Das offene TOS: EmuTOS (Interview)

Mit EmuTOS wird für die Atari-Gemeinde ein lang ersehnter Traum war: ein Open Source-TOS, das jedem offen steht, frei von Rechten dritter und erweiterungsfähig. Seit der Version 0.5 kommt EmuTOS einem vollwertigem TOS-Ersatz mit großen Schritten näher.

st-computer: Deinen Namen werden viele erst von EmuTOS kennen, erzähl uns ein bißchen von deiner "Atari-Geschichte".

Martin Doering: Mit Computern habe ich Anfang der 80er Jahre angefangen. Sinclair ZX81 hieß das Teil. Und es hatte ungefähr alles nicht, was Computer heute haben: eine vernünftige Tastatur, Grafik, eine Platte, Disketten... Ein Freund und ich haben aber wie verrückt in Basic auf dem Ding rumprogrammiert. Danach kam der Sinclair ZX Spectrum, Tandy Color-Computer, Epson HX-20, Sharp PC1500, Sinclair QL,... Naja, und irgendwann endlich ein Atari.

Es war toll: Er war kinderleicht mit der Maus zu bedienen und auch sonst prima. Alles war einfach einfacher, als bei den ganzen Rechnern vorher, wo man immer Programme erst vom Tonband einnudeln musste. Es gab auch nach einiger Zeit jede Menge von Programmen, die auch immer professioneller wurden. Es war einfach lustig. Ich würde vieles darum geben, wenn ich dieses Homecomputer-Feeling heute nochmal haben könnte. Aber diese Spezies ist wohl ausgestorben. Heute ist alles mordskompliziert, oder so, dass man gar nichts mehr machen kann, wie (schon immer) bei den Konsolen. Programme werden heute halt nicht eingelegt, oder gestartet, sondern installiert etc.

Nachdem ich in den 520 ST noch ein paar RAMs huckepack gelötet hatte, und dann auf ganze 2,5 MB kam, konnte ich mir dann irgendwann einen Mega ST 4 leisten. Den habe ich dann noch mit einem 68020 Prozessor aufgebohrt - mit Mathe-Coprozessor. Einige Programme konnten den sogar wirklich nutzen. ;-)

Ich habe zu dieser Zeit fast nur in Omikron-Basic programmiert. Von Assembler oder C wußte ich vielleicht gerade mal, dass es sowas gibt.

Tja, und dann wurden die PCs immer billiger. Irgendwann hatte ich auch so einen, und habe dann auch ziemlich früh schon mit Linux angefangen. Da gab es noch alles auf Disketten. Die Ataris habe ich dann irgendwann verkauft.

Als die DR-Sourcen freigegeben wurden, hat sich bis auf ein paar Weiterentwicklungen an der PC-Version wenig getan. Wie bist Du darauf gekommen, diese für TOS zu nutzen?

Ich hatte gesehen, das GEM unter die GPL gestellt worden war. Das waren damals, 1999, Caldera Thin Clients. Die hatten mittels GEM wohl solche Minimalst-Arbeitsplatzrechner konfigurieren wollen. Aber die Software passte dann wohl nicht mehr zu Internet, Posix und Multimedia. Ich sah das GEM, und irgendwo auch das GEMDOS auf der Seite von Dylan Harris. Und ich hatte mich gefragt, ob das wohl auch unter GPL stände. Dylan hatte wohl irgendwie einen Draht zu Lineo, die inzwischen die Rechte daran hatten. Tim Birg, der Chief Technology Officer von LIneo antwortete ihm und mir dann, dass alles, was mit GEM irgendwie zu tun hat, unter die GPL fiele, also auch GEMDOS.

[http://emutos.sourceforge.net]

Im Mai 2001 habe ich einfach angefangen damit rumzuprobieren. Nach einiger Zeit hatte ich auch schon etwas auf dem Bildschirm, was irgendwie nach Kommandozeileninterpreter aussah. Es war der gute alte COMMAND.PRG. ich hatte etwas vom GEMDOS laufen, und konnte sogar nach einiger Zeit Buchstaben farbig in darstellen, mittels des eingebauten VT52-Emulators.

Irgendwie hatte ich darüber was verlautbaren lassen. Und dann stießen Thomas Huth und Laurent Vogel zu mir. Beide hatten schon viel mehr Erfahrung mit GEM und auch mit dem Betriebssystem als ich. Ich hatte ja noch nie mit sowas von innen zu tun. Und GEM kannte ich so viele Jahre nach meinen Ataris auch nur noch aus Mythen und Sagen.

