Editorial: 30 runde Sofas

Kennen Sie die Story von der taiwanischen Firma, die in Deutschland Stahlwaren bestellte? Stolz schickte das Unternehmen ein Fax, in dem es verkündete, man hätte »nun eine Deutschmeister« eingestellt und müsse nicht mehr auf Englisch ausweichen. Worauf der Deutschmeister unverzüglich »30 runde Sofas« orderte. So kann man Kugellager natürlich auch nennen... Die unfreiwillige Posse hat durchaus einen ernsten Hintergrund: Solange sich sprachliche Barrieren noch durch einen Rückruf klären lassen, wird ein drolliges Anekdötchen draus, was aber, wenn sich der Kunde über einer ungenügenden technischen Dokumentation die Haare ausrauft? Dabei reicht es völlig, im Deutschen zu bleiben: Oft genug schlägt sich der Programmierer oder Techniker selbst mit der Sprache herum. Wer ein Talent für Algorithmen hat, ist noch lange kein »Deutschmeister«. Außerdem steckt der Entwickler so tief in seinem Projekt, daß er natürlich betriebsblind für Anfängerfragen ist.

Was für ordinäre Konsumgüter weitgehend durch Produkthaftung und Gewährleistung geklärt ist, gilt in der Praxis für Computerhard-und Software lange nicht. So klagte eine Kundin zwar erfolgreich gegen einen Mikrowellenherd-Hersteller, weil die Anleitung nicht erwähnt hatte, daß sich das Gerät nicht zum Trocknen ihres pudelnassen Fiffis eigne. Würde dieselbe Kundin dagegen ein Grafikprogramm kaufen, könnte es ihr ohne weiteres passieren, daß das Handbuch zwar todernst daran erinnerte, auch ja den Computer einzuschalten, sich aber gründlich darüber ausschwiege, wie zum Teufel »Cut-Copy-Paste« funktioniert.

Gerichte verschiedener Instanzen liegen in heiligem Streit, ob in Fällen ungenügender Dokumentation nun eine Nichterfüllung bzw. Teilnichterfüllung oder ein Mangel vorliegt. Für den Kunden heißt das im ersten Fall, daß er nach Einräumung einer »angemessenen Frist zur Nachbesserung oder Nachlieferung« nur noch zwischen Rücktritt vom Kauf bzw. Schadenersatz wählen kann. Und gerade warten oder zurückgeben will er nicht: nur richtig arbeiten soll man können. Entscheidet das Gericht auf Mangel, kann der Kunde eine Herabsetzung des Kaufpreises verlangen oder ebenfalls vom Kauf zurücktreten — aber auch nur dann, wenn der Lieferant in seinen »allgemeinen Geschäftsbedingungen« das Kundenrecht nicht erst nach »zwei- bis dreifacher Nachbesserung bzw. Nachlieferung« einräumt. Und für Ärger gibt’s kein Schmerzensgeld...

Langer Rede kurzer Sinn: In der Praxis steht der Kunde meist im Regen. Es wird höchste Zeit, daß die Anbieter auf hören, hochnäsig über den »Super-DÄU« (den »dümmsten anzunehmenden User«) zu witzeln, daß Dokumentationen nicht halbherzig und hastig kurz vor der Auslieferung zusammengenagelt werden. Zum Glück ist die Goldgräberzeit vorbei, in der jeder Schrott kritiklos akzeptiert wurde. Unsere Testberichte werden in Zukunft noch deutlichere Worte über die mitgelieferten Handbücher sprechen.

Es grüßt Sie herzlich


Hartmut Ulrich
Aus: ST-Magazin 03 / 1992, Seite 3

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