Der Notensetzer: »The Copyist DTP« von Dr. T's

Wie schon zu Johann Sebastian Bachs Zeiten steht am Ende eines Kompositionsvorganges das Stechen - nein, kein Stich-Entscheid wie in einer sportlichen Veranstaltung, sondern die Herstellung der zur Vervielfältigung erforderlichen Druckplatten. Das seit jenen Tagen verwendete Kupferstich Verfahren erhält in unserem Jahrhundert starke Konkurrenz aus dem Lager der Datenverarbeiter. Ein Programm, das den Kupferstechern die Arbeit abnehmen soll, heißt »The Copyist« Version 1.6 und stammt vom amerikanischen Softwarehaus »Dr. T's«.

Nach dem Auspacken hält der Anwender neben einem dicken Handbuch vier Disketten in den Händen, auf denen sich nicht nur das Hauptprogramm, sondern bemerkenswert viele Module finden. Schon daraus läßt sich ableiten, daß die Entstehungsgeschichte des Programms keinen Atari als »Wiege« nennt, sondern einen PC.

Nach einigem Herumlesen im zwar erfreulich umfangreichen, aber redundanten englischen Handbuch finden sich die Hinweise zur Installation des leider kopiergeschützten Programms. Der Einsicht der deutschen Vertriebsfirma zum Trotz ist das amerikanische Haupthaus Dr. T's nur zögernd bereit, auf die bei den Anwendern unbeliebte - Sicherungsmaßnahme zu verzichten: Ohne die Originaldiskette im Laufwerk A verweigert der Copyist seinen Dienst und schickt den Computer ins programmtechnische Aus; erst ein Druck auf die Reset Taste belebt ihn wieder. Lobend erwähnt sei, daß Sie im Rahmen der Installation eine Festplatte einbeziehen können. Deren Geschwindigkeit hält die Arbeit mit dem Programm überhaupt erst in zeitlich erträglichem Rahmen. Denn der Copyist verwendet die externen Speichermedien als Zwischenablage, und die Laufwerkslämpchen belegen die hohe Zahl der Zugriffe.

Das Grundkonzept des Copyisten sieht als Haupteinsatzgebiet den reinen Notensatz vor, hier liegen eindeutig die Stärken des Programms. Ein ausgefeilter Editor stellt alle zum Notenschreiben erforderlichen Zeichen zur Verfügung, von einfachen Vierteln bis zu Spezialitäten wie Trillersymbolen, Fermaten oder Schlagzeugnoten. Eine doppelte Cursorverwaltung erleichtert die Positionierung der zu setzenden Zeichen, wobei unabhängig vom Mauscursor ein Notencursor auf Tastatur- und Maussteuerbefehle reagiert. Block-Operationen sind schnell und flexibel auszulösen, Bindebögen setzt das Programm genauso wie Taktstriche oder Notenschlüssel auf Kommando an die gewünschte Stelle. Dabei macht sich der Kniff positiv bemerkbar, den Notencursor nur im Raster der möglichen Notenpositionen zu plazieren. Die Verwendung selbstaufrufender Makros tut ein übriges, um den Satz von mehrfach wiederkehrenden Figuren zu erleichtern. Größere Teile der Partitur lassen sich mit dem Clipboard transportieren, kopieren und anderes mehr. Wem die mitgelieferten Zeichen - wie, etwa der sehr kurz geratene Baßschlüssel - nicht gefallen, dem steht ein, leider primitiver, Font-Editor zur Verfügung.

Da die Autoren die Steuerung des Editors über die Tastatur integrierten - der PC läßt schön grüßen -, kann jeder Anwender, ob Maus-Fan oder TastaturFreak, das adäquate Eingabemittel wählen. Die Implementation des Programms auf dem Atari mit seiner grafischen Benutzeroberfläche hat jedoch merkwürdige Spuren hinterlassen. Es gibt allein für die Symbolauswahl drei verschiedene Pull-Down-Menüs. So steht - wie auch bei anderen Spezialprogrammen dieser Art - vor dem erfolgreichen Einsatz des Copyisten einiges Training, um sich an den großen Funktionsumfang und seine Steuerung zu gewöhnen. Eine integrierte Help-Funktion erleichtert auch dem unerfahrenen Anwender diese Gewöhnung, vorausgesetzt, er ist der englischen Sprache mächtig. Eine deutsche Ausgabe des Handbuches liegt für die aktuelle Programmversion 1.6 noch nicht vor.

