Messe-Talk: Milan Computersystems im Gespräch

Ali Goukassian war Organisator der World Of Alternatives und ist Geschäftsführer von Milan Computersystems. Auf der Messe in Neuss fand er Zeit für ein Interview mit Thomas Raukamp, um über den neuesten Stand der Entwicklungen rund um den Milan Rede und Antwort zu stehen.

st-computer: Ali, wie bist Du mit dem Verlauf der World Of Alternatives zufrieden?

Ali Goukassian: Ich bin sehr zufrieden -genauso wie auch die Firma Axro. Wir haben eine tolle Resonanz verspürt, auch wenn die eine oder andere wichtige Firma des Atari-Marktes dieses Mal leider fehlte. Für die kommende Messe haben diese wieder zugesagt. Die Frühjahrsveranstaltung war einigen doch zu spontan. Allerdings habe ich von einigen wenigen Ausstellern aus dem Atari-Markt gehört, dass diese mit den Umsätzen nicht ganz so zufrieden waren wie in den vergangenen Jahren. Das ist schade, doch ich denke, dass es uns auch primär darum gehen sollte, zu zeigen, dass wir für den Kunden da sind. Eine solche Messe sollte gewissermaßen auch als langfristige Werbung und Investition gesehen werden.


Ali Goukassian ist Geschäftsführer von Milan Computersystems, Leiter des Falke Verlags und Organisator der World Of Alternatives 2000.

stc: Was waren für Dich die Höhepunkte der Messe?

Goukassian: Die zahlreichen User, die auf mich oder meine Kollegen zukamen und sich für das Engagement im Atari-Markt bedankten - einer sogar mit einer großen Flasche Sekt! Tolles Gefühl, zu wissen, dass die Menschen es honorieren, wenn man sich mit Leib und Seele um eine Sache bemüht. Danke nochmals von meiner Seite. Dies wäre nicht von jedem Markt zu erwarten.

Außerdem haben mir natürlich auch so einige andere Sachen toll gefallen. FunMedia z.B., das Videoschnitt-Programm von Patrick Eickhoff, ist phantastisch und hat etliche User, auch von Seiten des Amiga-Marktes, vom Hocker gerissen. Es wird sicher eine gute Stütze für den Milan. Insbesondere mit Hinblick auf die auf der Messe ebenfalls präsentierte Milan-TV-Karte. Gefallen hat mir auch der tolle Milan-Stand, der u.a. auch durch die finanzielle Kooperation der Firma Axro ermöglicht wurde und unsere ernstzunehmenden Ambitionen optisch unterstrich.

stc: Wie wurde der Milan II vom Publikum angenommen?

Goukassian: Durchweg gut. Leider ist das Gerät, das wir dabei hatten, am Samstag Abend bei einem Hardwareupdate vorübergehend „verstorben" und konnte erst nach der Messe wieder „zum Leben erweckt werden". Doch es ging uns neben der reinen Präsentation einer funktionierenden Hardware ja auch insbesondere darum, ein Konzept und eine Vision aufzuzeigen. Und das scheint uns gelungen zu sein. Es haben sich neue Ideen und Vertriebswege aufgetan, Kunden sind auf uns zugekommen, die über die Presse oder das Internet vom Milan erfahren hatten und uns mal spontan und sozusagen in Cognito auf der Messe aufgesucht haben, um zu schauen, in wieweit man mit uns Zusammenarbeiten und den Milan II im großen Stil einsetzen könnte.

stc: Wie nahm denn das ehemals verfeindete Amiga-Lager den neuen „Atari" auf?

Goukassian: Von der alten „Feindschaft" war auf dieser Messe nicht mehr viel zu spüren. Auch eine Vielzahl von Amiga-Usern hat es auf den Milan-Stand verschlagen. Diese waren sichtlich erstaunt, zeitweise auch sprachlos. Immerhin kannten viele von ihnen bis zur Messe nur den guten alten Schwarzweiß-Desktop mit den pixeligen Laufwerk-Icons. Insofern haben wir auch dort bei vielen mitten ins Herz getroffen, weil wir uns gegen den Strom auflehnen und versuchen, allen Schwierigkeiten zum Trotz etwas Besseres zu schaffen. Klar hat der eine oder andere Amiga-User, der schon eine Power-PC-Karte in seinem 1200er stecken hat, nicht verstehen können, was man heute noch mit einem 060-Prozessor anfangen möchte, aber die Software-Fakten werden dann für sich gesprochen haben...

stc: Man hört ja sogar von Amiga-Händlern, die ins Atari-Lager wechseln...?

