ATARIs im Studio: June Audio

oder: Die Junta vom Planet ATARI* (* Originalkommentar Kölner Stadt Anzeiger 1993)

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JUNE AUDIO Studioportrait
"Ihr arbeitet noch mit ATARI?" So oder so ähnlich begegnen uns immer wieder erstaunte Leute aus den unterschiedlichsten Bereichen der Musikindustrie. Die Entwicklung von Musikanwendungen für das TOS-Betriebssystem ging an ihnen offensichtlich spurlos vorbei. Zu lange hat ATARI mit bunten Icons und Bildchen auf sich warten lassen, so dass die breite Musikanwenderschar auf Mac oder PC umgestiegen ist. Aber auch die Medienakzeptanz an ATARI-Produkten in der Musikpresse hat stark nachgelassen. Vielleicht erinnert sich der ein oder andere Leser noch an die Zeit, als man im Fachblatt "KEYBOARDS" auf jeder Seite mindestens einmal das Wort "ATARI ST" finden konnte. Nun ja, lang ist's her. Verkehrte Welt?! - Dies wiederum fragen sich die ATARIANER unter den Musikern, denn eigentlich sind die nun erhältlichen Musikprodukte für ATARI-Rechner - sei es der einfache MIDI-Sequencer, die Harddiscrecording-Programme, Mastersysteme sowie Audio-, Digital- und MIDI-Devices - die besten, die es je im ATARI-Sektor gab. Hier treffen sich jahrelange Erfahrung, Innovation und Betriebssicherheit. Vollendete Softwareversionen geben die nötigen Werkzeuge, um in professionellem Studiostandard und in preisgünstigster Weise identische Ergebnisse wie bei den derzeitigen Verkaufsschlagern abzuliefern, denn ungeachtet des PC-Mainstream ballen wir das Kölner Plattenlabel JUNE AUDIO alle Kraft der TOS-Systeme zusammen.

Im Folgenden möchten wir anhand unserer Studiosituation allen musikbegeisterten Lesern ein (Anwendungs-Verkabelungs-) Beispiel zum Ausbau eines flexiblen Digitalstudios geben.

Ausstattung

Unsere komplett vernetzte Computer anlage unterteilt sich in fünf Arbeitsbereiche:

1. MIDI-SEQUENCING

Die Aufgabe des MIDI-Sequencing übernimmt ein ATARI Mega ST 4 mit installiertem Cubase 3.1 sowie angeschlossenem Steinberg MIDEX. Letzteres Gerät erlaubt eine sternförmig Ansteuerung der angeschlossene Synthesizer, um somit MIDI-Delays wie sie bei langen Kettenverknüpfungen via MIDI-THRU entstehen können auszuschließen.

2. MIDI-Composition

Zur Erstellung kurzer Arpeggios (Tonfolgen), zum computerunterstützten Komponieren sowie als "Mütterchen für alles" rund um MIDI dient ein ATARI 1040 STE, der via MIDI-Patchbay am MIDI-Sequencer angeschlossen ist und direkt in Cubase einspielen kann. Installiert sind hier viele aus Mailboxen und PD-Pools zusammengetragene Programme und Utilities (z.B. AMI, Algocomp, Kandinsky Music Painter, MausMusik, MIDImaus, Groove, Fractal-Music ... ), die das tägliche Arbeiten im Studio hilfreich unterstützen.

3. Harddiscrecording-Workstation

Zum HDR steht ein 14 MB Falcon 030 bereit. NVDI, Power Up (50 MHz) und FPU sorgen für die nötige Performance. Zur Ausstattung gehören eine SoundPool SRC Masterclock, SoundPool SPDIF- Interface, SoundPool DigiSwitchboard, LINIE AUDIO Jam 8/8 Pro, DAT- Masteringrecorder und 4 GB Festplattenkapazität. Wahlweise wird je nach Anwendungsfall auf CUBASE AUDIO 16 (Version 2.06) oder SoundPool AudioTracker (Version 1.66) produziert.

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Die Stärken von AudioTracker liegen im samplegenauen Schneiden der Audiodaten, in einer besseren übersichtlichkeit und nicht zuletzt in sehr handlichen Makros, wie z.B. den Fading-Kennlinien. Zu einem oftmals unbeachteten Vorteil von Audio Tracker gehört das destruktive Bearbeiten von Sampleblöcken, da dem Falcon nur zum Zeitpunkt des Sampleeditings Rechnerleistung abverlangt wird und nicht ständig in Echtzeit an einem Originalsample Modifizierungen ausgeführt werden. Trotz Destructive-Editing ist es möglich, mit Samplebearbeitungsfunktionen zu experimentieren, bevor die Resultate endgültig auf Festplatte gesichert werden, denn dies geschieht erst, wenn der im RAM stehende und für die Bearbeitung zugrundeliegende Ausschnitt des Audiofiles im WAVEEDITOR mit "Keep" verlassen wird; ansonsten steht "CANCEL" zu Verfügung und alles bleibt beim Alten. Ferner ist es ohne größeren Aufwand möglich, simultan acht Audiospuren aufzunehmen.

Zu den Features von CUBASE Audio 16 gehört sicherlich die Samplereplay Funktion, wobei kurze RAM-Samples über MIDI getriggert werden können; ein Transponieren in Echtzeit ist allerdings nicht möglich. Der 16-Spur-Modus ist technisch gesehen zwar sensationell, doch sollte man hierbei doppelte Anschaffungskosten für genügend Festplattenspeicher einplanen und lange Konvertierungszeiten in Kauf nehmen. Insgesamt wirkt Cubase aber recht solide, da es von jedem etwas bietet. Das mitenthaltene Programm ADAT-REC ermöglicht auch hier das gleichzeitige Aufnehmen von bis zu acht Audiospuren in einem Rutsch.

