~gdietze/dsi.html

Übersetzung: Thomas Raukamp

Thomas Wellicome