Falcon-Scene: "Reich und schön... oder so, irgendwie..."

Heho, wer erinnert sich noch an die Zeit, als er ein echter Frischling in Computerdingen war? Ich meine jetzt nicht die Zeit, als der 10jährige Knabe stundenlang „River Raid" und „IK+" auf seinem Weihnachts-64'er gedaddelt hat, sondern ein paar Jahre später, als die Spiele nicht mehr so interessant waren, aber der Computer trotzdem eine magnetische Wirkung ausübte.

Man zählte sich schon zu den Freaks und versuchte sich selbst in Programmierung oder dem neuen Grafikprogramm ein ansprechendes Logo für sein XXX-(eigenen Namen einsetzen)-Software-Label zu entlocken. Natürlich war man dabei von irgendwelchen brauchbaren Resultaten noch weit entfernt und bewunderte die fantastischen Fähigkeiten der Programmierer seines Lieblingsspieles. Dann endeckte man die Scene für sich und verbrachte Stunden damit, die Intros und schier unglaublichen Demos von TEX und später TCB etc. zu beobachten. Kaum zu glauben, daß eine kleine Gruppe Menschen „so" cool sein konnte! Und der Gipfel war erreicht, als solche Leute dann auch noch anfingen, kommerzielle Spiele zu coden und eine eigene Software-Firma zu gründen. Jetzt stand der Entschluß fest: Das war „der" Traumjob.

Warum diese Einleitung? Nun, diesmal habe ich einen erwischt, der gerade den Sprunggemacht hat. Die „Fried Bits" hat längere Schatten geworfen, als man gedacht hat. Denn auf ihr trieben sich nicht nur Freaks rum, auch die Bosse von Software 2000 hielten Ausschau nach jungen Talenten. Und so engagierten sie den Scene-Grafiker JADE fast vom Fleck weg, nachdem sie eins seiner Logos auf dem Screen gesehen hatten.

Da Software 2000 nur eine Autostunde von meinem Wohnort entfernt ist, habe ich die Gelegenheit benutzt und Kay Poprawe (so heißt JADE mit bürgerlichen Namen) in seinem neuen Job besucht, um ihn auszuquetschen und mir mal ein echtes Software-Haus anzusehen. So kam ich dann, ausstaffiert wie ein echter, wahrer Reporter, mit Fotoapparat und Notizblock, voll Neugier im Gewerbegebiet von Eutin.

Software 2000 gibt es seit 8 Jahren, und mittlerweile werkeln ca. 40 Mitarbeiter im HQ in Eutin und den zwei Zweigstellen in München 'und Frankfurt. Man hat sich auf die Herstellung von Wirtschaftssimulationen und Adventures eingeschossen. Während für unsere ATARIs aus dieser Ecke schon seit einiger Zeit keine Umsetzungen mehr kommen, läuft gerade der letzte AMIGA-Titel vom Band, und dann werden nur noch CDs für (was wohl?) PC gemacht. Obwohl ich „nur" für eine ATARI-Zeitschrift schreibe, waren die Leute superfreundlich, haben für mich eine Exklusivführung durch alle geheimnisvollen Orte des Bürogebäudes gemacht und all meine neugierigen Fragen beantwortet.

Was habe ich also alles gesehen? Daß es Lager und Büros für organisatorische Dinge gibt ist klar; aber ein eigener Raum mit vielen PCs, an denen Schüler gegen Bezahlung die Spiele testeten, erstaunte mich schon. Mit glänzenden Augen nahm ich dann auch Notiz von dem Raum mit den Djskkopiermaschinen, dem Büro des hauseigenen Musikers und einem Atelier des „konventionellen" Grafikers, der z.B. die Hintergründe für das neue Adven-ture „Talisman" per Pinsel zeichnet, wonach diese Bilder dann als wunderschöne HiRes-Grafiken im Spiel Verwendung finden. Erstaunlicherweise gibt es zwei Büros, in denen jeweils ein Spieledesigner (so 'ne Art moderner Märchenonkel) sitzt und an neuen Stories arbeitet.

