Bildbearbeitung mit Retouche

Ein neues, sehr ungewöhnliches Bildbearbeitungsprogramm ist Retouche von 3K aus Tönisvorst. Retouche bearbeitet Halbtonbilder, eine Fähigkeit, die sonst nur TmS ScanDesign, das wir in einer der vorigen Ausgaben getestet haben, besitzt. Dennoch hat Retouche, wie der Name schon andeutet, einen etwas anderen Anwendungsbereich. Zwar besitzt Retouche auch Funktionen zur automatischen Bildbearbeitung wie kontrastverstärkung, Bildmischung, Verwaschen usw., etwas ganz Besonderes sind aber die Malfunktionen von Retouche, die mit Graustufen arbeiten können und Fotomontagen und Retouchierungsarbeiten wirklich erleichtern oder sogar erst möglich machen. Außerdem kann Retouche Bilder aufrastern, so daß sie direkt reproduzierbar werden.

Bild 1: Retouche à la carte: Die Menüs

Ein Retouche-Bild besteht aus 640400 Bildpunkten. Dies sind allerdings keine monochromen Bildpunkte wie bei anderen Malprogrammen, sondern jeder Bildpunkt hat eine Tiefe von 8 Bit, entsprechend 256 Graustufen. Ein solches Graustufenbild kann man auf einem monochromen Ausgabegerät wie Bildschirm oder Laserdrucker nur mit Hilfe einer sogenannten Rasterung darstellen. Ein Raster aus 22 Punkten hat insgesamt vier Punkte. so daß sich damit bis zu 5 Graustufen simulieren lassen. Mit einem größeren Raster kann man also mehr Graustufen erzeugen, es gilt ‘Kantenlänge des Rasters zum Quadrat plus eins’. Für 256 Graustufen braucht man also ein Raster mit einer Kantenlänge von 16 Punkten. Bedenkt man jetzt, daß die übliche Ausgabeeinheit für solche gerasterten Bilder ein Laserdrucker ist, fällt auf, daß ein Graustufenbild mit 256 Stufen 64016 Punkte breit und 40016 Punkte hoch wäre. Ein solches Bild paßt natürlich nicht mehr auf ein DIN A4-Format, denn bei 300 Punkten pro Inch ergäbe dies 34 cm Breite. Retouche arbeitet daher zwar intern mit 256 Graustufen, für die Ausgabe und Bearbeitung werden wegen der Beschränkung der üblichen Ausgabegeräte aber nur 64 Graustufen verwendet. Selbst 64 Graustufen sind bei 300 Dpi noch zuviel für ein DIN A4-Bild. Erst 16 Graustufen passen in Originalgröße auf eine DIN A4-Seite. Um Bilder mit mehr Graustufen auf dem Laserdrucker auszugeben, muß man sie in der Auflösung reduzieren; Retouche faßt dazu automatisch nebeneinanderliegende Pixel zusammen, so daß ein Bild mit 64 Graustufen auf dem Laserdrucker effektiv nur noch 320200 Pixel besitzt, von denen jedes durch ein 88 Raster dargestellt wird. Tatsächlich ist für die Qualität eines Rasterbildes auch die Anzahl der Graustufen fast wichtiger als die Anzahl der Pixel. In den meisten Fällen ergibt eine Reduzierung der Pixelzahl bei Verbesserung der Farb- oder Graustufenauflösung das bessere Ergebnis.

Zusätzlich zum DIN A4-füllenden Ausgabeformat ist auch noch eine Verkleinerung auf halbe bzw. Viertelgröße möglich. Wenn man bei der kleinsten Größe (die ausgedruckt mit 300 Dpi ungefähr 5,3 cm Breite ergibt) 64 Graustufen wünscht, werden jeweils 88 Pixel zu einem Raster zusammengefaßt, die effektive Auflösung beträgt also nur noch 80 Pixel horizontal. Etwas mißverständlich ist die Angabe der Vergrößerungsfaktoren: Die kleinste Größe, die statt der vollen Bildauflösung nur 1/8tel davon (640/ 8=80) bietet, nennt sich 100%, die nächste Stufe 200%, 400% entsprechen 320200 (aus je 4 Rasterpunkten zusammengerechneten) Pixeln mit 64 Graustufen.

Nun aber genug der grauseligen Rechnerei. Mit Retouche exportierte aufgerasterte Bilder sollten übrigens in Empfängerprogrammen wie Calamus, die Bildskalierung erlauben, nicht mehr in der Größe verändert werden, da sonst die Rasterung zerstört wird.

