Manhatten ST - Hat man 'en ST?

Man hat ‚en ST! Sonst würde man wahrscheinlich kaum diese Zeilen lesen. Wenn man allerdings den „Manhatten ST“ vor sich stehen sieht, glaubt man nicht mehr, daß man einen ST hat. Manhatten ST ist ein High-End-Tower-ST, gegen den ein Mega ST wie ein ZX 81 wirkt. Viel interessanter ist aber, was im Tower seinen Dienst verrichtet...

Ich spanne Sie noch ein wenig auf die Folter, indem ich Ihnen zuerst aufzähle, was sich alles auf den Außenseiten des turmförmig aufgeschichteten ST befindet. Auf der Vorderseite befinden sich zunächst drei Schalter. Der erste enthält die Aufschrift „1“ und „0“. Damit dürften wir zweifellos den Ein-/Ausschalter gefunden haben. Auf der linken Seite befinden sich zwei Schalter mit der Aufschrift „Reset“ und „Turbo“. Bei „Turbo“ kommt mir sofort der Gedanke, daß es sich hier vielleicht um einen verkappten Plantron- oder Acer-Rechner handelt. Die wahre Erklärung dazu folgt weiter unten. Die Bezeichnung Reset dürfte klar sein, das ist der Knopf, der gedrückt werden muß, wenn sich der ST aus dem Leben bombt. Zwischen den Schaltern befinden sich Leuchtdioden, die mit „H DISK“. „TURBO“ und „POWER“ beschriftet sind. H-DISK leuchtet immer dann auf, wenn ein Zugriff auf die Festplatte stattfindet, die Turbo-Leuchtdiode immer dann, wenn man den entsprechenden Knopf drückt. Power wiederum dürfte klar sein, es ist die Leuchtdiode, die zuverlässig die Betriebsbereitschaft des Geräts anzeigt.

Unter der Knopfreihe befindet sich ein Schlüsselschalter, mit dem sich den Tower wirkungsvoll vor fremden Zugriffen schützen läßt. Daneben findet man das Zeichen des Herstellers: „Tetra“ - also nicht, wie vermutet, Acer oder Plantron. Unter diesen Elementen enthält das Gehäuse bekannte Frontplatten: Die folgende sieht wie eine Wechselplatte aus, darunter vermutet man die Deckplatte einer Festplatte, dann folgend ein 5,25“-und dann ein 3,5“-Laufwerk.

...und von hinten

Auch die Rückseite bietet einen interessanten Anblick, sind hier doch Anschlüsse zu finden, bei denen man ebenfalls wieder auf Acer oder Plantron schließen würde.

Von oben nach unten gibt es hier einen Umschalter für 220 oder HO Volt, einen überdimensionalen Lüfter samt Metallgitter, einen Stromein- und -ausgang, eine RJ11-Buchse, wie sie für amerikanische Telefone und ATARI-Tastaturen benutzt wird, ein Trimmpoti, eine Schnittstelle mit der Aufschrift „Modem RS232“, eine mit Printer parallel“, ganz unten befinden sich schließlich zwei Buchsen mit der Aufschrift „Color Monitor“ und „Mono Monitor“. Wo man allerdings eine 13polige ATARI-Buchse für den SM 124 vermuten würde, existieren stattdessen zwei 9polige SUB-D-Buchsen, wie sie bei IBM-Clones benutzt werden. Nicht zu finden sind ein DMA-Anschluß, MIDI-Buchsen und Anschlußbuchsen für einen SM 124. Einen ROM-Port sucht man ebenfalls vergebens (MAC-Emulator oder ROM Bank, adé!).

Auch der Monitor ist absolut ATARI-untypisch. Er trägt die Aufschrift „Dual-Display“. Ein äquivalentes Gerät habe ich bereits mit der Aufschrift „IBM“ (Insufficent Batch Machines) in der rechten oberen Ecke gesehen. In unserem Fall befindet sich hier eine Einbuchtung an der Stelle, dafür steht links unten wieder „Tetra“ auf einem Aufkleber. Die Tastatur erinnert stark an die Mega ST-Tastatur. Allerdings fehlt das ATARI-Zeichen in der rechten oberen Ecke, es ist überklebt worden mit einem weiteren Tetra-Aufkleber. Auf der mitgelieferten Maus ist das Raketenzeichen von ATARI jedoch noch zu sehen.

Klopf, klopf!

