Editorial: Wirb oder stirb

Albert? Albert ist der typische Amiga-Käufer. Man trifft ihn im Kaufhaus oder Großmarkt, die Taschen voller Sparschweininnereien. Mit gesenkter Stimme bittet er einen der lustlosen Verkäufer um Unterstützung. Seine Wissenslücken sind ihm offensichtlich peinlich. Albert sucht einen billigen Einsteigercomputer. Der Verkäufer klatscht mit überzeugter Geste auf einen Stapel Kartons: »Aktuelle Sonderaktion. Amiga 500. Können Sie mit spielen und arbeiten. Inklusive Farbmonitor. Drei Spiele, Einsteigerbücher, Software und Joystick gibt’s dazu. Zusammen nur 1200 Mark.«. Der kleine Graue da in der Ecke? »Auslaufmodell. Atari. Haben wir nur noch ein paar Stück da. Gibt’s außerdem nur mit Schwarzweißmonitor. Ist, glaub’ ich, nicht mal’n gescheites Handbuch dabei. Farbe kostet extra«. Damit ist die »Beratung« beendet. Albert zögert nicht lange. Schließlich hat er ja die großen Commodore-Plakate schon am Eingang gesehen.

Die Szene ist typisch für Kaufhäuser und Großmärkte, die nach wie vor das Hauptgeschäft mit den Billigcomputern machen: Der Kunde hat keine Ahnung und der »Berater« kann schlecht zugeben, daß er vor zwei Wochen noch bei den Miederwaren im dritten Stock war. Bleibt also die Überzeugungskraft der Werbung.

»Wer an der Werbung spart, kann genausogut die Uhr anhalten, um Zeit zu sparen« — mit solchen Floskeln langweilt man Verkäufer-Greenhorns am ersten Arbeitstag. Trotzdem trat Jack Tramiel anläßlich der Präsentation des Falcon 030 vor die staunende Presse wie weiland Till Eulenspiegel vor den Kongreß der Schneider und verkündete mit bedeutungsschwangerer Stimme: Er habe jetzt erkannt, daß es nicht genüge, die beste Technik zu haben, nein, man müsse es den Leuten auch erzählen. Ach wirklich? Sehr skurril aus dem Mund eines millionenschweren Geschäftsmanns, den man getrost zu den alten Hasen der Branche zählen darf!

Till Eulenspiegel wollte die Zunft der Nadelschwinger natürlich veräppeln. Dem altehrwürdigen Atari-Boß dagegen fehlt, mit Verlaub, ein wenig die Grundlage zum Scherzen: Zwar hat er — wie wir längst wissen — mit dem Falcon zweifellos vielversprechende Technik im stillen Kämmerlein, doch er will das Wunderküken in einem Markt plazieren, den Commodore mit massiver Werbe-Power verteidigt. Da wird Jack die große Kriegstrommel rühren müssen!

Oh diese Vorfreude auf all die tollen Prospekte, die die großen Kaufhäuser bald wieder überall mit Vergnügen auslegen werden! Auf all die Plakate, die sie in ihren Schaufenstern aufhängen werden, auf die gezielten Verkäuferschulungen im nagelneuen Atari-Gebäude in Eschborn, auf die spritzigen Werbeaktionen in Rundfunk und Fernsehen! Wie wir uns freuen auf die dynamische Power im Hause Atari, auf das neugewonnene Image und die endlosen Besucherschlangen vor den Toren der nächsten Atari-Messen. Ach, Sie meinen, auch uns fehlt die Grundlage zum Scherzen...

Es grüßt Sie freundlich


Hartmut Ulrich
Aus: ST-Magazin 06 / 1992, Seite 3

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