Wie so oft steckt auch beim Copyisten der »Teufel im Detail«. Wer beispielsweise ein bestimmtes Maß an Eigenintelligenz voraussetzt und erwartet, das Programm könne selbständig bei einem Wechsel der führenden Vorzeichen wegen »Tonartumbau« die daraus resultierenden Änderungen im Notentext erzeugen, der fühlt sich enttäuscht. Auf einen nachträglichen Löschauftrag reagiert Bachs Toccata d-Moll, gesetzt mit »The Copyist« und auf einer Linotronic belichtet das Programm mit dem Löschen der Vorzeichen - sonst passiert nichts. Da zeigen sich andere, am Markt etablierte Programme um einiges pfiffiger und bauen unaufgefordert die notwendigen Vor- und Auflösungszeichen im Notentext ein.

Bei der Wahl einer Datei im »Conversion Options Menu« zieht ein Pfadname mit mehr als 25 Zeichen Probleme beim Bildschirmaufbau nach sich.

Die zuständige Routine überschreibt Teile des Menüs, zumindest aber den Begrenzungsrahmen. Zwar ist dieser Fehler nicht sehr gravierend, belegt aber die Art und Weise, mit welch' »heißer Nadel« die Programmautoren die entsprechenden Routinen »gestrickt« haben. Da hilft auch das interessante Kapitel des Handbuches nicht viel weiter, das Tips und Tricks beschreibt.

Nach erfolgreicher Eingabe und der grafischen Feinarbeit, die zur bestmöglichen optischen Wirkung einfach notwendig ist, schreiten wir zum Ausdruck, zur Fixierung unseres »Machwerks« auf dem Papier. Auch dort verrät das Programm, daß es vornehmlich für den professionellen Notensatz gedacht ist: Die Treiber für die eher im Amateurbereich anzusiedelnden Nadeldrucker rangieren offenbar unter »Ferner liefen . . .«. Neben dem HP Laserjet und seinem tintensprühenden Pendant gibt der Copyist die Arbeitsergebnisse auf dem Atari-Laser sowie auf Postscript- oder Ulträscriptfähigen Geräten aus; so entstand unser Beispielausdruck auf einem LinotronicSatz-Belichter. Auch die Zusammenarbeit mit einem HPGIrfähigen Plotter verschmäht das Programm nicht. Auf Wunsch legt es zudem die dem Notendruck zugrundeliegenden grafischen Informationen im TIFF- oder EPS(Encapsulated Postscript-)Format auf Diskette oder Festplatte ab.

Dem jeweiligen Geldbeutel angepaßt bietet »Dr. T's« drei nach Ausstattung verschiedene Versionen des Notenschreibers an, zunächst eine Amateurversion für knapp 200 Mark, deren Anwender sich mit fünf Partiturseiten begnügen müssen. Die für etwa 556Mark erhältliche Profiversion ist auf maximal 50 Seiten begrenzt, verfügt über Treiber für die verschiedenen Laserdrucker sowie Plotter und bietet darüber hinaus die Module für eigenen Zeichenentwurf sowie den »Part Extractom, der Teile der Partitur zu eigenständigen Dateien montiert. Auch die Transponierroutine und der ToMIDI-Converter gehören dazu. Die DTP-Version schließlich, die diesem Test zugrunde lag, umfaßt zusätzlich zu den bereits genannten Features die Treiber für Postscript- und Ultrascript-fähige Drucker, besondere »Adobe Sonata Fonts« sowie den TIFF- und EPS-Konverter. Die Seitenzahl ist auf maximal 100 festgesetzt, der Preis liegt bei knapp 800 Mark.