Malen mit Retouche

Retouche enthält eine Reihe von ungewöhnlichen Malwerkzeugen, die nicht dem entsprechen, was man von Malprogrammen erwartet. Es gibt nur Funktionen zum Freihandzeichnen, außerdem noch eine Rechteck- und eine Füllfunktion. Auch Blöcke können kopiert werden, eine Lupe dient der Ausschnittsbearbeitung.

Alle Malfunktionen funktionieren mit 64 Graustufen, es wird direkt mit einem Raster gemalt. Die Malwerkzeuge sind an traditionellen Zeichengeräten orientiert: Sie heißen Stift, Kreide, Pinsel und Stempel. Außerdem gibt es ‘Finger' und 'Wasser', die zum Verschmieren von bereits aufgetragener Farbe dienen. Ein Radierer kann löschen, aufhellen oder auch teilweise restaurieren, also nur Teile von Bildänderungen zurücknehmen. So ein partielles ‘Undo' ist wirklich etwas ganz besonders Feines. Überhaupt kann man in Retouche so ziemlich alles per 'Undo' zurücknehmen.

Die Werkzeuge können über zahlreiche Parameter angepaßt werden. Man kann zum Beispiel den Farbfluß so einstellen, daß die Farbe nur auf ganz bestimmten anderen Farben haftet. Der Andruck, also die Farbsättigung beim Zeichnen ist ebenso regelbar wie automatischer Farbverlauf. Der Stempel ist besonders vielseitig: Dieses Instrument ist wie die Pinsel bei anderen Malprogrammen in der Form veränderbar, wobei die einzelnen Punkte aber verschiedene Graustufen malen können.

Ein Maskierer dient dazu, einzelne Bildteile oder Farben im Bild so abzudecken, daß sie nicht verändert werden können, eine Art Schutzanstrich sozusagen. Dies ist mit die wichtigste Retouche-Funktion für Fotomontagen und -collagen. Wenn Sie einen Bereich mit einer Maske zudecken, können Sie nicht nur alle Mal-, sondern auch alle Berechnungsfunktionen auf den unbedeckten Teil des Bildes anwenden. Die Blockfunktion erlaubt auch das Markieren von verschiedenen Regionen gleichzeitig.

Bild 2: Parameter-Display für das Stempel-Malwerkzeug
Bild 3: Sogar die Form des Stempels kann ediert werden; die Stempel-Punkte können Grauwerte besitzen
Bild 4: Regelung von Helligkeit und Kontrast

Die Retouche-Malwerkzeuge sind richtigen Malgeräten tatsächlich viel ähnlicher als alles, was ich bisher in Malprogrammen gesehen habe. Effekte wie von Zeichenkohle oder der ungleichmäßige Farbstrich eines Pinsels, der auch ähnlich gefühlvoll eingesetzt werden kann, das vorsichtige Verschmieren mit dem Fingern - wirklich fast wie auf dem Papier.

Trotzdem wären ein paar zusätzliche Zeichenprimitive eine große Hilfe, besonders nützlich wären Splines, um bestimmte Konturen im Bild zu verfolgen. Auch die Größe der Zeichenwerkzeuge (im Moment fünf feste Größen) konnte etwas flexibler einzustellen sein.

Bildbearbeitung

Die Einpendelung des Bildkontrastes und der Bildhelligkeit ist in Retouche besonders einfach: Es gibt Funktionen, die den Kontrast automatisch verändern, sowie eine Möglichkeit, die Graustufenpalette mit Hilfe der Grauwertextremwerte auf maximale Auflösung umzurechnen. Natürlich kann die Palette auch manuell bearbeitet werden, wodurch zum Beispiel Invertierungseffekte möglich sind.

Bilder können überlagert werden, wobei das Mischungsverhältnis regelbar ist. Man kann ein Bild auch mit Hilfe einer Bewertungsfunktion mit einem Hintergrundbild (der Undo-Buffer wird dabei als Hintergrundbild verwendet) bearbeiten. Dabei bestimmt der Grauwert des Hintergrundbildes die Aufhellung des Grauwertes des Vordergrundbildes. Einige mathematisch erzeugte Grau- und Verlaufsraster werden mit Retouche mit geliefert; Damit können per Überlagerung oder Bewertung sehr interessante Effekte (z.B. ‘Ausblenden') erzielt werden.