Naja, die beiden haben mir dann erstmal erzählt, was alles nicht ok ist, und haben dann unheimlich viel an dem guten Stück rumoperiert, bis tatsächlich dann etwas entfernt TOS-verwandtes dabei rauskam. Das Wesentliche war auch das XBIOS, was ich vorher noch gar nicht hatte. Die beiden haben es dann immer mehr perfektioniert, und irgendwann hatten wir tatsächlich fast den ganzen TOS 1.0 Umfang, wenn man die Grafik mal wegläßt. Das war ein riesen Erfolg, und mir war das schon ganz unheimlich, dass alles so gut lief.

Nur irgendwie fehlte noch die Grafik. Wir haben zu diesem Zeitpunkt viel diskutiert, ob wir das TOS als nur VT52-fähig belassen. Eventuell wollten wir dann fVDI von Johan Klockars für die Grafik einsetzen. An dem Thema hatte aber Thomas schon gearbeitet. Denn die GEM-Sourcen gäbe es ja auch. Und er hatte versucht, sozusagen ein neues GEM auf das alte TOS bzw. MiNT draufzubauen. Und plötzlich hatte er, während wir noch mit ganz anderen Sachen zu tun hatten, ein GEM am Laufen - mit tausenden von Bugs natürlich. Tja, das wurde dann immer besser. Und während Laurent sich um so Dinge wie Floppy und Platten kümmerte und ich mit der Verbesserung der VT52-Emulation beschäftigt war, hatte Thomas plötzlich das GEM mit AES, VDI und Desktop so gut am Laufen, dass wir beschlossen, alles so zusammen zu belassen. Und dann hatten wir schon fast ein ganzes TOS.

Kurze Zeit vorher stieß dann noch Petr Stelik dazu, der vielen vielleicht vom ARAnyM Projekt bekannt ist. Er war vor allem an EmuTOS interessiert, weil er für ARAnyM noch ein freies TOS-Betriebssystem suchte. Vieles soll und sollte in ARAnyM native implementiert werden, aber war eben noch nicht. Da kam EmuTOS genau richtig. Petr hat dann eine ganze Menge implementiert, was mit Harddisk und VIDEL-Chip zu tun hatte, also mit der Grafik vom Falcon. Und plötzlich lief EmuTOS sogar auf dem ARAnyM, mit 68040 und Harddisk-Zugriff - ganz ohne zusätzliche Treiber übrigens. Gerade heute berichtete Petr übrigens, das EmuTOS jetzt auch XHDI fähig ist, und auch FreeMiNT seit dem recht perfekt läuft.

Ist EmuTOS nur für Emulatoren gedacht?

Nein. Es läuft sogar auch als RAM-EmuTOS von einer Diskette auf original Atari-Hardware. Aber da neue Hardware nicht in Sicht war, und die Ataris alle schon ein TOS hatten, da haben es die Emulatoren eben am nötigsten gebraucht. Daher der Name.

Da EmuTOS einige Fortschritte gemacht hat, wäre natürlich interessant, ob schon TOS-Funktionalität erreicht ist. Wie ist der derzeitige Entwicklungsstand?

Wir haben im Grunde die gesamte TOS 1.0 Funktionalität implementiert, alle Farb-Modi, XBIOS-Sound, Plattenzugriff (nur für ARAnyM), Floppy und halt die komplette Grafik mit VDI und AES in bis zu 16 Farben.

Was fehlt noch an EmuTOS? Was ist geplant?

Es fehlt noch ein bißchen an den Schnittstellen und an diverser zusätzlicher Hardware, wie SCSI-Festplatten Support. Ebenso wie im TOS gibt es noch keine Druckertreiber und keine Vektor-Fonts, obwohl sowas natürlich alles on-top genutzt werden kann.

Geplant ist vor allem ein Nativ-Feature-Interface zu diversen Emulatoren. Damit kann man dann die volle Power heutiger Hardware direkt aus einem Emulator heraus nutzen. Wenn ich zum Beispiel eine Partition von meinem Linux oder Windows nutzen möchte, dann kann ich diese im TOS als Laufwerk sehen und einfach benutzen. Sowas gibt es in ARAnyM auch schon als Treiber für Johan Klockars fVDI, so dass eine superschnelle PC-Grafikkarte dann Linien zeichnet und Flächen füllt - evtl. sogar mit Unterstützung des Grafikchips. Ebenso wird das Abspielen von MP3s oder Internet möglich, oder die Nutzung von 3D-Hardware über OpenGL von TOS aus. Also ganz neue Perspektiven.