Die oft bemängelten internen Audiowandler des Falcon werden durch den Einsatz des Jam-Interfaces umgangen, das eine hervorragende Audioqualität bietet (8IN/80ut 6,3mm symmetrische Klinkenanschlüsse, 18 Bit Wandlerauflösung, Frequenzgang l0Hz 22KHz, 128faches Oversampling, Rauschabstand 95 dB, Klirrfaktor <0,005%, max. Belastung bis max. + 10d B).

4. Sample-Replay-System

Dieser Arbeitsbereich verteilt sich auf drei Computer: einen ATARI 1040 STF (inklusive Galactic Sample Star MIDI), einen ATARI 1040 STE (inklusive Microdeal Replay 16) und einen ATARI Falcon (inklusive Groumpf-Tracker). Letztere Software bietet folgende Ausstattung: bis zu 32 (!) Audiokanäle, unglaublich schnelle Arbeitsgeschwindigkeit, Echtzeittransposition, sinnvolle Sampleverwaltung, MIDI-Synchronisation, bildschirmfüllendes Schnittdisplay, D2D, DSP-Effekte, Compression, Blockverwaltungen und, und, und.

5. Mastering System

Sofern im Harddiscrecording-Prozeß nur AUDIO-Rohdaten verarbeitet wurden, die gleichzeitig jeweils über einen separaten Kanalzug via JAM-Interface und Analogleitung mit weiteren Effekten am Mischpult versehen werden und zu einer Stereospur zusammengefasst werden sollen, tritt das Mastering-System in Aktion. Hierzu steht ein zweiter Falcon mit Fast-RAMCard zu Verfügung. Dieser ist mittels eigenem SPDIF-Interface mit dem SoundPool Digi-Switchboard verbunden, so dass auch direkte Digitalübertragungen vom HDR-Falcon zum Mastering-Falcon (und umgekehrt) möglich sind.
Gemastert wird wahlweise auf DIGIT II Master (Galactic) oder SoundPool Audiomaster, wobei bei letzterer Software mächtige Masteringmodule (wie z.B. der Analyzer oder das Compressionmodul) zu Verfügung stehen.

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MIDI Master, MIDI Slave

Durch die strenge Aufteilung in Audiound MIDI-Applikationen auf verschiedenen Rechnern muss für die nötige Synchronisation gesorgt werden. Hierzu sind alle Computer über ein MIDI-Patchbay verkabelt. Der jeweilige Aufnahmecomputer fungiert als Master, der wiedergebende Computer als Slave. Als Synchronisationssignal dient entweder MTC oder MIDIclock.

Grundausstattung SRC

Das am HDR-Falcon konsequent zwischen SPDIF-INPUT und Digi-Switchboard- OUTPUT eingeschleifte SoundPool SRC (= Sample Rate Converter) fungiert als Masterclock. Dies hat den Vorteil, dass der Falcon ständig bei Aufnahme und Wiedergabe von einer konstanten und externen Sampleclock synchronisiert wird, also immer mit der selben Sampleclock arbeitet. Somit wird gewährleistet, dass keine Interpolationsfehler oder Syncfrequenzdifferenzen auftreten, wenn verschiedene digitale Quellen in den Falcon einspielen, da deren Signal den SRC passieren muss. Weiterhin wird der Notwendigkeit Rechnung getragen, dass lange Audiodateien in jeder Songposition parallel und scharf zum Temporaster abgebildet werden.

Ein Betrieb der SRC-Masterclock über den Insert-Weg des Switchboards stellte sich in der Praxis als ungünstig heraus.

Das SRC ist automatisch Master, wenn es coaxial oder optisch direkt an einen SPDIF Eingang angeschlossen wird, unabhängig vom Betriebsmode "Master" oder "Normal".

Digitalkabel

Um bestmögliche Digitalübertragung zu gewährleisten, sollte man auf coaxiale Leitungen zurückgreifen, da diese praktisch keine Interferenzstörungen produzieren. Optische Kabel hingegen beanspruchen die Wandler deutlich mehr und verursachen dadurch ärgerliche Drop-Outs. Diese Fehler häufen sich proportional zur Länge des Lichtleiters.

Totale Kontrolle

Die SoundPool Schaltmatrix bildet das Herz der Computeranlage, da hier alle Digitalstrippen zusammenlaufen. Eine von vier Signalquellen lässt sich frei auf bis zu 2 Outputpaare routen. Der Insert kann auch als normaler fünfter Eingang benutzt werden. So haben wir hier einen normalen CD-Player mit digitalem Output angeschlossen.

Zukunftsaussichten

Die Tatsache, dass der ATARI ST immer noch der in Musikerkreisen weitverbreitetste Computer ist, dürfte die Milan-Entwicklercrew freuen, denn letztere gibt mit einem High-Performance-TOS-Rechner, MIDI- und StarTreck-Karte neue Perspektiven zu einer gewohnt stabilen Plattform. Erfreulich ist aber, dass immer wieder neue Software erscheint. Hier sind vor allem die Fa. SoundPool mit ihrem revolutionären Surround- & Denoisermodul aber auch französische Entwickler (StudioSon) hervorzuheben. Wir jedenfalls werden auch weiterhin der TOS-Welt alle Aufmerksamkeit schenken und hoffen auf ein langfristiges Arbeitsvergnügen.

Abschließend richten wir unsere Grüße an Thomas Ontrup & Philip Krebs (PopKomm), Beluga Post (SF-Tage), Dr. Motte (Love-Parade), TEAM-Computer und allen im Hause SoundAround, Hennef.


Michael Neihs
Aus: ST-Computer 06 / 1998, Seite 26

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