Elektronische Bildverarbeitung Teil 3: Von der Hardware zur Software - wie aus Daten Bilder werden

In den letzten beiden Folgen dieser Serie wurden die verschiedenen Geräte und Verfahren beschrieben, mit denen Bilder aufgezeichnet und in den Computer eingelesen werden. In diesem und den nächsten beiden Artikeln wollen wir uns mit der digitalen 'Weiterverarbeitung der Bilddaten befassen. Für den ATARI sind mehrere Bildbearbeitungsprogramme erhältlich, die auch schon in ausführlichen Testberichten beschrieben wurden.

Für diese Artikelserie wird das Programm Chagall der Fa. Trade iT verwendet, da dessen Konzept der beliebigen Kombination von Funktionen gut zur Erklärung auch von komplizierteren Bearbeitungsreihenfolgen geeignet ist. Außerdem ist es zum jetzigen Zeitpunkt das einzige Programm für den ATARI, das Halbtonmasken zuläßt. Trotzdem sind die meisten Resultate in ähnlicher Form auch mit anderen Programmen wie Cranach Studio oder Retouche zu erreichen Deren zusätzliche Beschreibung würde den Rahmen dieses Artikels jedoch sprengen.

Der Begriff ‘Elektronische Bildverarbeitung’ umfaßt die Gebiete der konventionellen Reprotechnik und der digitalen Bildgestaltung. Leider wird derselbe Be griff auch auf die analoge Videotechnik angewandt, die allerdings hier nicht be handelt werden soll. Eine Einführung in das Thema sollte mit der Beschreibung der wichtigsten Mechanismen beginnen, die in Bildverarbeitungsprogrammen zur Anwendung kommen.

Mehr Farben, als die Grafikkarte erlaubt

Wie in den vorherigen Folgen beschrieben, liefern Scanner und Bildspeicher (wie die Photo-CD) digitale Bilder entweder als Strichzeichnungen (schwarze und weiße Pixel), als Halbtonbild mit 256 Graustufen oder als Farbbild mit je 256 Helligkeitsstufen der Grundfarben Rot, Grün und Blau. (Im professionellen Bereich wird zusätzlich ein Schwarzauszug mitgespeichert, dessen Funktion später erläutert wird.) Die Anzahl der darstellbaren Farben ergibt sich aus der Multiplikation dieser Stufen, da jede Helligkeit mit je zwei anderen Helligkeiten kombiniert werden kann (256 x 256 x 256 = 16.777.216). Um diese Bilder in allen ihren Nuancen bearbeiten zu können, ist es eigentlich notwendig, deren Graustufen oder Farben auch auf dem Bildschirm darzustellen. Für die Bearbeitung von Halbtonbildern wären also 256, für die Farbdarstellung 16,7 Millionen Farben darzustellen.

Da die meisten Grafikkarten diese Farbauflösungen entweder überhaupt nicht oder nur in einer geringen Auflösung liefern, bedient man sich eines zweistufigen Tricks, der eine (wenn auch eingeschränkte) Farbbildverarbeitung mit nur 256 Palettenfarben ermöglicht.

In der ersten Stufe werden die Farben auf 65.000 zusammengefaßt. Der Unterschied ist nur mit geschultem Auge wahrzunehmen. Die zweite Stufe bedient sich der Eigenschaft des menschlichen Auges, Punktmuster ähnlicher Farben zu einer neuen Farbe, der Mischfarbe zu verwischen. Mit Feldern, die aus je zwei ähnlichen Farben mit unterschiedlichen Anteilen bestehen, wird die Darstellung auf die vorhandenen 256 Palettenfarben reduziert. Das Verfahren ist in allen gängigen EBV-Programmen für Halbton- und Farbbilder üblich und wird als ‘Dithern’ (Rastern mit gesteuertem Zufall) bezeichnet. Man kann es leicht an den regelmäßigen Pixel-Mustern erkennen, mit denen die Farben gemischt werden. Trotz dieser Klimmzüge -es wird ja nur eine von 32.768 Farben wirklich dargestellt - sind für eine exakte Bildretusche, ebenfalls gedithert, mindestens 32.000 dargestellte Farben nötig.