An welchem TOS orientiert sich EmuTOS?

Es geht aus von TOS 1.0. Nun versuchen wir auch möglichst alte Probleme, Einschränkungen und Fehler zu beheben, die TOS hatte. Laurent hat zum Beispiel ein völlig neues Memory-Management programmiert, weil es halt besser war. EmUTOS ist definitiv als TOS geplant, und nicht als MiNT. Das war mal eine unserer Entscheidungen. MiNT kann man natürlich benutzen. Und es integriert sich genauso, wie beim richtigen TOS. Auch XaAES läuft on-top von MiNT und EmuTOS.

Unseren Blick haben wir nach vorne gerichtet und hoffen mit diesen ganzen Projekten wie EmuTOS, MiNT, fVDI, XaAES und den vielen anderen kleinen Programmen mal etwas frischen Wind in unsere Plattform zu bringen.

Viele Atari-Fans erinnern sich noch an die Ankündigung eines TOS 5/6. Wird EmuTOS einmal über die Leistungsfähigkeit von TOS 4 hinausgehen?

Es wir halt immer weiter entwickelt werden, wie Linux und die meisten anderen OpenSource Projekte. Alles ist denkbar. Es ist halt frei. Wer Wünsche hat, der möge sie uns mitteilen, oder vielleicht sogar selber mitprogrammieren.

Mit fVDI, FreeType, OLGA und BubbleGEM stehen moderne Systemerweiterungen im Quelltext zur Verfügung. Wäre es eine Möglichkeit, diese in den EmuTOS-Source zu integrieren?

Wir haben viel darüber nachgedacht. Aus den Projekten, die OpenSource sind, kommt natürlich schon ein Teil des Codes, wie MiNT oder fVDI. Frank Naumann hat mir unendlich viele Fragen beantwortet und Johan Klockars hat mit seinem Wissen über (f)VDI schon viel zu unserem VDI beigetragen, obwohl die Source-Basis getrennt ist. Zum Beispiel hat er eine ganz eigene in C geschriebene Routine für das Kopieren und Umformatieren von Bitmaps beigetragen. Ohne sein Wissen wäre auch vieles andere wesentlich schwerer gewesen. Die Projekte nähern sich also vorsichtig aneinander an. Eine starke Integration wird es mit ARAnyM geben. Die Jungs brauchen ein Betriebsystem und wir brauchen eine zukunftsweisende "Hardware"-Plattform.

Es gibt im Milan-TOS einige nette Erweiterungen (z.B. Mousewheel-Support). Stehen diese auch auf der Liste?

Vielleicht hat der Entwickler ja Lust uns zu helfen? Wir sind halt nicht viele Entwickler. So müssen wir uns erstmal um das Wesentliche kümmern. Zum Beispiel, das fVDI wieder läuft, damit wir die schnelle 16-Bit-Grafik der PC-Plattform nutzen können, die auf jedem PC heute Standard ist.

Derzeit wird EmuTOS vor allem in Verbindung mit ARAnyM wahrgenommen. Wie kam es zu den Kontakt mit den ARAnyM-Leuten?

Petr ist halt irgendwann in unserer Mailingliste erschienen :-)

Hast Du Kontakt zu den MagiC, NAES, XaAES-Leuten?

Mit Henk Robbers hatten wir schon einigen Kontakt. Er hatte sogar schon mal die Idee sein XaAES so umzubauen, dass es auch auf TOS läuft. Aber ich glaube, wir haben ihn dann wieder davon abgebracht. MiNT ist halt schon nicht schlecht. Und warum wieder Kompromisse eingehen? Henk hat halt auch enorm viel zu tun. Und sein AES ist einfach Spitze. Weil wir kein Multitasking haben, und auch diverse System-Schnittstellen fehlen, brauchen wir halt ein eigenes AES - halt klassisch. ;-)

Mit den Entwicklern von MagiC und NAES haben wir eigentlich keinen Kontakt. Es hat sich halt einfach noch nichts ergeben. Ich weiß nicht einmal, ob EmuTOS auf dem Emulator von MagiC läuft. N.AES läuft wohl ein bißchen auf EmuTOS. Aber leider hat EmuTOS hier im VDI noch so viele Bugs, dass es momentan noch ziemlich häßlich aussieht. Wird sich aber bald ändern.

Wir sind halt ziemlich pragmatisch veranlagt. Wer EmuTOS benutzen möchte, der kann es tun. z.B: könnte ich es mir auch auf echter neuer Hardware vorstellen. Oder wie wäre es mit einem Port auf die Palm Platform? Das kleine schlanke GEM wäre als Organizer doch wirklich ideal.