Für die MIDI-Freunde unter unseren Lesern mußte das Programm natürlich beweisen, was es unter diesem Aspekt leistet. Auf den ersten Blick machten die Import- und Export-Funktionen des Copyisten einen guten Eindruck. Eine genauere Prüfung trübte dieses Bild jedoch stark. Zunächst erscheint uns das Verfahren umständlich, eine fremde Datei in einen »Stream« und erst darauf in eine dem Copyisten verständliche Form zu verwandeln - wartet man doch zweifach auf das Ende der mitunter zeitintensiven Arbeit. War die Wandlung in das StreamFormat erfolgreich, ist ein ebenso erfreulicher Abschluß der zweiten Wandlerstufe nicht immer zu verzeichnen. Die als Demo beigefügte Version der Bachschen »Toccata und Fuge d-uroll« ließ sich zwar ins MIDIFormat exportieren, ein Reimport brachte aber nur klägliche Reste des imposanten Werkes auf den Schirm: Die schnellen, abwärts gerichteten Läufe zu Beginn versanken in einem unentwirrbaren Durcheinander, die Triolenfiguren stauchte das Programm auf einige -zig Achtel zurecht. Die Schlüsselinformationen sahen wohl ausschließlich den Violin-Schlüssel vor, der Baß litt in der Notendarstellung unter Etagen von Hilfslinien.

Nicht viel besser erging es anderen Dateien, die wir zu importieren versuchten, etwa vom »Steinberg 24«, dessen Pattern-Datei-Format die Wandler-Routine angeblich kennt. Zwar erschien der Notentext mitunter durchaus deutlich der Vorlage nachempfunden, im Kampf mit den korrekten Schlüsseln und einer adäquaten Aufteilung der Informationen auf mehrere Systeme unterlag die Adapterroutine aber der allgemeinen »Tücke des Objekts«: Als weitere Fehlerquelle trat der zur Quantisierung eingesetzte Programmteil auf, einige Programmabstürze beendeten jäh die hoffnungsvolle Kompositionsarbeit. Offensichtlich erachteten die Software-Hersteller Programmodule, die für Import- und Export-Zwecke dienen, als bloße Beigabe von untergeordneter Bedeutung. Anders läßt sich das katastrophale Abschneiden der MIDI To-Note-Adaption nicht erklären. Auf die in Aussicht gestellte Nachbesserung darf man gespannt sein.

Was kann man nun mit dem Copyisten anfangen? Für MIDI-Zwecke, das sei festgehalten, erscheint er in seiner . aktuellen Version ungeeignet. Auch zum »CAC«, dem »Computer-Aided Composing«, wo der Synthesizer den auf dem Schirm entworfenen Notentext zu Gehör bringt, bietet der Copyist nicht die notwendigen Voraussetzungen. Wer aber ein Programm sucht, um statt mit Tintenstift oder Kupferstichel per Computer professionelle Druckvorlagen zur Wiedergabe von Notentexten anzufertigen, findet mit dem Editor des Programms eine willkommene und durchaus leistungsfähige Hilfe - sofern er den Kopierschutz und die zum Teil gemütlichen Ausführungszeiten, etwa beim Durchscrollen eines Notenblattes, in Kauf nimmt.

Für alle anderen potentiellen Anwender bleibt zu hoffen, daß das amerikanische Stammhaus Dr. T's sich auf die Bedeutung des Atari ST im professionellen MIDI-Recording-Bereich besinnt und dafür Sorge trägt, dem ernsthaften Anwender für gutes Geld auch in allen Punkten gute Software zu bieten. (wk)

MAV Vertriebs GmbH, Karl-Hromadnik-Strafte 3, 8000 München 60

Name: Dr T's Copyist DTP, Version 1.6
Preis: zirka 800 Mark
Vertrieb: MAV, München

Stärken: * großer Funktionsumfang des Editors * komplette Zeichenbibliothek * Editor per Maus und Tastatur steuerbar * Treiber für Postscript und Ultrascript sowie TIFF- und EPS-Format erhältlich * integrierte Help-Funktion * Fonteditor im Lieferumfang

Schwächen: * MIDI-Import und -Export nicht korrekt funktionsfähig mit Neigung zu Abstürzen * keine UNDOFunktion im Editor * unübersichtliche Programmstruktur durch Modulkonzept * keine automatische Vorzeichensteuerung * Kopierschutz »Key-Disk« * englisches Handbuch * zum Teil langsam

Fazit: zum professionellen Notensatz geeignetes, komfortables Editorprogramm mit leider mangelhafter MIDI-Zusatzausstattung


Ulrich Hilgefort
Aus: ST-Magazin 10 / 1989, Seite 112

Links

Copyright-Bestimmungen: siehe Über diese Seite