Postspiele - Adventure aus der Ferne

Es soll nicht unbedingt selten Vorkommen, daß Computer gekauft werden, ohne eine richtige Anwendung vor Augen. Da wird der PC zu Weihnachten überreicht, weil z.B. der Sproß ihn sich einfach wünschte, vielleicht weil die Kumpels auch einen haben. Irgendwann kommt man ja in der Schule in die Informatik-AG und kann nebenbei das Programmieren auch noch lernen. Papa macht dann vielleicht seine Minibuchhaltung und tippt gelegentlich mal ein paar Briefe.

Mit der Zeit (und zunehmendem Alter) setzen sich mehr und mehr sinnvollere Anwendungen durch (hoffentlich), bis das Benutzen der „Rechnenknechte“ völlig in Fleisch und Blut übergeht. Viele Zeitgenossen sollen den Weg zum Computer auch über einen Volkshochschulkurs gemacht haben und viele ältere Semester beschäftigen sich mit den PCs, weil es halt in der Firma so verlangt wird.

Nicht gerade selten wird der Computer auch zum reinen Vergnügen eingeschaltet. Immer dann wenn eine bunte Verpackung geöffnet wird und eine Diskette ins Laufwerk kommt, die sehr blumige und interessante Namen trägt: dann ist Spielezeit auf dem Monitor. Der rapide wachsende Umsatz sogenannter Spielekonsolen (siehe z.B. Ataris „Lynx“) und vieler Erwachsenenspiele auf dem PC (Altersangabe erforderlich) zeigen, welch ein Marktpotential bei den elektronischen Spielen schlummert. Und: Es sind nicht einmal so sehr die Kids, die nach ausgefeilten Computerspielen greifen.

Bislang waren die „normalen“ Brettspiele für Erwachsene dazu da, um beispielsweise einen verregneten Samstagabend im Freundeskreis etwas aufzupeppen. Es soll sogar regelrechte Spieletreffs, ähnlich den Skatrunden geben, wo man sich regelmäßig vor verschiedene Spieletafeln setzt. Gerade auch die Rollenspiele, mit fast unbeschränkten Regelabwandlungen und immer neuen Situationen haben zu solchen „Spielerklubs“ geführt. Mit das Wichtigste bei solchen Zusammenkünften war das kommunikative Element. man sprach über dies, amüsierte sich über jenes, diskutierte Strategien usw. Auf der Nürnberger Spielemesse im Februar diesen Jahres konnte man einen explosionsartigen Boom bei den Erwachsenenbrettspielen feststellen. Spielen ist schon lange zu einem kulturellen und gesellschaftlichen Ereignis der Begegnung geworden und mit der zunehmenden Freizeit wird der Bedarf an interessanten Spielen immer größer.

Nur, wer bislang zuhause an seinem Computer saß und so manches Spiel durchprobierte, hatte dabei ein Problem, der genannte kommunikative Aspekt der Brettspiele fehlt hier völlig. Wer mit seinem Computer spielt, der ist völlig alleine. (Auch der Verfasser dieser Zeilen hat schon so manche Nacht mit „Hanse“ von Ralf Glau und „Esprit“ von Meinolf Schneider zugebracht.)

Szenenwechsel. Gleichzeitig mit dem Computerboom hat sich eine Anwendung etabliert, die der Isoliertheit der heimischen Tastatur zu entkommen versuchte: die Telekommunikation. War es noch vor 5 bis 10 Jahren der CB-Funk, über den wir die heimischen Mauern überbrücken konnten, so kennen wir DFÜ-Freaks mittlerweile unzählige Mailboxen, treffen uns in diversen Foren, halten ein Schwätzchen in verschiedenen Sessions. Das liebe Telefonnetz hilft uns die Entfernungen zu jedem Mail box Standort zu überwinden.

Was liegt nun näher, als die Idee der Brett- und Rollenspiele mit dem DFÜ-Fieber zu verbinden? Einer hat es gewagt und eine Idee geboren, die genau diese beiden Zielrichtungen verbindet:

Peter Stevens, Engländer, Jahrgang 1948, geboren in London. Er kam 1973 nach Deutschland, machte eine heilpädagogische Ausbildung und arbeitete als Lehrer am Bodensee und in Freiburg.