Mit dem neuen Coldfire-Atari rückt neue Atari-Hardware in die Nähe. Was denkst du über ein EmuTOS für Coldfire?

Man muss sehen, dass unser TOS zum großen Teil noch auf dem Stand von 1985 ist. Um moderne Hardware direkt zu nutzen, wie USB, Chip-Bridges etc. müsste einiges an Treibern geschrieben werden. Und da es sich bei EmuTOS um OpenSource handelt, müssten auch diese Treiber, wenn sie denn Teil des Betriebssystems werden sollen, offen sein. Das wäre mit einem kommerziellen Projekt, wie man an Linux sieht, gut zu vereinbaren. Aber es ist halt sehr sehr viel Arbeit, die bei moderneren Systemen zum Teil schon gemacht ist. Die Atari-User würde es sicher freuen auch die Quellen Ihres Systems zu haben, nachdem Ihre Image stiftende Firma schonmal Pleite gegangen ist. EmuTOS ist natürlich, genau wie Linux, im Prinzip offen für jede Portierung. Aber es muss halt viele Leute geben, die mit an diesem Strang ziehen. Es ist ja Ihr System. :-)

Können andere Programmierer an EmuTOS mitarbeiten?

Ja, auf jeden Fall. Und nicht nur Programmierer. Wir wollen EmuTOS außer in Französisch, Deutsch, Englisch und Czechisch auch noch in vielen anderen Sprachen haben. Da könnten wir noch enthusiastische Leute brauchen. Oder jemanden, der eine richtig fette Webseite macht und auch weiterpflegt.

Was benötigt EmuTOS?

Was wir noch wirklich gut brauchen könnten, wäre ein besserer Desktop. Vielleicht würde sowas wie Teradesk schon reichen. Was wir momentan haben ist halt sehr minimalistisch. Gut für das ROM, weil klein, aber keine Lösung für die tägliche Arbeit. Oder vielleicht ein schickes Konfigurationsprogramm für Optionen, die wir demnächst haben werden, wie Bildschirmauflösung, Bootlaufwerk und so.

Rechnest du mit mehr Aufmerksamkeit, wenn EmuTOS 1.0 fertig ist?

Es gibt die Leute, die es haben wollen, damit Emulatoren Spiele booten können. Das geht heute schon perfekt, inklusive Maus und Joystick. Aber wenn wir von einer Zukunftsplattform sprechen, dann muss ich unbedingt ARAnyM erwähnen. ARAnyM wird so stark mit EmuTOS integriert sein, dass es fast als eine Plattform zu betrachten ist. Es wird dort viele andere Teile geben, aber ein TOS wird für die nächste Zeit als Basis benötigt werden. In dieser Kombination sehe ich eigentlich die Zukunft, weil es halt eine unheimlich tolle Plattform ist. Es gibt schon noch Probleme, aber alle Beteiligten bei uns sind so voller Elan, wie man es vielleicht lange nicht gesehen hat. Wir sind sehr offen, und stecken auch gerne andere mit an.

Wie siehst du den Atari-Markt momentan?

Er ist sehr klein. Aber ein Markt ist da. Das Problem war wohl eher die Hardware. Viele kleinere Firmen haben aufgegeben noch Hardware zu konzipieren. Deswegen habe ich mich sehr gefreut, als ich vom xTOS-Projekt gehört habe.

Wenn es einen Markt, also kommerzielle Software geben soll, dann muss auf jeden Fall für die Plattform eine Zukunft ersichtlich sein. Wir sind in kürzerer Zeit auf jeden Fall eine davon. Und es würde mich freuen, wenn viele der kleineren Firmen oder sogar Ex-Firmen Software für unsere Plattform schreiben würden. Es gab einst so viel wirklich tolle Software, dass es mich freuen würde, wenn auch die ein oder andere Firma einen Vorteil durch unsere Arbeit hat.

Der Anwenderkreis ist momentan natürlich sehr geschrumpft. Aber ich könnte mir vorstellen, dass auf unsere Plattform auch wieder Leute aufspringen, wenn sie sehen, wie einfach alles sein kann. In der Handhabung sehe ich den wesentlichen Vorteil gegenüber Windows und vor allem auch Linux. Halt ein System für Homecomputer!

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute für EmuTOS!


Mia Jaap
Aus: ST-Computer 11 / 2002, Seite 22

Links

Copyright-Bestimmungen: siehe Über diese Seite