Interessant fand ich auch das Büro der Coder, die sich in neue Felder wagten und gerade auf einer Playstation ein Jump'n'Run entwickelten. Für andere „Next Generation"-Konsolen wird zurZeit nichts gemacht, und auch ein angefangenes Jaguar-Projekt hatte man erstmal wieder eingestellt, schade. Zum Schluß führte man mir noch beeindruckende Render-Sequen-zen einer futuristischen Wirtschafts/ Kriegs-Simulation vor, und dann begab ich mich zum Hauptziel meines Besuches. In einem großen Büro standen überwiegend schnelle PCs, an denen mit Raytracern gearbeitet wurde, einige AMIGA 4000/040 für die Pixel-Grafiker und sogar eine dieser sagenumwobenen SGIs. Hier war es eigentlich am lustigsten. Kay saß an seinem AMIGA und bastelte gerade Animationen für ein Adventure, wobei ich ihn dann für ein Interview unterbrach. Also, mit zarten 19 Jahren ist er jetzt der Jüngste im Laden, und da er eh gerade sein angefangenes Abi schmeißen wollte, um Grafikdesigner zu lernen, kam ihm der Job mehr als recht. Sein Feld sind Animationen und Texturen für die Render-Grafiker. Daß er eine Menge Spaß daran hat, konnte man nicht übersehen. Als Scene-Grafi-ker kann er mittlerweile auf eine 5jäh-rige Laufbahn zurücksehen. Zuerst bei Animal Mine, wo man sein Werkeln konnte, und seit eineinhalb Jahren bei der französischen Gruppe „DUNE", für die er immer noch Demografiken macht.

Aufmerksame Leser müßten eigentlich seine Grafiken kennen, vgl. Falcon-Scene 4/95 oder die vorletzte Ausgabe der ST-Compu-ter. Nunja, jetzt hat er einen Vertrag und verdient seine Brötchen, indem er einfach nurtut, was ihm sowieso Spaß macht. In der Firma hat er sich schnell eingelebt, was bei der lockeren Atmosphäre aber auch nicht schwierig ist. Selbst ich fühlte mich sofort wohl in dem Ambiente, da man irgendwie unter verwandten Seelen lebt. Und so quetschte ich noch einen der Render-Spezialisten überdas benutzte REAL3D-Programm aus, wobei man den Leuten die Begeisterung für ihre Arbeit anmerkte. Nachdem ich mit einigen gesprochen hatte, stellte ich fest, daß eigentlich alle zum Job gekommen sind, weil sie schon vorher an ihren AMIGA daheim gerendert hatten und dann bei Wettbewerben entdeckt wurden. Auch Jesus (ja, das ist sein echter Name!) ereilte dieses Schicksal, und so wurde er vom Automechaniker zum Superhyper-Render-Spezialisten, als welcher er von seinem Platz aus die anderen mit umgedichteten Schlagertexten „betörte". Am liebsten wäre ich den ganzen Tag geblieben, aber die Jungs mußten sich auch um ihre Arbeit kümmern, denn der Spaß kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch Termindruck angesagt ist, so daß Überstunden in der Endphase eines Games zur Normalität gehören.