Mit der Verbreitung der Computer in vielen Kinder- und Jugendzimmern der USA kamen auch schon bald die ersten Postspiele heraus. Peter Stevens begann selbst bei diesen Spielen mitzumachen und hatte einen Mordsspaß. 1982 erwarb er die Lizenz für das Postspiel „Starweb“, das sogar heute noch mit viel Begeisterung gespielt wird. Es kamen weitere Lizenzen hinzu und der Ein-Mann-Betrieb in Eftstadt platzte völlig aus den Nähten. Es wurde eine GmbH gegründet und der Geschäftssitz nach Gelsenkirchen verlegt. Seither ist Peter Stevens immer auf der Suche nach neuen Spielformen, die irgendetwas mit Computern zu tun haben.

Was sind denn nun Postspiele? Irgendwo in Deutschland sitzen sie, Schüler, Studenten, Büroangestellte, ja sogar Lehrer und Ärzte sind mit dabei. Sie kennen sich gegenseitig nicht, es sei denn unter ihren Pseudonymen, gespielt wird nämlich immer unter falschem Namen. Die Spieler melden sich per Briefpost zu einem der verschiedenen Spiele an und geben dabei an, welche Rolle sie verkörpern wollen. Sobald bei Peter Stevens zwischen 10 und 15 Anmeldungen vorliegen wird das Spiel gestartet. Alle Mitspieler erhalten ein Regelheft und die Grundaufstellung. In einem Umschlag liegt der Antwortbogen, in dem man seinen ersten Spielzug eintragen kann. Knapp zwei Wochen später muß dieser Antwortbogen bei Peter Stevens vorliegen. Zugabetermin heißt dieses wichtige Datum.

Und nun kommt der Computer ins Spiel (im wahrsten Sinne des Wortes). Alle Spielzüge und Strategien werden nun in den Großcomputer eingegeben, der daraus den neuen Spielstand ermittelt: Wer besitzt jetzt was, wer hat von wem was erobert, welche Teile des Spielfeldes kennen die Mitspieler bereits usw. Und für jeden Geschmack dürfte die passende „Spiellandschaft“ dabei sein: Bei den „Feudalherren“ ringen die Fürsten und Grafschaften nach König Artus* Tod, um sich mit Diplomatie und List zur Krone emporzukämpfen. Bei „Shogun“ ist der Platz des obersten Kriegsherren im mittelalterlichen Japan verwaist. „Railway“ spielt im 19. Jahrhundert in den USA, als es um den Machtkampf großer Eisenbahngesellschaften ging und mit „Starweb“ und „Galaxis“ wird man in die Zukunft entführt.

Im Grunde funktioniert das „Abenteuer aus dem Briefkasten“ wie eine Art Fernschach mit Computerunterstützung. Nur wäre das in einer Computerzeitschrift kaum der Erwähnung wert und der dezente Hinweis auf DFÜ (weiter oben) wäre völlig verfehlt, wenn Peter Stevens aus den Postspielen heraus nicht eine weitere Idee geboren hätte: die Modemspiele (wie er es nennt) oder besser: das Telekom- oder Online-Adventure.

Schlüpfen Sie in die Rolle eines Ritters, einer Magierin oder eines Abenteurers und versuchen Sie, im Kampf gegen Tiger, Drachen und Mitspieler unermeßliche Schätze zu bergen. Das ist die Aufgabe bei „Stadt der Götter“, dem ersten deutschsprachigen „Multi-User-Adventure“.

Bis zu 15 Spieler gleichzeitig können sich in den Computer des Gelsenkirchener Postspielanbieter Peter Stevens einwählen und mit- und gegeneinander um Ruhm und Reichtum ringen.

In „Stadt der Götter" gilt es, weit über tausend verschiedene Räume zu erforschen, Monster zu besiegen und Schätze zu sammeln. Für jedes getötete Monster, für jedes gelöste Rätsel und für jeden erbeuteten und im Tempel eines Gottes geopferten Schatz bekommt der Spieler Erfahrungspunkte. Je mehr Erfahrungspunkte er sammelt, umso mächtiger wird er: Er wird stärker, beherrscht zusätzliche Zaubersprüche und kann gefährlichere Waffen führen. Je nach Punktzahl macht der Spieler Karriere: Er wird „Bürger“, „Held“ und „Hohepriester“, bis er schließlich aufsteigt in die Riege der unsterblichen Götter. Hinderlich beim Punktescheffeln sind vor allem die lieben Mitspieler. Denn alle, die gleichzeitig im Spiel sind, können sich nicht nur unterhalten, sondern in Echtzeit gegenseitig helfen, bestehlen, küssen oder umbringen. Was je nach Charakter ebenfalls Erfahrungspunkte bringt.