Intern immer TRUE COLOR

Weil nur die Darstellung in ihrer Farbtiefe reduziert wird, bleiben die Bilddaten in ihren 16 Millionen Farben erhalten und können mit entsprechenden Filtern und Werkzeugen bearbeitet werden. Die Werkzeuge sind dabei nichts anderes als lokal eingesetzte Färb- oder Kontrastfilter. Die Werkzeuge können nur dann sinnvoll zur Retusche benutzt werden, wenn ihre Intensität abgestuft werden kann. So kann man sich mit mehrfachem Übermalen mit geringer Wirkung an das gewünschte Ergebnis heranarbeiten. Die Intensität eines z.B. deckenden Werkzeugs - in Chagall die der Simulation eines Tuschestiftes -entspricht seiner Deckkraft. Entsprechend dieser Intensität wird die Farbe des Stiftes in das bestehende Bild hineingemischt. Bei voller Intensität wird der Hintergrund deckend übermalt. Des weiteren sind durch Abnahme der Deckung zum Rand hin Werkzeuge möglich, die wie eine Sprühdose arbeiten.

Stufenlos

Bisher war Computergrafik immer daran zu erkennen, daß Diagonalen und Bögen treppenartige Pixel-Sprünge zeigten. Wie die Abbildung zeigt, können durch Einfügen von Zwischentönen Verläufe erzeugt werden, so daß die Kante in Originalgröße nicht mehr stufig erscheint. Dieser Effekt wird als ‘Antialiasing’ bezeichnet.

Wird ein Bild um einen kleinen Winkel gedreht oder um einen nicht gradzahligen Faktor skaliert, machen sich Treppen in den Kanten besonders unangenehm bemerkbar. Das freie Skalieren oder Drehen um beliebige Winkel ist daher ohne Antialiasing nur mit großem Qualitätsverlust möglich.

Masken, nicht ganz dicht

Eine Hauptaufgabe von Bildverarbeitung ist es, Bildteile aus verschiedenen Quellen herauszuschneiden und neu zu montieren. Jeder kennt diese Collagen aus Kaufhauskatalogen und Werbeanzeigen. Das Freischneiden erlaubt es einerseits, den Hintergrund beim Fotografieren zu vernachlässigen und andererseits Motive zu kombinieren, die an verschiedenen Orten oder zu verschiedenen Zeiten aufgenommen wurden. Bildteile werden zunächst maskiert, d.h. vor weiterer Bearbeitung geschützt. Wird das Bild nun gelöscht, eingefärbt oder mit einem anderen Bild überschrieben, bleibt der maskierte Block unverändert. Die Masken konnten bisher (in PC-Programmen) nur die Zustände ‘geschlossen’ und ‘transparent’ annehmen. Diese ‘binäre’ Funktionalität machte sich besonders dann störend bemerkbar, wenn, wie im vorherigen Absatz beschrieben, die Maske gedreht oder diagonale Kanten maskiert wurden. Durch das Fehlen der Zwischenintensitäten erzeugt eine solche Maske Treppen, obwohl im Bild eigentlich genügend Zwischenfarben für die Glättung vorhanden wären. Fein zisellierte Konturen wie Haare oder unscharfe Körperkanten wirken wie mit der Schere ausgeschnitten.

In neueren Bild Verarbeitungsprogrammen wie Chagall oder Photoshop 2.5 (auf Mac) sind Masken in 256 Durchlässigkeiten abgestuft. Neben dem Antialiasing beim Abdecken bzw. Freischneiden können solche Halbtonmasken zur pixelgenauen Intensitätssteuerung der Filter und Werkzeuge benutzt werden.

Die Abbildung zeigt das Wirkprinzip dieser Maskierungstechnik, wobei als Maske der Halbtonauszug eines Farbfotos zum Durchpausen mit einem beliebigen Werkzeug benutzt wird.