Goukassian: Ich denke, von einem Wechsel kann hier nicht wirklich die Rede sein. Auch die Amiga-Händler müssen sehen, wie es in der Zukunft weitergeht. Und da viele von ihnen sich sträuben, PC-Systeme zu unterstützen, haben wir eine Reihe von Interessenten, die gern auch den Milan II vertreiben und Supporten würden. Das finden wir wiederum toll - und das nicht nur, weil zuverlässige und namhafte Größen darunter sind: Für uns ist es auch eine Bestätigung unserer Arbeit, denn auch Außenstehende scheinen einen Markt für den Milan zu sehen.

Darüber hinaus gibt es weitere Kooperationen z.B. von Seiten einiger Software-Firmen, die Software vom Amiga auf den Milan portieren wollen und werden. Die Messe hat uns auch hier geholfen, den direkten Kontakt aufzunehmen und Kooperationen anzubahnen.

stc: War es nicht gerade für Milan eine Enttäuschung, dass so wichtige Firmen wie ASH oder invers nicht mit eigenen Ständen vertreten waren?

Goukassian: Zugegebenermaßen war es für uns und User wirklich enttäuschend, denn immerhin decken diese beiden Firmen den großen Teil der aktiven und modernen Softwareentwicklung des Atari- und damit auch des Milan-Marktes ab. invers hätte mit Calamus SL2000 sicherlich eine tolle und wichtige Neuerung vorzustellen gehabt.

Aber wie eingangs erwähnt: Ulf Dunkel von invers wurde just zu dieser Zeit Vater (meinen Glückwunsch auch von dieser Stelle aus) und bei ASH herrschte aufgrund der langfristig geplanten Pfingsturlaube Personalmangel. Beide Firmen haben für eine eventuelle Herbstmesse aber schon grünes Licht gegeben.

stc: Einige Leute äußerten sich enttäuscht darüber, dass das neue, kleinere Boarddesign des Milan II noch nicht präsentiert wurde. Was waren die Gründe dafür? Ist mit Verzögerungen zu rechnen?

Goukassian: Es ist im Computerbusiness leider immer wieder das gleiche: Geplante Termine können nur schwer eingehalten werden, da allen Vorbereitungen zum Trotz Widrigkeiten auftauchen, mit denen kein Mensch hat rechnen können - so auch bei uns. Ein von uns für den Einsatz im Milan geplanter Chip wurde trotz seiner Neuartigkeit plötzlich wieder aus dem Programm des Produzenten gestrichen und wochenlange Arbeiten mussten ad acta gelegt und von neuem in Angriff genommen werden. Wir hätten selbst sehr gern präsentiert, was wir geplant haben. Ich hoffe, dass wir die Verzögerungen über die Sommermonate wieder kompensieren können, damit das Weihnachtsgeschäft nicht gefährdet ist.

stc: Wo wir gerade bei terminlichen Fragen sind: Wann wird der Milan II nun endgültig in den Kaufhäusern stehen? Gibt es schon einen exakten Zeitplan?

Goukassian: Den gibt es - na klar: Wir produzierten im Juli noch die 50-100 Testboards bei Motorola, mit Hilfe derer zum einen die Funktionstüchtigkeit der neuen Technologie getestet werden soll, zum anderen aber auch beim Hersteller geprüft wird, ob der Produktionsablauf reibungslos verläuft. Wir dürfen uns natürlich keinerlei Fehler erlauben, denn wenn eine Produktionsmenge von einigen tausend Exemplaren letzten Endes fehlerhaft sind, kann das zu enormen Verlusten führen. Wenn alles klappt, werden diese Boards über den August bis in den September hinein getestet. Im Anschluss daran wird sofort mit der Produktion begonnen, sodass wir hoffen, Ende Oktober ausliefern zu können.

stc: Wann werden die ersten Entwicklergeräte mit dem endgültigen Board ausgeliefert?