Multi-User-Adventures sind vor allem in England und den USA bereits seit Jahren sehr beliebt. Denn nicht immer hat ein Spieler genügend Mitspieler, um seiner Rollenspielleidenschaft auf konventionelle Art zu frönen. Bei Multi-User-Adventures kann er sich zu jeder Tages- und Nachtzeit mit Telefon und Modem in den Spielcomputer einwählen, und findet begeisterte Spielpartner aus aller Welt.

Neben den hohen Telefonkosten nach England oder gar den USA waren es bislang vor allem die zum Teil recht komplexen Raumbeschreibungen und Wortspielereien englischer und amerikanischer Multi-User Adventures, die viele deutsche Rollenspieler abschreckten. Als erstes Multi-User-Adventure ist „Stadt der Götter“ deshalb mehrsprachig: Der kann wahlweise deutsche oder englische Menüs und Raumbeschreibungen auf seinen Monitor holen. Peter Stevens ist sich sicher: „Ein deutschsprachiges Multi-User-Adventure wird einen Boom von computerunterstützten Rollenspielen in Deutschland auslösen“. Denn nun können erstmals auch Rollenspieler per Computer spielen, denen bislang die englischen Texte zu mühsam und Übersee-Telefontarife zu teuer waren.

„Stadt der Götter“ ist ursprünglich eine britische Entwicklung. Das Spiel wird seit Jahren unter dem Namen „Gods“ in England angeboten. Der zum Teil sehr britische Humor des „Gods“-Originals wurde von Peter Stevens mit viel Liebe zum Detail ins Deutsche übertragen. Nicht auf dem stumpfsinnigen Abschlachten der computergesteuerten Monster liegt der Hauptaugenmerk in „Stadt der Götter“, sondern auf der Kommunikation mit (Mit-) Mensch und Monster. Viele der Rätsel sind ohne die Hinweise der in der „Stadt der Götter“ lebenden Geschöpfe nicht lösbar. Wer Rollenspiele trotzdem gerne mit Blut und Schwert spielt, kann sich in „Stadt der Götter“ einen Kämpfercharakter wählen. Diese erhalten für das Töten von Monstern und Mitspielern Erfahrungspunkte - sie können aber auch von anderen Kämpfern getötet werden. Wer Rollenspiele friedlicher liebt, wählt einen Nicht-Kämpfer als Spielcharakter. Diese gehen zwar beim Monstermeucheln leer aus, sind aber zumindest vor den Mordattacken böser Kämpfer-Charaktere gefeit.

Weiterer Vorteil von Zusammenarbeit in „Stadt der Götter“: Gemeinsames Opfern von Schätzen in den Tempeln der Götter bringt wesentlich mehr Punkte, als wenn ein Spielcharakter seine zusammengerafften Schätze im Alleingang opfert. Außerdem macht „Stadt der Götter“ auch dann noch Spaß, wenn das Spiel praktisch gelöst ist und der Spieler zum „Gott“ erhoben wurde: Wer in anderen Computerrollenspielen wie „AMP‘ oder „MUD“ die höchste Stufe, den „Wizard“-Status, erreicht hatte, war praktisch arbeitslos: Bis auf Mitspieler-ärgern kann ein „Wizard“ nicht mehr viel tun. Anders ein Gott in “Stadt der Götter“: Er erlangt zusätzliche magischen Fähigkeiten sowie das Recht, einen eigenen Tempel zu bauen, in dem alle anderen Spieler ihm ihre erbeuteten Schätze opfern können. Dazu kann er selbst zusätzliche neue Räume und Gegenstände erschaffen, die die Mitspieler erforschen können.

Auch aus einem anderen Grund muß der zum unsterblichen Gott aufgestiegene Spielcharakter Weiterarbeiten: Jedes gewirkte Wunder, alle mörderische Magie, jeder staunenerregende Spruch verbraucht einen Teil der mühsam erworbenen Erfahrungspunkte. Wer nicht aus Punktemangel zum Halb-Gott degradiert werden will, muß sich mit seinen sterblichen Mitspielern gutstellen, damit diese in seinem Tempel opfern und dadurch sein Punktekonto wieder auffrischen. Doch es herrscht harte Konkurrenz zwischen den verschiedenen Göttern in der „Stadt der Götter“. Wer die Opfergaben von den Tempeln seiner Mit-Götter in den eigenen Tempel umleiten will, muß für seine Gläubigen ständig kleine Wunder wirken...