Der Volksmund meint trefflich: Klopfet, so wird Euch geöffnet. Da auf mein eindringlich lautes Klopfen an der Außenseite des Towers niemand öffnet, greife ich zum Schraubendreher, um dem Gerät damit unverzüglich und gnadenlos zu Leibe zu rücken („O Doktor Martin, wird er die Operation überleben?“). Nachdem die Ummantelung des Geräts abgeschält ist, werfe ich einen kurzen Blick in das Bauwerk. Meine Kinnlade fällt zu Boden und schlägt hart auf, denn die Innereien dieses Geräts können eigentlich nicht zusammen funktionieren. Den größten Teil des Geräts nimmt eine Mega ST 4-Platine ein, die hochkant auf der rechten Seite aufgestellt ist. Hinter ihr befindet sich eine weitere, die normalerweise nicht in einem ST 4 zu finden ist. Auf ihr sind die Anschlußbuchsen angebracht, die an der Hinterseite des Towers zu finden sind. Es handelt sich also lediglich um einen „künstlichen Ausgang“ des Mega, sprich: um eine Verlängerung der Platine. Die nächstgrößere Innerei trägt die Aufschrift „220 W“ und ist in einem silbrigglänzenden Kasten verstaut. Wir haben zweifellos das Netzteil entdeckt, das mit 220 W vielleicht sogar überdimensioniert ist. Trotzdem ist es längst nicht so warm wie mein CD-Player, nein, sogar angenehm kühl. Damit ist die rechte Seite des Geräts fast erschöpft, lediglich eine Leuchtdiode, die beim Einschalten blinkt, ist zu sehen.

Ein Blick auf die Schnittstellen des Manhatten ST. Auffällig sind die beiden Monitoranschlüsse.

Betrachtet man die Vorderseite, versteht man auch, wieso die höllische Elektronik in einem Tower untergebracht ist. Hier stapelt sich die Creme de la Creme in einer gefährlichen Höhe von fast 30cm auf. Man könnte sagen: Jeder Zentimeter dieses Stapels ist DM 300,- wert. Was von außen wie eine Wechselplatte aussah, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung -wie könnte es anders sein - als Wechselplatte von Syquest (SQ555). Direkt darunter befindet sich ein Gerät mit der Aufschrift „Maxtor LXT-200S“. Ein kurzer Blick in mein Pfadfinderhandbuch der Fieselschweiflinge verrät mir nichts genaues, trotzdem handelt es sich hier eindeutig um eine 200 MB SCSI-Festplatte mit einer Zugriffszeit von knapp 22 ms -und das bei einer Größe von 3,72“! Damit dürfte das Ende der Fahnenstange in bezug auf die Schnelligkeit und die Größe erreicht sein. Unter der Luxusplatte befindet sich ein Laufwerk mit der Bezeichnung „Chinon FZ-506“. Wieder kann mir mein Allround Handbuch nicht helfen, obwohl es sich hier augenscheinlich um ein 1,2 MB-Laufwerk im Format 5,25 handelt. Allerdings verarbeitet es auch problemlos 720k- und 360k-Disketten. Ein Stockwerk tiefer, im Erdgeschoß, meint der Aufkleber eines Laufwerks: „Chinon FD-235HF“ Hier handelt es sich eindeutig um ein 1,44 MB-Laufwerk im Format 37 Natürlich können auch hier problemlos 720k- und 360k-Disketten verwendet werden. Damit wären wir fast am Ende, wenn da nicht noch diverse andere „Kleinigkeiten“ zu finden wären... Unter dem 1,44er-Laufwerk, also im Kellergeschoß, existiert ein Lautsprecher. Es ist also kein Monitor mit Lautsprecher oder gar eine Stereoanlage notwendig, um das Piepsen der Tastatur zu hören, sondern der Tower gibt in guter IBM-Manier die Piepser direkt aus. In eben dieser Manier ist auch gelöst, daß man die Lautstärke des Piepsers nicht ohne weiteres regeln kann dazu muß man dem Gerät mit einem Schraubenzieher zu Leibe rücken und das Trimmpoti auf der Rückseite verstellen. Da dieses jedoch gut erreichbar ist und meistens sowieso immer die gleiche Lautstärke eingestellt bleiben soll, ist diese Lösung vielleicht gar nicht so schlecht.

Das Innenleben unseres Testgerätes. Deutlich erkennbar sind PC-Speed mit aufgesetzter 16 MHz-Erweiterung und die blaue Platine für den Anschluß des HD-Laufwerks.

Sprinter

Damit die Festplatte auch richtig losspurten kann, ist sie an einen ICD-Advantage angeschlossen - das ist der neue SCSI-Host-Adapter von ICD, womit der Tower eine Übertragungsrate von weit über 750 kB/Sekunde erreicht! Nun werden Sie sich fragen, wie man mit einem einzigen Schalter die Festplatte(n) und den Rechner einschalten kann? Richtig, da war doch noch eine Leuchtdiode, die beim Einschalten wild blinkt! Ihre Vermutung, daß es sich dabei um eine Einschaltverzögerung für den Rechner handelt, ist korrekt. Bei der Maxtor-Platte ist sie zwar nicht vonnöten, da dieses gerät so schnell bootet, daß man sich zwischendurch nicht mal eine Zigarette anzünden kann; die Wechselplatte ist allerdings etwas langsamer und benötigt die Verzögerung, damit der schnelle Rechner noch mitkommt. Auch die Dauer der Einschaltverzögerung läßt sich mit einem Trimmpoti stufenlos einstellen und ist damit für spätere Erweiterungen bestens ausgerüstet.

