← ST-Computer 02 / 2017

Editorial: Fake-News

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Neulich beim Durchblättern alter Ausgaben der ST-Computer für die Rubrik „Vor...“ fiel mir ein Editorial von Harald Egel aus dem Jahr 1993 auf. Geradezu prophetisch beschreibt er unter dem Titel „Die Renaissance des CB-Funks“ das, was derzeit on- und offline scharf diskutiert wird: Fake-News, Gerüchte und Rufschädigung im digitalen Netz.

Gut zwei Jahre bevor das Internet auch Atari-Computer erreichte, sprach Egel natürlich noch nicht vom Internet, sondern von den Mailboxen. Dort beklagt er, dass unter seriös klingenden Board-Bezeichnungen wie „Atari-Expertenforum“ Halbwissen, Gerüchte oder bewusste Falschmeldungen verbreitet würden. Zu wenige würden dem entgegen treten, statt dessen gebe jeder lieber seinen eigenen Senf dazu. Würden Magazine wie die ST-Computer hingegen so berichten, müssten sie schnell einige Gegendarstellungen drucken. Auch so manch anderes klingt vertraut: Beispielsweise tauchte ein „Abschiedsbrief“ von Alwin Stumpf auf, der in England für bare Münze genommen und weiterverbreitet wurde. Auch die Einstellung der ST-Computer wurde dort verkündet. Alles unter dem Deckmantel der Anonymität, der ursprüngliche Gedanke des Informations- und Erfahrungsaustauschs sei heruntergekommen.

Vielleicht liegt es in der Natur des Menschen, dass das Internet ziemlich genau diese Entwicklung durchlaufen hat: Auch das „Netz der Netze“ ist zum Informationsaustausch gestartet, war zumindest in der Anfangszeit ein lauschiges Plätzchen und wurde dann zunehmend für Rufschädigungen, Fake-News und justiziable Bedrohungen missbraucht – zwar ist das kein rein digitales Problem, aber die Schwelle ist im Netz niedriger und die Verbreitungsgeschwindigkeit ungleich höher. Was jedoch wirklich beunruhigt, ist, dass sich aus Harald Egels Mailbox-Kritik und der Entwicklung der Mailboxen keine Prognose für das Internet ziehen lässt, denn das Internet ersetzte irgendwann die Mailbox-Systeme. Nur die hartgesottensten Trolle frönen schließlich ihrem Werk, wenn das Publikum längst weitergezogen ist und niemand mehr übrig ist, der Beifall klatschen könnte…

Kommen wir zu einem anderen Dauerbrenner-Thema: verschollene Programme. Die Archive von TOSEC, AtariMania oder Demozoo mögen komplett erscheinen, aber sind es bei weitem nicht. Man kann sich nun darüber streiten, ob ein obskures Spiel, welches ausschließlich auf einer Programmservice-Diskette veröffentlicht wurde, historisch relevant ist, aber moderne Datenarchäologen setzen die Relevanzgrenze nicht bei Signum und Populous, für sie ist jedes Programm Teil der Geschichte. Groß ist die Freude, wenn dann auf irgendeiner Diskette ein verschollen geglaubtes Cracktro, eine fehlende Ausgabe eines Diskmags oder gar ein Spiel auftaucht, welches noch nicht archiviert wurde. Als ich auf eBay eine Auktion für diverse ST-Diskettenmagazine gewann, wußte ich nicht, dass die Atari Joy und ihre über 30 Spiele noch nicht archiviert wurden. Für das GFA-Basic-Special warf ich auch noch einen Blick auf BASIC 4.00 – und staunte, als sich das umfangreichste Demoprogramm als der Quelltext zum Malprogramm Vernissage entpuppte: Nie archiviert, nie getestet – nie veröffentlicht? 30 Jahre später werfen manche Fundstücke mehr Fragen auf, als sie beantworten.

Mia Jaap