Andere Funktionen erlauben, den Kontrastunterschied zwischen nebeneinanderliegenden Pixeln zu verstärken oder abzuschwächen, wobei sogar verschiedene Bereichsgrößen verwendet werden können. Der Effekt: Schärfere Konturen bzw. Weichzeichner. Die Bildhelligkeit einzelner Bereiche kann ebenfalls beliebig vergrößert oder vermindert werden.

Schließlich kann ein Bild auch invertiert (ergibt Negativ) oder horizontal und vertikal gespiegelt oder durch Überlagerung mit einer Art Rauschen oder einem leinwandähnlichen Muster etwas strukturiert werden. Letztere Effekte bieten sich besonders für große, eintönige Bildteile an, die dadurch etwas interessanter werden. Bildverkleinerungen sind ebenfalls möglich.

Einige dieser Funktionen sind recht rechenintensiv und brauchen einige Zeit. Es gibt aber eine Abbruchmöglichkeit per ‘Escape’-Taste.

Rasterung

Retouche stellt die intern gespeicherten Grauwerte, wie bereits zu Beginn erwähnt, als Raster auf den Ausgabegeräten dar. Es gibt dazu drei verschieden grobe Raster, je nach Art des angeschlossenen Druckers; zu feine Rasterung erzeugt auf billigen Laserdruckern Streifen, feine Strukturen können durch unpräzisen Tonerauftrag zuschmieren. Man kann die Ausgabe somit in gewissen Grenzen für die Anpassung an die Schwächen des verwendeten Druckers nutzen.

Bild 5: Ein Beispiel für die Kontrastverstärkung in einem Bildausschnitt
Bild 6: Vorlage mit einem Verlaufsraster bearbeitet, das die "Ausblende” bewirkt.

Außenwelt

Retouche besitzt weder Funktionen zum Drucken noch zur Ansteuerung von Scannern. Dafür gibt es aber eine Accessory-Schnittstelle. Die gesamten geräteabhängigen Teile von Retouche sollen als Accessories zusätzlich zu kaufen sein, so z.B. Scanner-Software oder Treiber für Drucker, Video-Digitizer oder auch PostScript-Ausgabe. Über den PostScript-Treiber soll zum Beispiel auch der Zugriff auf die volle Graustufenauflösung von Retouche und die sehr viel flexibleren Rasterungsfunktionen von PostScript möglich sein.

Als sehr flexibel erweist sich Retouche in Sachen Dateiformate. Das Programm kann so ziemlich jedes ATARI-Bildschirmformat, auch die gepackten STAD- oder DEGAS-Formate, lesen und schreiben. Ausgabe ist möglich als GEM-Image-File oder ebenfalls als Bildschirmformat. Je nach Anzahl der Graustufen paßt dann aber nur ein Teil des Bildes in eine Datei. Auch ein eigenes Bildformat ist vorhanden, in dem Bilder als echte Graustufenbilder für die weitere Verarbeitung abgelegt werden können.
Auch umfangreiche Diskettenfunktionen sind in Retouche vorhanden; darunter eine ebenso ungewöhnliche wie nützliche Funktion wie ‘Dateien vergleichen'.

Eine witzige Option ist die Möglichkeit, ohne das Programm zu verlassen und ohne Kabelumstecken ein Rasterbild auf einem zweiten Farbmonitor zu betrachten. Dazu muß man allerdings den automatischen Monitorumschalter 'Automon' von 3K besitzen. Auf einem Farbmonitor kann man die Rasterung zumindest teilweise durch richtige Graustufen ersetzen und kommt der Originaldarstellung somit etwas naher.

Fazit

Retouche ist ein sehr interessantes Programm zur Nachbearbeitung von Bildern. Trotz der etwas unflexiblen und nicht so leicht verständlichen Handhabung des Bildformates (auch verursacht durch die verschiedenen Bedeutungen des Wortes ‘Pixel' - einmal sind echte Grauwertpunkte gemeint, einmal monochrome Punkte; Grauwerte werden durch mehrere monochrome Punkte simuliert) ist Retouche ungewöhnlich leistungsfähig und für viele Aufgaben auf dem ST konkurrenzlos.

Bezugsadresse

JK Kreidel-Knops-Kreidel
EDV-Entwicklungen
Hülser Str. 76
4154 Tönisvorst


Christian Schormann
Aus: ST-Computer 06 / 1989, Seite 39

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