Nicht nur die Festplatte spurtet, sondern auch der ST selbst. Sie erinnern sich an den „Turbo“-Schalter auf der Vorderseite? Formel I ähnlich läßt sich damit ein Nachbrenner einschalten, der den ST zum Hecheln bringt. Und richtig, auf der Hauptplatine findet sich bei genauerer Betrachtung eine 16 MHz-Erweiterung mit 16 kB Cache-Speicher. Dadurch wird die Geschwindigkeit des Rechners nahezu verdoppelt, also von knapp 8 MHz auf etwas weniger als 16 MHz aufgebohrt.

Die Erweiterung wird allerdings umlagert von einer anderen Platine, die ich irgendwo schon einmal gesehen habe. Kurze Nachforschungen ergaben, daß es sich hierbei um einen PC-Speed handelt. Damit läßt sich der Tower auch als IBM-Clone benutzen, d.h. man kann sich auch einen Clone-Aufkleber auf das Gehäuse kleben - es dürfte nicht auffallen, daß es sich bei dem Gerät um einen verkappten ST handelt.

Ist hier noch frei?

„...Nein, ich halte den Platz für meinen Freund frei“. Diese typische Kinosituation werden Sie mit dem Manhatten ST nicht erleben: Im Gehäuse ist noch massig Platz für alle möglichen Erweiterungen, auch das Netzteil kann noch stark belastet werden, ohne daß es sich in eine Qualmwolke auflöst. Der mitgelieferte Monitor ist ein handelsüblicher Graustufen-MultiSync, der alle Auflösungen des ST problemlos und ohne Summ- und Piepgeräusche darstellt.

Bei unserem Gerät fehlten einige Buchsen: Midi, ROM-Port, DMA und Monitorbuchse. Auf Wunsch werden allerdings alle benötigten Buchsen nach außen gelegt (etwa für einen Laser-Drucker). Etwas problematisch wird dagegen schon der Anschluß einer Erweiterung, die auf den ROM-Port aufgesteckt wird - man müßte sie theoretisch im Fußboden versenken oder die aufgesteckte Platine abknicken, was für eine Platine naturgemäß nicht sehr bekömmlich ist. Hier hilft nur ein kurzes Verlängerungskabel, was viele Erweiterungen wegen der guten Pufferung des Busses (!) aber gar nicht mögen. Einzige Lösung: Die Platine muß um 90 oder 180° gedreht und wieder befestigt werden.

Noch mehr?

Wünschen Sie noch mehr Erweiterungen? Tetra baut Ihnen alles ein, was nicht niet-und nagelfest ist. So können Sie Ihren Wunsch-ST zusammenstellen lassen und DOS-User damit schocken - selbst ein 33 MHz-386er dürfte gegen dieses Gerät ziemlich schwach in den Knochen sein. Vielleicht suchen Sie aber auch eine Grafik-Workstation? Dann können Sie das Gerät mit einer eingebauten MGE-Grafikkarte erwerben - für einen entsprechenden Aufpreis, versteht sich. Und: natürlich auch im ansprechenden Gehäuse versenkt.

Nun wissen Sie, welche Erweiterungen sich im Manhatten befinden. Wundersamerweise funktionieren Sie auch alle zusammen! Einen adäquaten Geschwindigkeitstest für einen ATARI ST zu finden, ist recht schwierig. Wir haben Quick ST (ST-PD 275) benutzt, um Vergleichswerte zu einem „normalen“ ST zu erhalten - die Werte finden Sie in den einzelnen Abbildungen.

Außergewöhnliche Wünsche kosten außergewöhnlich viel Geld. Leider verhält es sich auch hei unserem Tetra ST-Testgerät so, denn für das komplette Gerät, wie es bei uns stand, müssen knapp DM 12.000,-über die Theke gereicht werden. Der Preis hängt allerdings ganz von der Ausbaustufe ab. Dafür erhalten Sie allerdings auch einen handgemachten ST mit Erweiterungen, die zusammen funktionieren (!),eine installierte Festplatte mit der Software, die Sie sich wünschen, diverse Anleitungen, ein funktionelles Gehäuse sowie einen hübschen Monitor. Vergessen Sie nicht den letzten Vorteil: Nur ein Kabel führt zur Steckdose!

MP

Bezugsquelle
Tetra Computersysteme GmbH
Neuer Markt 27
5309 Meckenheim



Aus: ST-Computer 06 / 1990, Seite 62

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