Emulatoren: Keine Skepsis wegen 7.0

Lange wartete eine kleine Apfelgemeinde auf die Ankunft des Erlösers. Der Kometenschweif am Himmel war längst zu sehen — aber die Reise ins neue Zeitalter nahm und nahm kein Ende.

Kommt es oder kommt es nicht?«, diese bange Frage beschäftigte die Kollegen mit der Apfelkiste seit drei langen Jahren. Am 13.5.1991 war es endlich soweit: Weltweit präsentierte Apple das langersehnte Betriebssystem 7.0. Wer auf dem Atari — etwa mit dem neuen Spectre 3.0 die Apfelmännchen simulieren will, stellt sich nun eine nicht weniger bedeutende Frage: Läuft es oder läuft es nicht?

Gadgets, der Spectre-Erfinder, gibt sich zuversichtlich: »Für eine 100prozentige Garantie ist es freilich noch zu früh. Wir werden allerdings so weit wie möglich sämtliche 7.0-Features in einem neuen Update integrieren. Ernste Probleme könnten sich dabei aber durch die ’Memory-Management-Unit’ (MMU) ergeben, der ST verfügt nämlich über keinen entsprechenden Chip.«

Apples neues Betriebssystem: Jedes beliebige Programm im Apfelmenü wird automatisch ein Desk Accessory.

Aus diesem Grund verkünden auch viele Fachleute seit geraumer Zeit die Meinung, System 7.0 wird niemals auf einem Atari ST laufen. Schenkt man allerdings den Apple-Entwicklern Glauben, ergibt sich ein differenzierteres Bild: »Das neue Macintosh-Multitasking-Betriebssystem 7.0 läuft sogar auf einem Mac-Plus, sofern mindestens 2 MByte Arbeitsspeicher zur Verfügung stehen«, so die offizielle Stellungnahme von Apple. Aber auch der Plus arbeitet ohne MMU-Chip!

Grundsätzlich ist somit keine MMU für den Standardbetrieb von System 7.0 erforderlich. Schwierigkeiten gibt es nur bei wenigen Funktionen, die wirklich nicht ohne diese spezielle Memory-Manager-Unit zu realisieren sind. Allem voran wäre dabei die »Virtuelle Speicherverwaltung« (Virtual Memory oder VM) zu nennen. Diese Funktion funktioniert die Festplatte zu einem Arbeitsspeicher um. Wie vieles im System 7.0 ist dieses Feature weder besonders neu noch originell. Das kleine Utility-Programm »Virtual« beherrscht diesen Trick längst. Die Zweckmäßigkeit dieser Funktion stellt die Praxis allerdings schnell in Frage: Sobald der Rechner die Platte als Zusatz-RAM verwendet, machen sich die eklatanten Unterschiede bei der Datenzugriffsgeschwindigkeit überaus deutlich bemerkbar. Einfachste Operationen, wie z.B. der Bildschirmaufbau dauert einfach unerträglich lange. Viele erhofften sich, mit Hilfe des virtuellen Speichers auch bei wenig RAM nun endlich den Multifinder standesgemäß einsetzen zu können. Da das Virtual Utility bis zu 16 MByte RAM emuliert, könnte beispielsweise die Kombination aus dem Seitenlayoutprogramm Pagemaker, dem Grafikkünstler Freehand und der Retouche-Applikation Photoshop eine Traumkonfiguration jeden Grafikers sein. Was will man mehr, als alle drei Spitzenprogramme gleichzeitig im Speicher zu halten und beliebig zwischen den Anwendungen zu switchen. Doch leider ist dies nur schöne Theorie. Alle drei Programme nutzen so nämlich die Platte als RAM und alle drei werden dadurch so langsam, daß ein wirtschaftliches Arbeiten nicht mehr möglich ist.

Was ist nun neu am System 7.0?

Ein verbessertes DA-Menü (Desk Accessory) ermöglicht nun selbst die Installation normaler Programme unter dem Apfel.

Die neue Zeichensatztechnologie »Truetype« macht PostScript enorm Konkurrenz.

Ein neues Hilfesystem mit interaktiven Sprechblasen (Balloon Help) erleichtert den Einstieg in neue Programme.

Durch File Sharing sind Macintosh-Dateien im Netzwerk mit der PC-Weit, MS-DOS oder Windows, gemeinsam nutzbar.

Multitasking und Virtual Memory?

Nicht alle Anwendungen laufen — auch nicht auf der Originalmaschine — allerdings fahren Softwarehersteller Sonderschichten, um ihre Applikationen an 7.0 -ahzupassen. Die meisten Probleme werden nichtkommerzielle PD-Programme, Schreibtischzubehör und Systemerweiterungen, die mit Start-Inits arbeiten, haben. (mn)


Manfred Neumayer
Aus: ST-Magazin 07 / 1991, Seite 27

Links

Copyright-Bestimmungen: siehe Über diese Seite