Goukassian: Hierbei ist die Definition „endgültig" sehr schwierig. Wenn alles klappt, dann sind die schon vor kurzem ausgelieferten Geräte die endgültigen Boards; ansonsten müssen wir mit dem September rechnen.

stc: Auf der Messe war ja zum ersten Mal das neue Gehäuse in verschiedenen Farben zu sehen. Ist hier nun bereits eine endgültige Auswahl getroffen?

Goukassian: Die ist noch nicht getroffen. Hierbei lassen wir uns auch bis zum letzten Moment Zeit, um auch die Meinung der Vertriebspartner - insbesondere auch der Kaufhäuser und der größeren Ketten - abzuwarten. Diese verfügen immerhin über jahrelange Erfahrungen auch mit größeren Kundenzahlen. Das Gehäuse an sich wird aber das von uns präsentierte Tisch-Gehäuse sein, das man sowohl hochkant als auch flach liegend aufstellen kann. Es ist toll angekommen und hat allenthalben gut gefallen.


«Das Gehäuse an sich wird das von uns präsentierte Tisch-Gehäuse sein, das man sowohl hochkant als auch flach liegend aufstellen kann. Es ist toll angekommen.»

stc: Das Medieninteresse am Milan scheint zu wachsen. Was ist in dieser Hinsicht bisher gelaufen?

Goukassian: Nun, wir hatten den Auftritt beim WDR-Computerclub, der ja insgesamt knappe 7 Minuten lief. Im Radio (NDR 1) hatten wir ebenfalls einen dreiminütigen Bericht über den neuen Milan. Darüber hinaus haben auch c't, die Musikmagazine, das 3SAT-Computermagazin „Neues" und einige andere Magazine Interesse an der Vorstellung des neuen Milan II angekündigt. Wir haben es der Entwicklung der Branche zu verdanken, dass das Hauptaugenmerk ein wenig von den reinen MHz-Frequenzen, die in der PC-Branche so wichtig sind, abgelenkt wird. Dank portabler Computer, Settop-Boxen usw. haben die Medien gelernt, dass es auf die Funktionalität und nicht auf die Geschwindigkeit des Hauptprozessors ankommt. Insofern verspüren wir viel Interesse.

stc: Ein nettes Detail der Messepräsentation war M_Control, das neue „Kontrollzentrum" für den Milan. Was ist die Philosophie hinter dieser Software?

Goukassian: MControl ist derzeit noch der Projektname eines Steuerzentrums, dessen Aufgabe ich mir gemeinsam mit meinem Kollegen Thomas Göttsch ausgedacht habe. Wir haben uns eines Tages gefragt, wie wir es denn auch bis ins letzte Detail realisieren wollen, dass der Milan II als Computer-Einsteiger-Gerät wirklich tauglich ist. Das Betriebssystem insgesamt ist sicherlich sehr viel einfacher handzuhaben und weniger anfällig als z.B. Windows, doch ist uns aufgefallen, dass einem Neuling nicht leicht zu vermitteln ist, was denn Accessories, CPX-Module und ähnliche Einstellungs-„Programme" sind. Also haben wir uns gedacht, dass es eine „Zentrale" zum Einstellen aller systemrelevanten Werte geben muss - egal, ob für Uhrzeit, Maus, Systemzeichensatz, Festplatte oder was auch immer man sich vorstellen kann.

Das Prinzip ist eigentlich simpel: Die notwendigen Programme, ACCs und CPX-Module werden wie gehabt installiert, aber M_Control verwaltet diese übersichtlich. M_Control ist jederzeit über den Desktop oder die Menüleiste aufzurufen und zeigt übersichtlich alle diejenigen Dinge an, die eingestellt werden können. Dabei wird mit über- und untergeordneten Menüs gearbeitet. Will der Anwender nun etwas an seiner Festplatte machen, klickt er das Symbol an und alle zur Verfügung stehenden Tools werden angezeigt. Diese können dann direkt aus der Liste heraus aufgerufen werden - ganz gleich, ob es Accessories, CPXe oder Programme sind.

Wir haben dann Joachim Fornallaz, der schon für das geniale GemSetup verantwortlich ist, 6 Wochen vor der Messe mit der Realisation beauftragt und schon auf der Messe eine Beta-Version zu sehen bekommen. Das war klasse!