Im Ruhrgebiet ist „Stadt der Götter“ zum Telefon-Nahtarif zu erreichen. Wer weiter weg wohnt, kann den preiswerten Datendienst der Bundespost, Datex-P, verwenden. Zur Zeit führen neben drei internen Leitungen sechs Telefon- und fünf Datex-P-Leitungen in die Stadt der Götter. Zusätzlich zu den Telefon beziehungsweise Datex-P-Gebühren kostet ein Ausflug in die „Stadt der Götter“ pro Stunde 2,50 Mark. Ein Abonnement für einen ganzen Monat kostet 50 Mark. Wer also einen Abend lang in die Welt der Drachen, Helden und Heiligen eintauchen will, muß inklusive der Telefongebühren mit Kosten zwischen 16 (Nahbereich) und 100 Mark (Ferntarif Zone I) rechnen. Über Datex-P kostet die Reise komplett zirka 25 Mark für vier Stunden. Als „Gast“ darf man sich die „Stadt der Götter“ eine Viertelstunde lang kostenlos ansehen.

„Stadt der Götter“ läuft auf einem Leo-386er-AT mit vier MByte Hauptspeicher und einer 150 MByte Festplatte unter dem Betriebssystem Unix V Version 3.3. Das Programm wird ständig erweitert und kann bis zu 255 Spieler gleichzeitig verarbeiten. Die Kommunikation zwischen Telefonleitungen, Datex-P PAD und AT erledigt ein eigener Vorrechner auf Z80-Basis.

Haben wir Sie jetzt neugierig gemacht? Würden Sie gerne mit anderen Lesern der Zeitschrift ST-COMPUTER in die „Stadt der Götter“ entfliehen? Dann machen Sie doch mit bei der

ST-COMPUTER Leseraktion!

Sie können mitspielen und das völlig kostenlos! Mit Erscheinen dieser Ausgabe unserer Zeitschrift gibt es für alle Leser bis zum 30. September 1991 einen exklusiven Einstieg in die „Stadt der Götter“. Peter Stevens stiftet den ersten 100 Lesern ein Startkapital von 10 Freistunden. Und wenn Sie es nicht schaffen unter den Ersten zu sein, macht nichts, alle weiteren Anmeldungen bis einschließlich 30. September 1991 erhalten dann noch 5 Freistunden zum hineinschnuppern. Was Sie dafür tun müssen? Schneiden Sie einfach die Leserkontaktkarte in diesem Heft aus und senden diese mit Ihrer Anschrift versehen einfach an Peter Stevens. Die Leserkontaktkarte stellt für Peter Stevens sicher, daß Sie Leser unserer Zeitschrift sind, das genügt als Eintrittskarte. Es lohnt sich nicht zwei oder mehr Kontaktkarten abzuschicken, die Namen und Anschriften werden automatisch durchgescannt und ausgefiltert.

Sie erhalten danach per Post das Regelwerk, Ihren Account (die Zugangskennung mit Paßwort), sowie die Telefon- und Datexnummern mit denen Sie die Verbindung aufbauen können. Übrigens: Auch für Leser aus den neuen Bundesländern gibt es den Zugang über das DATEX-Netz der Telekom aus allen Großstädten. Sie müssen nur eine sogenannte Software-Kennung beantragen und die kostet 15 DM im Monat. Wenn Sie weitere Fragen zu diesem Thema haben, stehe ich Ihnen gerne zur Redaktionssprechstunde donnerstags zwischen 14 und 18 Uhr zur Verfügung.

Vielleicht begegnen wir uns einmal an einem verregneten Herbstabend in der „Stadt der Götter“? Ach so, wir treten ja nur unter Pseudonym auf - naja, dann wird es wohl ewig mein Geheimnis bleiben, daß Sie als „Wizard“ mich als „Krieger“ vernichtet haben.

DK

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Peter Stevens "Postspiele"

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Aus: ST-Computer 09 / 1991, Seite 12

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