Editorial - Enfant terrible

Bevor ein Auto in Serie geht, kämpft ein ganzes Team von Designern, Technikern und Ingenieuren um einen idealen Kompromiß zwischen Zweckmäßigkeit und Ästhetik. Neben dem Wettstreit um immer niedrigere cw-Werte dürfen die Konstrukteure ergono-mische, Werkstoff-, umwelt-und fertigungsbedingte Aspekte nicht außer acht lassen. Darüber hinaus soll das neue Fahrzeug ein individuelles aber trotzdem firmentypisches Design erhalten. Für gestalterische Extravaganzen bleibt meist wenig Raum.

Für Computer gilt ähnliches: Leise sollen sie nun mal sein, trotzdem' nicht heiß werden, zu allen Baugruppen, Schaltern und Schnittstellen ohne Kapriolen Zugang gewähren und reichlich Platz für Erweiterungen bieten. Floppies und Schalter müssen bei einem Desktop-Gehäuse hoch liegen, damit die Tastatur nicht stört. Wenn der Monitor dann noch aufs Gehäuse paßt und die Verbindungskabel die richtige Länge besitzen, ist das schon die halbe Miete.

Statt dessen gibt's zweifelhafte Experimente an der Optik — aus lauter Angst, in der Masse der Marken-PCs und Low-cost-Nonames unterzugehen und den Anschluß an die Profiwelt ganz zu verpassen. Design statt Funktionalität? Schätzen Sie etwa den Kabelsalat externer Festplatten, Modems, Floppies, Netzknoten, Streamer...? Wie die vielen Gehäuse optisch zusammenpassen! Wer das Spielkisten-Image loswerden und seine Produkte im Profimarkt unterbringen will, darf sich keine »Designerstühle« leisten — denn auf denen sitzt sich's meist sehr unbequem.

Unser ST-Umbau dagegen hat mit solch hehren Ansprüchen wenig zu tun:

Schließlich wollen wir weder eine Diplomarbeit noch ein Lehrwerk für Konstrukteure abliefern. Und wir müssen unser Gerät auch nicht als Profiware an den Mann bringen. Mit all seinen handwerklichen Finessen soll der Umbau vielmehr ein Sammelsurium von Bastellösungen bieten: vom Einbau in ein gebrauchtes PC-Gehäuse bis zur Eigenbau-Speichererweiterung. Er soll in erster Linie zum Mitmachen anregen — auch diejenigen, die sich bisher nicht so recht getraut haben.



Aus: ST-Magazin 09 / 1991, Seite 3

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