Editorial: … nur dürfen haben sie sich nicht getraut!

Im Vorfeld der CeBIT gab es massive Andeutungen, daß auf Ataris Stand eine neue Computersensation enthüllt werden sollte. Der Sparrow tschilpte deutlich aus allen Ecken. Die Enttäuschung beim Fachpublikum war deshalb programmiert: Kein neuer Computer nämlich, sondern allein das ebenfalls sagenumwobene »MultiTOS« blinzelte — zuerst noch zaghaft — ins Publikum. Im Laufe der Messe konnte man dann das neue Multitasking-Betriebssystem auf fast allen Rechnern am Stand selber einmal ausprobieren.

Das ist an sich nicht allzu bemerkenswert, aber auf der Pressekonferenz meinte Jack Tramiel, er habe heute — seit immerhin fünf Jahren — wieder richtig Grund, sich zu freuen: Atari werde nämlich der Presse gleich einen neuen sensationellen Computer präsentieren. Kurz danach ging der Vorhang auf und auf einem riesigen Monitor waren großartige Grafikdemos zu sehen, während gesampelte Musik in CD-Qualität zu hören war...

Das Fachpublikum — ausgenommen einige Insider — wollte kaum glauben, daß all dies ein kleiner, unscheinbarer Computer zuwegebrachte, der neben dem Monitor stand. Natürlich stellten die Anwesenden gleich Fragen nach den Daten dieser Maschine, doch die Offiziellen hielten sich bedeckt. Nur der Name »Falcon 030« und die eingebaute CPU, ein Motorola 68030, wurden genannt.

Bei den restlichen technischen Daten wie Taktfrequenz, Auflösung usw. gab’s so stereotype Antworten wie »schnell genug« oder »mehr als ausreichend«.

Auf dem Entwicklerabend herrschte die Geheimniskrämerei fort: »No details!« wurde zum geflügelten Wort.

Auch in der Pressemappe war der vom Sparrow zum Falcon 030 umgetaufte Computer nicht zu finden. Dafür fand sich hier aber ein anderes neues Produkt, der »SLM 406«, ein Laserdrucker mit SCSI-Anschluß. Pikanterweise verschwand diese Mitteilung in den folgenden Tagen wieder aus den Mappen und der Drucker selbst war am Stand auch nicht zu finden...

Gewollt oder nicht: Diese doch exotische Öffentlichkeitsarbeit machte die Journalisten erst recht neugierig.

Also versuchte man an weitergehende Informationen heranzukommen. Das Ergebnis unserer Bemühungen finden Sie ab Seite 6. Denn tatsächlich, wer offene Augen und Ohren hatte, erfuhr weit mehr, als Atari im großen Kreis preisgeben wollte. Nachdem ich nun einiges über den Falcon 030 weiß, kann ich Jack Tramiels Worte, »Wir bringen Workstation-Power in die heimischen Stuben«, verstehen und gut nachvollziehen. Diese Maschine wird den Markt umkrempeln. Unverständlich bleibt die Art und Weise der Präsentation, öffnet sie doch wieder Spekulationen und Gerüchten Tür und Tor.

Doch warten wir ab, es würde mich nicht wundern, wenn Falcon 030, MultiTOS und der neue Laser schon bald in den Läden stehen und den Slogan »Power without the Price« wieder zu dem machen, was er einmal war. In diesem Sinne

Ihr
Uwe Wirth


Uwe Wirth
Aus: ST-Magazin 05 / 1992, Seite 3

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