Aber zurück zum Falcon: Auch für ATARI-Gamer habe ich ein paar Infos. Ich habe es mir nicht nehmen lassen, die Macher von „Towers II" brieflich zu interviewen und dabei folgendes erfahren: Nach Towers 1 wollten sie sowieso ein Game mit „smooth scrolling" machen, und da kamen ihnen die neuen Rechner von ATARI gerade recht, so daß das Projekt auf dem Falcon weiterentwickelt wurde. Nach 8 Monaten war es dann fertig. Benutzt wurden neben Assemblern und GFA-BASIC auch Inshape und True-Paint (neuerdings APEX) für den grafischen Teil. JV-Enterprises besteht nur aus 2 Programmierern, die Grafik und die Musik stammen von externen Leuten. Der DSP wird nur für Soundausgaben benutzt, und die hohe Geschwindigkeit der Grafik wurde erreicht, indem man besonders cache-optimiert programmierte. Bevor ein neues Projekt angefangen wird (und es gibt schon Ideen), soll erstmal die Jaguar-Version von Towers II fertiggestellt werden. Dann verrieten sie noch, daß sie Falcon-Demos mögen und sich gerne davon inspirieren lassen. Mal sehen was da noch auf uns zukommt. Auch für Substation-Fans gibt es witzige Bereicherungen. Wem das Game einfach zu hart ist, dem kann geholfen werden. In den Mailboxen findet man ein Hack-Tool, mit dem man sich einen Spielstand mit beliebig viel Munition und Waffen frei editieren kann. Außerdem haben ein paar Witzbolde ein zusätzliches Level für SubStation rausgebracht, mit neuer Grafik und Sound. Zu einer Art „human-beat"-Geräuschkulisse jagt man in einem Labyrinth kleine Geister wie zu Pacmans Zeiten, nur in 3D! Ein netter Spaß.

Neues Spiele-Label

Der WBW-Service in Bremen hat jetzt ein Spiel-Label gegründet und vertreibt nun unter dem Namen „WBW-Gameline" neue Falcon-Spiele. Das erste wird „Confusion" heißen und für Knobelfreaks interessant sein. Außerdem wird der etwas ältere ST/E-Falcon-Hit „Stone Age" zum Lovepreis vertickt. Wer es nicht sein eigen nennt, sollte zugreifen. Beim Erscheinen des Artikels dürften dann auch die seit langer Zeit angekündigten Falcon-Titel „Humans" und „Steel Talons" zu bekommen sein, welche kurz vor der Release stehen.

Letztes Wochenende fand dann noch das „SCALA"-Meeting statt, ein Treffen von lokalen AMIGA-Crews (Sanity, Complex, Lego ...) und AVENA. Neben dem üblichen Fun wurden auch große Pläne geschmiedet. So plant die AMIGA-Scene im April '96 eine große Party in Hamburg. Da das die selbe Zeit ist, in der die FB 4 stattfinden soll und auch noch einer der FB-Organisatoren anwesend war, entschloß man sich kurzerhand, eine gemeinsame Party zu veranstalten. Und so wird die FB4 wohl „Simposium 96" heißen und systemübergreifend sein. Man hat auch schon die Competition-Spezifikationen ausgetüftelt, und bisher sieht es so aus: Falcon-Demos dürfen nicht größer als 4MB auf Platte sein, es gibt wieder einen 96k-tro-Wettbewerb und eine Codingcompetition, deren Ergebnisse nur 4KB groß sein dürfen. Grafik- und Musik-com-pos werden AMIGA/Falcon-übergreifend abgehalten, C 64'er haben eigene Wettbewerbe, und es gibt eine Video-(10 Minuten) und eine Wild-(?!)Competition. So, sieht es im Frühstadium aus; es kann sich aber noch jede Menge ändern, klingt aber auf jeden Fall spannend.

Die Franzosen haben es nicht geschafft, einen Platz für die Saturne Party zu sichern, so daß diese jetzt endgültig auszufallen scheint. Bleibt abzuwarten, was die Gigafun-95-Party hervorbringt. AVENA denkt über eine zweite Silliconvention nach. Ich denke über einen kühlen ICE-Tee nach.

Wow, das war ja fast Telegrammstil! Bis zum nächsten Mal werde ich dann als frischgebackener ZIVI weiterhin die Augen und Modems offen halten. Bis dahin könnt Ihr ja die Zeit mit „Nur Du kannst die Menschheit retten" von Terry Pratchett überbrücken... für Computerfreaks sind stundenlange Lachanfälle garantiert. Noch ein paar Grüße (wie immer) an SILLI, Gwen (das ist neu) und auch Anne Katrin F., die immer diese Ecke liest.

Ciao, Euer A.-t-of Cream



Aus: ST-Computer 10 / 1995, Seite 108

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