«Das Prinzip von MControl ist eigentlich simpel: Die notwendigen Programme, ACCs und CPX-Module werden wie gehabt installiert, aber MControl verwaltet diese übersichtlich. MControl ist jederzeit über den Desktop oder die Menüleiste aufzurufen und zeigt übersichtlich alle diejenigen Dinge an, die eingestellt werden können.»

stc: Ziemlich viel Aufsehen erregte das iMac-ähnliche Gehäuse, das im Konferenzraum stand. Ist dies eine weitere Erscheinungsform für den Milan II?

Goukassian: Das ist sicherlich nur eine mögliche Erscheinungsweise, die erstklassig bei den verschiedenen Gesprächspartnern angekommen ist. Sie beinhaltet Rechner und TFT-Display in einem flachen und transportablen Gehäuse. Meines Erachtens nach eine Augenweide, die ich gern ebenfalls auf dem Schreibtisch haben möchte. Das besondere daran ist, dass trotz der geringen Abmessungen mit Standard-Disketten- und Festplattenlaufwerken gearbeitet wird. Auch das Milan-II-Mainboard kann ohne Modifikationen eingesetzt werden. Es könnte Anfang 2001 erscheinen, ist aber eher für den kaufkräftigen Kunden geeignet, da die TFT-Technologie (Hitachi A-Grade mit hoher Qualität) und das Slimline-CD-ROM-Laufwerk ihren Preis fordern.

stc: Amiga stellte auf der Messe das offizielle Software Development Kit für seine nächste Generation vor, um Entwicklungen schon im Vorfeld zu beschleunigen. An sich ein guter Gedanke. Wird es auch für den Milan ein neues SDK geben?

Goukassian: Ahhhh, eiskalt erwischt! So genau wir auch wissen, dass ein richtiges und komplettes SDK der Grundstock guter Software ist, so schwer ist es, neben all den Arbeiten am Milan II ein wirklich umfangreiches SDK zusammenzustellen. Doch wir arbeiten daran, noch im Herbst etwas Gutes auf die Beine zu stellen. Wir haben auf der Messe Leute getroffen, die das Atari-Compendium weiterentwickelt haben und in den kommenden Wochen an den Milan anpassen wollen, wir haben Kontakt zu Profis in C++ aufgenommen und hoffen, aus alledem bald ein gutes Paket zu Softwareentwickler schnüren zu können.

«Wir produzierten im juli noch die 50-100 Testboards bei Motorola [...]. Wenn alles klappt, werden diese Boards über den August bis in den September hinein getestet. Im Anschluss daran wird sofort mit der Produktion begonnen, sodass wir hoffen, Ende Oktober ausliefern zu können.»

stc: Wie siehst Du nach dieser Messe die neuen Pläne von Amiga, den Consumer-Markt mit einer neuen Hardware und einem neuen Betriebssystem zu bedienen? Erwächst hier ein weiterer Konkurrent im Alternativen-Markt?

Goukassian: Schwer einzuschätzen. Ich denke mal, dass das nicht zwingend der Fall sein muss. Vielleicht sensibilisiert diese Tatsache einfach nur die Vertriebskanäle und die Medien dafür, dass es das natürlichste der Welt sein sollte, dass es neben den Windows- und Mac-Systemen noch weitere gute Computer gibt. Zumindest in den ersten Monaten werden die alt eingesessenen Anwender der jeweiligen Gruppierungen auf die jeweilige neue Hardware zurückgreifen, sodass die Konkurrenzsituation hier noch nicht gegeben ist. Wenn sich herausstellt, dass die inhaltlichen Zielsetzungen zudem unterschiedlich sind, wird es auch langfristig keine Probleme geben, je nachdem, was für eine Hardware Amiga ersetzen möchte, könnte man sogar über langfristige Kooperationen nachdenken...

stc: Wann können wir den neuen Milan wieder auf einer Messe sehen? Sind Auftritte im Ausland geplant?

Ali Goukassian: Derzeit sind noch keine konkreten Auftritte in naher Zukunft geplant. Ich denke, wir sind auf jeden Fall bei der nächsten CeBit dabei, zuvor müssen wir aber all unsere Kräfte auf den Markteintritt konzentrieren. Die bislang gewonnen Kontakte müssen nun auch erst einmal sinnvoll genutzt werden, so dass wir die Messe als reine Kontaktbörse derzeit nicht zwingend benötigen.

st-computer: Ali, vielen Dank für dieses Update.



Aus: ST-Computer 08 / 2000, Seite 18

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