Einen schnellen Überblick über die Funktionsprinzipien von EBV erhält man am besten durch das Nachvollziehen von Beispielen. Im Gegensatz zu einfacheren Mal- und Zeichenprogrammen, die fertige Effekte mit einem Button-Klick erzeugen, sind die Ergebnisse hier nur durch eine geschickte Kombination von möglichst einfachen, aber zahlreichen Bearbeitungsschritten zu erzielen. Der Nachteil der komplizierteren Bedienung kann so durch eine Vielzahl von Effekten ausgeglichen werden, die selbst bei der Programmentwicklung noch gar nicht vorhersagbar waren. So ist es möglich, daß selbst die Programmierer durch die Ergebnisse der Anwender überrascht werden. Zwei dieser Beispiele sollen zeigen, wie die Kombination von Werkzeugen und Filtern mit der Idee eines gewünschten Effektes und einigen grafischen Techniken zu interessanten Resultaten führt.

Der Trick mit dem Trick

Um zu vermeiden, daß der Hintergrund bei mehrmaligem Übermalen mit einem Werkzeug mittlerer Deckung ganz verschwindet, merkt sich das Programm die bereits übermalten Stellen und schaltet dort das Werkzeug ab. Diesen Trick können wir nun für einen räumlich wirkenden Effekt benutzen. Neben ihrer Transparenz können Werkzeuge statt mit einer einzelnen Farbe auch mit einem ausgeschnittenen Teil des Bildes malen, was allgemein als Stempelfunktion bezeichnet wird.

In unserem Beispiel wurde ein Stempelinhalt konstruiert, der an die Darstellung einer verchromten Kugel angelehnt ist (Grafiker deuten Chrom durch eine scharfe Horizontlinie mit einem Schwarz-Braun-Verlauf nach unten und einem Weiß-Blau-Verlauf nach oben an). Läuft dieser Stempel in kleinen Schritten auf einem Pfad, verschmelzen die einzelnen Kugeln zu einem Wurm. Bereits bestehende Teile dieses Wurms werden nicht übermalt, so daß der Wurm von vom nach hinten zunimmt.

Der trockene Tropfen

Im zweiten Beispiel soll ein Foto so bearbeitet werden, daß es unter einem Wassertropfen zu liegen scheint. Die realen optischen Eigenschaften des Tropfens, seine Transparenz, die Lichtbrechung und die Spiegelungen an der Oberfläche werden durch Werkzeuge und Filter nachgebildet.

Am scharfen Rand des Tropfens wird das Licht so gebrochen, daß er als dunkle, zur Mitte hin hellere Begrenzung dargestellt werden kann. Zuerst wird die Tropfenform aus einer geschlossenen Maske herausgeschnitten. Der Rand wird nun mit einer schwarzen Sprühdose, d.h. einem unscharfen Werkzeug, nachgezeichnet. Mit der scharfen Begrenzung durch die Maske auf der einen, der abnehmenden Wirkung des Werkzeugs auf der anderen Seite kann die Brechung gut simuliert werden. Die zweite Eigenschaft der Flüssigkeit ist die Linsenwirkung, die das durchscheinende Bild unscharf werden läßt. Ein leichtes Verwischen mit dem Schwamm kann in unserem Bildbeispiel diese Unschärfe erzeugen. Als dritter Effekt sorgen Spiegelungen von Lampen, sogenannte Glanzlichter, für die räumliche Bildwirkung. Der scharfe Aufhellstift ist hierfür das geeignete Werkzeug.Wie die beiden Beispiele zeigen, wird in der Bildverarbeitung eine Vielzahl von Techniken aus den Gebieten Grafik, Reprografie, Fotografie, Design etc. miteinander kombiniert. Die Qualität des Programms besteht also darin, so variable Werkzeuge anzubieten, daß möglichst viele Effekte erreicht werden können. Mit einer durchdachten Benutzeroberfläche ist es mit eigener Phantasie und etwas Zeit möglich, vorzeigbare Ergebnisse zu erzielen.

In der nächsten Folge werden wir genauer auf die Manipulation von Bildern, vorzugsweise eingescannter Fotos, eingehen. Einerseits sollen dabei die Retusche, d.h. die Reparatur von Reproduktionsfehlern, andererseits die beliebige Veränderung oder Verfremdung des Bildinhaltes behandelt werden.


Felix Willutzki
Aus: ST-Computer 11 / 1993, Seite 132

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